Bonuskapitel
 
 

Bonuskapitel: Kriegerinnen!

„In all things, one cannot win with defense alone. To win, you must attack.“
Light Yagami, Death Note


„So, jetzt erklär mir mal“, pflaumte eine jung erscheinende Frau mit auffallenden Kleidern im Bikerstil und langen, schwarzbraunen Haaren einen schüchtern wirkenden Rotschopf an, „warum zur Hölle, verflucht noch eins, hattest du Angst vor deiner Oma?“ Rotschopf errötete. Neben ihr erhob eine sportlich gekleidete Endzwanzigerin den Zeigefinger. „Großmütter sind allgemein gruselig“, verteidigte sie ihre Altersgenossin und fuhr mit der Hand durch ihre zum Zopf gebundene, aschblonde Mähne. Die Exotin rollte die blaugrünen Augen, schnaubte: „Ist nicht dein Ernst? Niemals in 1000 Jahren hätte ich mich von einer Rentnerin und ihrer Bratpfanne verfolgen lassen! Vorher hätte ich attackiert!“ - „Hmpf, Musaneko sagt dasselbe“, wisperte die Rothaarige, schlug die stahlgrauen Augen nieder. „Mach dir nichts draus!“, baute die Sportliche sie auf, klopfte ihr hierfür auf die Schultern, „wärst du bei meinem ersten Kampf dabei gewesen, schautest du jetzt nicht bedröppelt drein. Meine Form war, sagen wir, mittelmäßig und …“ – „Wer ist Musaneko noch gleich?“, fiel die Dunkle der Hellen ins Wort, „der Samurai in Katerform, oder was?“ Die Rote nickte. Weil ihre Tischgenossin lautstark herumbrüllte, waren die Augen sämtlicher Gäste auf das Trio gerichtet.
New York City, 2028. In einem New Yorker Café zur besten Kaffeezeit belegten die kaffeesüchtigen Workaholics der fernen und nahen Umgebung beinahe jeden Sitzplatz des 70 Quadratmeter umfassenden Raumes. Nur um einen Tisch hatten sich der Stadt Fremde versammelt. Drei Frauen. Eine ungewöhnlicher als die andere. Seit geschlagenen zwei Stunden erzählten sie einander über ihre Leben. Und dies hatte einen Grund.

Einen Tag zuvor …
Hilda Moore betrat die Bankfiliale am Morgen, direkt nach ihrer Öffnung. Ihre Dienstmarke hielt die Polizistin, Captain eines Departments der Portland Police, unter ihrem schwarzen Sakko verborgen. Wochenlang hatte sie in einem schweren Fall von Raub mit anschließenden Morden gefahndet. Verantwortlich für die Vergehen war eine bestimmte Gruppe zusammengeschlossener Krimineller. Knastbrüder aus Portland. Jüngst hatte sie Hinweise erhalten, welche auf das nächste, ausnahmsweise von Portland entfernt liegende Ziel der Bande deuteten, von einem redseligen Aussteiger. Im Gegenzug für seine Hilfe erwartete er mildernde Umstände. Ein klassischer Deal. Und so fand sich Captain Hilda Moore in dieser Geschäftsstelle wider. Gerade als sie die nächsten Schritte und Maßnahmen überdachte, passierte es. Der Bankraub fand früher statt. Schreiend fielen sechs muskelbepackte Kerle in die große Halle ein. Bewaffnet, selbstredend.
„Scheiße“, fluchte Hilda. Zum einen deshalb, weil sie ihre Waffe in ihrem Wagen zwischengelagert hatte, andererseits, da die Informationen ihres Zeugen nicht stimmten. Ganz und gar nicht. Entsprechend seiner Aussage hätte der Überfall erst in drei Tagen stattfinden sollen. Zeit genug, einen Schlachtplan zurechtzulegen, die Angestellten zu unterrichten, Polizeikräfte zu stationieren. Aktuell stand sie allein da, unbewaffnet. Sie, gegen sechs Gegner. Ihr Hirn suchte nach Möglichkeiten, ihr Puls jagte in die Höhe, Schweißperlen trieben aus den Poren ihrer Haut. Hilda atmete ruhig, fokussierte sich auf die Feinde. Auf Geheiß der Männer gingen die Zivilisten in die Hocke, die Hände hinter den Köpfen verschränkt. Der ihr am nächsten stehende Übeltäter trat auf Hilda zu, verlangte, dass sie ebenfalls Folge leistete. Doch Hilda registrierte ihn und sein Geschrei nicht. Etwas anderes zog ihre Aufmerksamkeit an. Zwei weitere Personen waren aufrecht stehen geblieben. Frauen. Eine von ihnen war Hilda bekannt. Bikerklamotten, Boots, schwarzbraune Haarpracht. Unverkennbar. Die andere, mit dem fuchsroten Haarschopf, zückte aus dem Blauen heraus ein schrecklich scharf aussehendes, japanisches Kampfmesser aus ihrer übergroßen Tasche heraus und stürzte sich auf den ersten Bankräuber!

Cereza war angepisst. So richtig. Erst war ihr kleiner, flauschiger Lieblings-Samuraikater aus der Traumwelt Reza in die Realität gefolgt, noch dazu ohne seinen Pelz, stattdessen in Menschengestalt. Dann hatte der einstige Musaneko, jetzt Musashi, sich bei ihr einquartiert und es sich auf ihrer Couch bequem gemacht. Bezahlte der feine Herr Miete? Nebenkosten? Nein, Fehlanzeige! Hinzu kam, dass der treue Aufpasserhund Hachikō – von ihr liebevoll Chico genannt – in einem Tierheim in New York gelandet war, sie es nur – Gott sei Dank – durch Zufall erfahren hatte und sie den kampf-, krawall- und streitsüchtigen Rōnin von ihrem Sofa in Wien hatte herunterwerfen und nach Amerika verschleppen müssen, um einen Hund aus einem Käfig zu retten. Die beschissene Gebühr für seine Herausgabe hatte das Ganze übertroffen. Deshalb suchte Cereza das erstbeste Geldinstitut auf, über das sie gestolpert war – und geriet just in einen beschissenen Banküberfall!
Die Räuber hatten ihre Rechnung nicht mit dem Füchschen gemacht, ihres Zeichens Schülerin (aktuell Hauptmieterin und Mitbewohnerin) des legendärsten Schwertheiligen aller Epochen und Welten. Mit Wut sowie ohne Koffein ferner Zucker im Bauch entließ Reza einen Kampfschrei, entfesselte ihr scharf geschliffenes Tantō, stürmte auf den am nächsten stehenden Bankräuber zu. Einen Schnitt später blutete sein Handgelenk. Infolge des Messerschnittes hatte er seine Waffe fallen lassen.
Ihr Meister (der bequeme Macho in ihrem Hotelzimmer, welcher ihr die Angelegenheit mit Hachikō überließ und lieber Animes im Fernsehen verfolgte) hätte sie für ihre Unachtsam gerügt. Wenige Meter von ihrer Position entfernt richtete ein grimmig dreinblickender Räuberboss den Lauf seiner Pistole auf sie. Der anschließend abgegebene Schuss hallte in ihren Ohren.
Aber die Kugel verfehlte Reza. Genauer gesagt, traf sie eine dunkelhaarige Schönheit, welche sich, wie in einem Film, in das Schussfeld geworfen hatte. Die Schöne stand weiterhin aufrecht – und grinste!

Endlich Action! Fast wäre Freya vor Langeweile gestorben! Warum genau hatte sie sich von Lisias, allen voran seiner Frau Makoto, überreden lassen, zu einem Shoppingtrip nach New York aufzubrechen? Allein, weil es Missys innigster Wunsch gewesen war, einmal im Leben die Stadt zu besichtigen und die Schlange seiner Angetrauten keinen Wunsch abschlug? Mit Sack und Pack, Großvater Luigi, Großmutter Miyu, Lisias‘ Tochter Mia und ihrem Sohn Celio, nicht zu vergessen ihrem eigenen Ehemann, dem nörgelnden weißen Tiger Ermano, war Freya Kasai Draconis vor vier Tagen am Flughafen angekommen. Seither hatte sie sich gelangweilt, während Missy das Vermögen ihres Gatten in Kinderklamotten investierte. Heute Morgen hatte sie beschlossen, zumindest teilweise nachzuziehen. Celio wuchs jeden Tag mehr, damit regelmäßig aus seinen Kleidungsstücken heraus. Inständig verweigerte sie die Benutzung von Onkel Luigis oder Ermanos Kreditkarten. Die Herren mussten nicht wissen, wo und wofür sie Geld ausgab. So wollte der Zufall, dass sie mit ihrer Scheckkarte die Bank auf der Suche nach Bargeld aufgesucht hatte und dass augenblicklich eine Kugel in ihren Leib hätte eindringen sollen, weil sie der hübschen Rothaarigen das Leben rettet. Hätte.
Das Geschoss schmolz, ehe es Freyas Haut hatte durchstoßen können. Die Erbin der Draconis, Besitzerin der Macht des Drachen, verfügte im wahrsten Sinne über Hitze. Ihr Drachenfeuer versengte schlicht jedes Metall. Nicht schlecht aus der Wäsche glotzte der Schurke, dessen Pistolenlauf dampfte. Ungläubig starrte er auf das Pfützchen zu Freyas Füßen, den kümmerlichen Rest seiner Munition. „Freya!“, hauchte indessen eine Stimme zu ihrer Linken. Sie brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, wer gesprochen hatte. Längst hatte sie den Geruch erkannt. Hildas Gestank nach Tiger. Dem ihres Krafttiers, welcher sich mit ihrem Eigengeruch mischte. „Tigress“, begrüßte sie ihre alte Bekannte. Einst hatten sich die beiden Frauen auf einem Parkplatz die Köpfe eingeschlagen. „Wo steckt Tora“, fragte sie weiter, ohne einen der umstehenden Kriminellen aus den Augen zu lassen. Offensichtlich überforderte die Situation die Herren. Ebenso alle anderen, auf dem blank polierten Boden kauernden Kunden plus Bankangestellten. Ein Jeder begaffte die drei aufbegehrenden Frauen.
Sekunden später fand Hilda ihre Sprache wieder und antwortete: „Hotelzimmer. Hat eine Katzenfreundin gefunden.“ - „Oh, er macht gerade also Tigerbabys, ja?“, kicherte Freya.
„Schluss mit dem Humbug!“, krisch einer der bösen Jungs, „ihr Weibsbilder, Hände über den Kopf und hinlegen!“
Tja, nun. Die Weibsbilder dachten nicht im Ansatz daran!

„Das ist mein Text!“, rief Hilda über das tiefe Bassorgan des Gangsters hinweg. Im folgenden Moment preschte sie vorwärts, überbrückte die wenigen Meter. Der Kerl schaffte seine Waffe nicht derart schnell abzufeuern, wie sie ihn erreichte. Perfekt abgestimmt, traf ihr Tritt, katapultierte ihm die Pistole aus der Hand. Ihr nachgesetzter Faustschlag beförderte ihn auf seinen Allerwertesten. Vor den Reaktionen seiner Kumpels verspürte sie keine Angst. Ihr war bewusst, wer sich noch im Raum aufhielt und über welche Stärke dieser Jemand verfügte.
Freya fegte zwischen den Räubern hindurch, kassierte die in den kommenden Augenblicken abgefeuerte Munition, schmolz die Kugeln, beschützte die Zivilisten.
Als würden sie sich und ihre Bewegungen ewig kennen, jagte Cereza dem lebenden Schutzschild hinterher. Indes der Drache Geschosse abwehrte, entwaffnete das Füchschen einen Herrn nach dem anderen. Schlusslicht bildete die Tigerin. The Tigress, wie Hilda zu ihren Kampfzeiten getauft worden war, knockte die Gangsterbande mit Muay-Thai-Techniken aus.
Bis auf einen letzten waren alle Gegner gefallen. Die Menschen staunten, hatten sie ein solches Spektakel zuvor noch nie gesehen.
Als der Verbliebene erkannte, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden, tat er das einzig Vernünftige: Er floh.
„Rufen Sie die Polizei!“, rief Hilda in den Raum hinein, keiner bestimmter Person zu, hetzte dem Verbrecher nach. Auch Freya und Cereza zögerten keine Sekunde. In Gewissheit, die Bedrohung durch Besinnungslosigkeit ausgeschaltet zu haben, überließen sie den Zivilisten eine Benachrichtigung der Rettungskräfte.
Derweil war Hilda bei ihrem Wagen, einem Dodge Challenger, Modell „Hellcat“, angekommen. Sie schlüpfte hinter das Steuer, startete den laut aufheulenden Motor und verharrte. Neben ihr wurde die Beifahrertür aufgerissen. „Tag!“ Freya schlüpfte hinein, nahm wie selbstverständlich Platz. Hinter ihr glitt Cereza auf Rückbank. „Was?“, fragte der Fuchs, „ich lasse mir die Verfolgungsjagd sicher nicht entgehen! Im Hotel wartet nur ein grummelnder Samurai auf mich! Ach, könnten wir hinterher noch beim Tierheim halten?“
Was immer dies zu bedeuten hatte … Hilda brauste los. Die Gangsterbande war in einem sportlichen Kombi angerückt, wie sich herausgestellt, als Captain Moore das Bankgebäude verlassen hatte. Augenblicklich befand sich der Kopf der Bande mit diesem Wagen auf der Flucht. Doch dessen Motorleistung stand in keinem Verhältnis zu Hildas über 700 Pferdestärken vorweisenden Hellcat. Spielerisch lenkte die Tigerin ihre Höllenkatze durch den dichten Verkehr des Großstadtjungels, von dort weiter auf den Highway. Lkws, ebenso Pkws ausweichend, jagte sie ihre Beute. Durch das stetige Ausweichen wurde Cereza, trotz ihres Sicherheitsgurtes, von der rechten auf die linke Seite geschleudert. „Ah“, rief sie, versuchte, einigermaßen ihre Haltung zu bewahren, „wo hast du fahren gelernt, huh?“ Konzentriert auf die Verfolgung, bemerkte Hilda: „Grand Theft Auto.“
Beim Empfänger kam der Scherz nicht an. Wohl deshalb, da Freya auf einmal das Beifahrerfenster öffnete und behände durch das Loch nach draußen schlüpfte. „Was zum Kuckuck treibt sie“, keuchte Reza. Eine Mischung aus Ungläubigkeit, Entgeisterung, zudem ein Anflug von Panik sorgten für das Entgleisen ihrer ebenmäßigen Gesichtszüge. Stirnrunzelnd schwieg Hilda. Obwohl ihr Freyas Vorhaben offensichtlich erschien, sparte sie es sich, ihrem Fahrgast eine Antwort auf die Frage zu gewähren. Dies erwies sich als nicht notwendig, des Drachen Intention eröffnete sich einen Moment später.
Inzwischen war die Hellcat an das Heck des Kombi herangerückt. Die Mutter eines Sohnes balancierte auf dem Dodge, ging leicht in die Knie. Grinsend machte sie einen Satz. Einen gewaltigen. Wie eine Ballerina landete sie auf dem Dach des Fluchtwagens. Zwischen den Vordersitzen tauchte Cerezas Kopf auf. Weit aufgerissen folgten ihre Augen dem gebotenen Schauspiel. Dagegen fuhr Hilda einfach weiter. Währenddem kniete Freya und schlug mir nichts, dir nichts ein üppiges Loch in das Fahrzeugdach. Aufgeschreckt darüber, verlor der Fahrer die Kontrolle über seinen Pkw. Ungeschickt lenkte er gegen, konnte jedoch glücklicherweise rechtzeitig bremsen. Ausgezeichnete Reflexe innehabend, stieg Hilda auf das Bremseisen.
Freya handelte unverzüglich. Um die anrauschenden Verkehrsteilnehmer auszubremsen, erhob sie sich, entfesselte ihr Drachenfeuer und schickte eine Welle aus. Flammen stoben davon, entfachten mitten auf der Fahrstraße einen Brand und zwangen die Autofahrer, anzuhalten. Fortuna zeigte Erbarmen, es passierte kein Unfall.
Im Anschluss dauerte es 90 Sekunden, den Kopf der Gangsterbande in Gewahrsam zu nehmen und ihm seine Rechte aufzuzählen. In seinem Schockzustand geistlos ins Leere starrend, verharrte er schweigend auf der Rückbank von Hildas Challenger. Neben Cereza, die ein wenig Mitleid für den armen Tropf empfand. „Ich bringe ihn auf das mit unserer Behörde kooperierenden Revier“, erklärte Hilda. Freya löschte ihr Feuer, bezog hinterher den Beifahrerplatz. Schadenfroh drehte sie sich zu ihrem erbeuteten Gauner um und lächelte ihn, ihre weißen Zähne zur Schau stellend, an. „Ich glaube“, äußerte Reza, welche die Nase rümpfte, „er hat sich in die Hosen gemacht.“ - „O, nicht doch!“, schalt Hilda entgeistert, „nicht in meinem Auto!“ - „Welches ich seinerzeit für dich klaute!“, merkte Freya an. Eine Augenbraue erhoben, musterte das Füchschen Drache und Tigerin fragend. Letztere seufzte, empfahl anschließend: „Nach der Geschichte wartet Papierkram darauf, erledigt zu werden. Aber morgen sollten wir unbedingt zusammen einen Kaffee trinken gehen!“

Gesagt, getan. Auf die Art und Weise begab es sich, dass Tigerin, Drache und Fuchs, an einem Tisch versammelt, Kaffee in einem New Yorker Coffeeshop schlürften. In den vergangenen 120 Minuten hatten sie einander aus ihren Leben und über ihre Entwicklungen berichtet. Jede von ihnen hatte die Einzigartigkeit der jeweils anderen am gestrigen Tag gespürt, fühlte sie auch jetzt, in diesem Augenblick. Ihnen zu vertrauen, fiel keiner der Anwesenden schwer, brummte das Universum ihnen doch ähnliche Schicksale auf. Außergewöhnliche, außerordentliche, fast magische Lebens- und Leidenswege für außergewöhnliche Frauen.
„Zusammengefasst bedeutet dieser Musaneko dir dasselbe, was Tora unserer Tigress hier bedeutet“, hakte Freya nach, deutete auf die Thaiboxerin. Sie wiederum ergänzte: „Und Ermano dir.“ - „Ne“, dementierte Empress Draconis, schüttelte den Kopf, sodass ihre schwarzbraunen Wellen tanzten, „mit Ermano ficke ich. Wenn du dir das Bett mit deinem Schmusekater teilst, dann streckt er dir maximal den Arsch ins Gesicht.“ Hilda grunzte, verschluckte sich an ihrem Cappuccino. Den dritten, welchen sie in der Zeit bestellt hatte. „Die da“, Freya zeigte mit dem Kaffeelöffel auf Cereza, die eben einen Schluck ihres zweiten Latte macchiato trank, „ist vermutlich noch Jungfrau. Sorry, aber so schaust du aus. Völlig prüde.“ Rot im Gesicht, die Wangen vor Scham angelaufen, entgegnete Reza: „Zunächst einmal, ich hatte einen Freund, ehe ich vom Traumstein in meine Albtraumwelt verschleppt wurde.“ Freya wollte etwas sagen, der Fuchs schnitt ihr das Wort ab. „Dort“, berichtete sie, „konzentrierte ich mich auf mein Training, nicht auf mein Liebesleben. So lauteten nun einmal die Regeln der Traumwelt, Herrgott!“ - „Mhm“, schnurrte der Drache, der Tiger enthielt sich. Es schien, als überzeugten die Ausflüchte des Rotschopfs die erfahrene Kämpferin nicht ansatzweise. Insofern setzte die einstige Suchende einen drauf: „Nebenbei, meine verehrte Empress Draconis, Musaneko, als wahrer Schwertmeister, einzig der Bestrebung nachgehend, Perfektion zu erlangen, verschrieb sich dem Zölibat!“ - „Mein ehemals bester Freund und einstiger Mönch, Bhakdi, entsagte der fleischlichen Liebe auch einmal“, mischte sich Hilda ein, „mittlerweile leben wir in Portland zusammen, sind ein Paar und haben ungefähr zweimal am Tag Sex. Wenn nicht gerade Tora meint, er müsse Voyeur spielen und uns dabei beobachten.“ Cerezas Schamröte gewann eine neue Dimension. Vor Lachen hielt Freya sich den flachen Bauch, stieß beinahe ihre Tasse mit schwarzem Kaffee um. „Wie oft hat dein Meisterschwertkämpfer sein Zölibat vergessen, hä?“, kicherte sie. Keine Antwort. Jedenfalls keine verbale. Schweigen und das Rot von frischer Tomatensoße sprachen Bände.
Um die Situation zu entspannen, schlug Hilda vor: „Hey, so lange wir gemeinsam in der Stadt verweilen, wollen wir uns nicht mit unseren Männern und Freunden treffen. Inklusive deines Sohnes und deiner Patentochter natürlich, Freya. Und meinem Krafttier in seiner Katzengestalt.“ - „Klar!“, stimmte Empress Draconis freudestrahlend zu, „Lisias und Onkel Luigi freuen sich bestimmt! Meinen Ermano bekomme ich schon weichgeklopft, damit er sich anschließt!“ - „Chico ist pflegeleicht“, ergänzte Reza, „seit ich ihn gestern aus dem Tierheim abgeholt habe, ist er ganz der Hund, den ich in meiner Traumwelt kennenlernen durfte. Zugegeben, er vermag nicht zu sprechen oder auf zwei Beinen zu stehen. Dennoch zeigt er denselben liebevollen und offenen Charakter. Was Musaneko, oder Musashi, angeht“, Cereza lachte, „bin ich bei dir, Freya. Wie du deinen Kerl, bekomme ich meinen überzeugt!“ - „Damit wäre alles gesagt“, sagte Hilda zwinkernd. Zum Abschluss klatschte Freya die Hände zusammen. „Amen!“

Eine weitere Runde Kaffee schwarz, Latte macchiato und Cappuccino später, standen die Details der Verabredung. Freya, Hilda und Cereza widmeten sich gerade der Frage, ob sie noch etwas essen gehen oder zu ihren Männern zurückgehen sollten (schon deshalb, da Freya Celio in der Obhut der größten Chaosfamilie gelassen hatte). Plötzlich erregte eine Gestalt die Aufmerksamkeit des Frauentrios. Ein Mädchen, sicherlich nicht älter als Mitte 20, betrat das Café. Vor ihrem Tisch, einem wunderbaren Platz am Fenster, verharrte das blonde Wesen. Stumm und staunend betrachteten die drei Tischgenossinnen die Hereingekommene. Für einen kurzen Wimpernschlag schauten dunkelblaue Augen auf sie herab, in welchen sich das gesamte Universum zu spiegeln schien. Das blonde, zierliche Geschöpf lächelte. Ihr Lächeln erzählte tausend Geschichten. Und obgleich sie einander nicht kannten, wirkte ihre unscheinbare Geste, als ob sie Herzen und Seelen der Drei lesen konnte.
Der magische Moment verging. Eine zweite Blondine platzte in die Szene, deren Ausstrahlung zweifellos Gefahr vermittelte. Mit ihr war definitiv nicht gut Kirschen essen! Miss „unheimliche Aura“ raunte, beinahe unhörbar: „Ist es wieder so weit, ja? Die Königin fordert meinen Einsatz?“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Nicht ganz“, korrigierte es, „ich halte dich für die am geeignetste Person für den Job!“ Blondine Nummer Zwei verzog die Mundwinkel, was wohl einem Grinsen gleichkommen sollte.
Eine Kellnerin rückte an. Die ernst dreinschauende Miss hob die Hand, ehe die Bedienstete, offenkundig eine Studentin, einen Ton verlautbaren konnte. „Meine Bestellung“, sagte sie, ihre Stimme genauso ernst wie ihre Miene, „zum Mitnehmen!“ Die Anweisung, würdig einer wahren Anführerin. In den darauffolgenden Sekundenbruchteilen hielt sie ihr Smartphone an die rosafarbenen Lippen, nahm eine Sprachnachricht auf. „Liebling, ich verspäte mich heute“, begann sie, „kümmere dich bitte darum, dass Dawn ihre Hausaufgaben erledigt und ermahne unseren Spitzbuben von Sohn, bei Schlägereien nicht auf seine Dämonenkräfte zurückzugreifen!“ - „Du hast einen Erdendämon geheiratet?“, fragte die Jüngere außer Fassung. Scheinbar schenkte sie dem Gehörten wenig Glauben. Schnell wurde sie eines Besseren belehrt. „Er ist Arzt“, rechtfertigte Miss „ernstes Gesicht“, als ob dies alles erklären würde. Die Blondine mit den mitternachtsblauen Augen erwiderte nichts, grinste lediglich. Die Blondine mit den hellblauen Augen, welche das Licht des silbernen Mondes widerzuspiegeln schienen, warf einen Blick auf die Frauen am Tisch. Für den winzigen Bruchteil einer unbedeutenden Zeitspanne standen sämtliche Uhrzeiger weltweit still. Zwischen Empress Freya Kasai Draconis, Captain Hilda „The Tigress“ Moore, Samuraischülerin Cereza Wagner und der Anführerin entstand eine stille Kommunikation. Sie kannten einander nicht. Trotzdem waren sie sich im Klaren darüber, allesamt Kriegerinnen zu sein. Krieger erkannten einander. Egal wann, egal wo. Das Frauentrio vermittelte der Fremden, dass sie jederzeit auf ihre Hilfe setzten durfte. Die Fremde nahm die angebotene Unterstützung dankbar zur Kenntnis. Dies vermittelte sie mit einem leichten, fast unkenntlichen Nicken. Ein weiteres Mal warf die junge Blonde das Lächeln einer zu Höherem berufenen, guten Seele zu.
Im Gehen führte die Hexe das Smartphone erneut an ihre Lippen. Ein weiteres Mal nahm sie eine Sprachnachricht auf, nun jedoch nicht gerichtet an eine einzelne Person, sondern eine Gruppe. Ihre Worte erreichten die Ohren der zurückbleibenden, außergewöhnlichen Frauen Freya, Hilda und Cereza. Mit einem gewaltigen Ausdruck in der Stimme, den ausnahmslos eine Jessica Adams besaß, sprach die Auserwählte der Tochter der Königin von Licht und Magie: „Kriegerinnen, macht euch bereit!“


Hilda, The Tigress, Moore
Empress Freya Kasai Draconis
Cereza Wagner
Arianna und die Kriegerinnen der Königin