Elementträger
„„Mit ungetrübtem Blick die Wahrheit sehen, das will ich.“
Prinz Ashitaka, Prinzessin Mononoke
Die Uhr schlug bereits Mitternacht, als eine müde Hexe mit drei der Erde unbekannten Mädchen aus dem Nichts in einer New Yorker Gasse auftauchte.
Typisch für Manhattan, belebten Menschenmassen die Straßen, auch, oder gerade zu später Stunde. Samstage versprachen Halligalli pur.
Doch selbst den unterschiedlichsten und verrücktesten Passanten fielen die außergewöhnlichen Fremden auf, die wahrlich ein groteskes Bild boten.
Die blonde Frau, mit einer lebendigen Echse auf der Schulter und heftig zerschnittenen Oberteil, aber ohne sichtbare Verletzungen, starrte grimmig. Neben ihr versank ein zierliches Mädchen in einem fast durchsichtigen Retro-Kleid, bestehend aus Stoff, welcher auf Erden fast ausschließlich für Kostüme Verwendung fand, beinah im Boden. Völlig fehl am Platz wirkte die rassige Schwarzhaarige in Indianerverkleidung. Hatte sie die Fastnacht verpasst?
Als wären die Gestalten nicht genug gewesen, komplettierte eine Domina das Gespann. Von ihr würden Unartige sich gern Bestrafungen gefallen lassen!
Jessi fluchte. Lautstark. Drei Minuten am Stück. Anstatt die Mädchen in der Gasse gegenüber ihres Apartments abzusetzen, hatte der verflixte Schlüssel sein Ziel um ein paar Blocks verfehlt. Das bedeutete, laufen. Schon wieder.
„Ich habe keinen Schimmer, wo zum Geier ich euch unterbringen soll. Für heute wird meine Wohnung wahrscheinlich genügen. Eine Lösung auf Dauer stellt sie keinesfalls dar. Shit, darüber hätte ich mir früher Gedanken machen sollen.“ - „Verfügt ihr nicht über Unterkünfte, vielleicht Gaststätten, die wir nutzen können?“, fragte Shanti.
Die Passanten, welche sie samt Gefolge unentwegt anstarrten, blendete Jessi aus. Auf Shantis Vorschlag lächelte sie kläglich, kommentierte dann: „Oh Liebchen, Willkommen in Manhattan! Sicher haben wir die. Wir Erdlinge nennen sie ‚Hotels‘. Mit meinem Einkommen kann ich die Zimmer aber nicht finanzieren. Jedenfalls keine einigermaßen anständigen.“
Selbst das war noch untertrieben. Ihr Einkommen genügte gerade einmal, um die Miete zu bezahlen, den Kühlschrank vielleicht zur Hälfte zu füllen. Hotel? Nie im Leben. Tja, Jessi war schon eine arme Sau! Apropos. Chuck lutschte über ihr Ohr und ließ die Hexe vor Ekel zusammenfahren.
„Chuck, hör auf, mich ständig abzulecken! Auf deiner Zunge kleben Fliegenreste!“
Von den Resten der Ratte zum Abendbrot ganz zu schweigen! Die Leute auf der Straße beglotzten das komische Grüppchen eindringender.
Eine Amerikanerin quatschte mit einem Reptil. Eine Verrückte unter vielen.
„Sprich mich das nächste Mal gleich an!“, flüsterte Chuck, damit die Menschen wenigstens ihn nicht sprechen hörten.
„Okay, Besserwisser, leg los!“, erwiderte Jessi kurz vor dem Nervenzusammenbruch.
Nebenbei bemerkt, erlitten diesen ebenso ihre Mädchen. Yelina hasste Streit und alles, was ihm ähnelte. Durchgängig betrachtete sie den Boden. Seufzend rieb Shanti ihren Nacken. Das Gezanke hatte sie bereits zur Genüge auf Ecliso ertragen müssen. Als die Einzige unter ihnen amüsierte sich Nica. Sie schleppte ein Dauergrinsen im Gesicht umher. Schattenelfen standen auf Action.
The No Duck blinzelte mit den Augen. Dabei erschien ein Gegenstand.
Unvermittelt landete ein Kärtchen aus Plastik in Jessicas Händen.
„Was zur Hölle ist das?“, wollte sie wissen. Kritisch runzelte sie die Stirn.
Derweil hofften die Priesterinnen, bald anzukommen. Vor den Menschen um sie herum gruselten sie sich. Die Priesterinnen hatten mehr Angst vor den Normalsterblichen, wie die vor ihnen. Die hielten sie nur für geistesgestört.
Chuck grummelte, wechselte seine Liegeposition.
„Stell dich nicht blöd! Ihr Amerikaner benutz die Dinger doch tagtäglich!“
Angewurzelt blieb Jessi stehen, erntete verwirrte Blicke von ihren Begleiterinnen.
Klar doch! Eine Kreditkarte!
Sofort inspizierte sie das Teil. Ein Keuchen entglitt ihr.
„No Duck? Wieso bist du im Besitz einer American Express Platin Card?“
Mit dem Begriff konnten die „Ausländerinnen“ nichts anfangen. Untereinander wechselten sie verwirrte Blicke.
Chuck hob einen Finger (er hob einen Finger!).
„Nicht ich, Schatz! Sie gehört der Königin!“
Jetzt fiel Jessi aus allen Wolken.
„Bitte?“
Zustimmend nickte Chuck, was die Hexe schwer aus dem Konzept brachte.
Deswegen musste sie hinterfragen: „Was treibt die Königin von Licht und Magie mit einem irdischen Kreditrahmen?“
Das Reptil glotzte sie verständnislos an.
„Meine Liebe, dir ist hoffentlich bekannt, dass die Königin kurz vor dem Jahr 1500 ihren Ehemann in Italien getroffen hatte? Celestia war schon immer ein Freund dieses von Gott geschaffenen Planeten gewesen. Natürlich hatte Koleos, ihr König, gewisse finanzielle Mittel besessen. Du musst wissen, er stammt aus einer wohlhabenden Familie. Seit 1540 die Deutsche und folgend 1554 die Londoner Börse entstanden waren, investierte das Königspaar in Wertpapiere. Bis heute spekulieren sie am Kapitalmarkt. Mit Sicherheit entsprächen Celestia und Koleos den vermögendsten Menschen auf Erden. Soweit ich informiert bin, ist ihr Vermögen bei verschiedenen Banken auf der ganzen Welt angelegt. Für den Fall. Und falls sie eines Tages ihren Ruhestand in Italien verleben wollten. Du bist die Auserwählte, welche die Krieger formen und Ihnen ein Vorbild sein soll. Du führst sie im Kampf gegen das Böse. Deshalb soll es dir gut ergehen.“
Ungläubig stotterte Jessica: „Heisst das etwa, ich darf die Karte benutzen?“ - „Dir wird ein unbegrenztes Limit frei zur Verfügung gestellt, ja!“, ergänzte Chuck.
Geschlagene 5 Minuten verweilte Jessica regungslos auf der Stelle.
Zwischendurch pikste Nica in Jessis Oberarm, um zu prüfen, ob sie lebte.
Die Priesterinnen begriffen die Bedeutung der Worte unbegrenztes Kreditkartenlimit natürlich keineswegs.
Letzten Ende brach Nica das Schweigen: „Hör mal, Hexe, hast du etwas zu futtern?“ - „Oh ja, bitte! Mein Magen knurrt ebenfalls!“, unterstützte Shanti ihre Schwester.
Jessica hob den Finger, machte den Mund auf, schloss ihn daraufhin wieder.
Sie benahm sich eindeutig seltsam.
Erneut erhob sie den Finger heben und öffnete den Mund. Dieses Mal kam etwas heraus.
„Muss ich die Verfügungen zurückbezahlen?“ - „Nein, natürlich nicht!“, winkte Chuck ab. Er rollte die Augen, als ob das doch offensichtlich wäre.
Schlagartig in den siebten Himmel hinauf motiviert, gebot Jessi den Mädchen: „Alles klar! Gehen wir einen Happen essen. Ich lade euch ein.“
Auf eine seltsame Art und Weise glitzerte ihre Augen.
„Morgen früh suchen wir uns eine tolle neue Bleibe! Hi hi! Ich denke da an ein vier bis fünf Sterne Hotel. Hm. Schade, dass bei Fünfen die Reihe aufwärts aufhört.“ - „Muss ja ne tolle Neuigkeit gewesen sein, die du vorbrachtest, Echse“, staunte Nica über Jessicas fantastische Laune.
„Und wo finden wir in deinem Wohnort so spät was zu beißen?“
Erwartungsvoll sahen die Priesterinnen sie an.
Nachdenklich neigte Jessica den Kopf, ehe sie entschloss: „Ach, Scheiß drauf. Nehmen wir ein Taxi! Auf zu McDonalds!“
Die Taxifahrt entpuppte sich als wahr gewordener Höhepunkt für die der Erde Fremden. Zu dritt saßen sie hinten, die Hexe mit Chuck auf dem Schoß vorn.
Yelina, welche die Mitte des Rücksitzes bezog, wurde von beiden Schwestern regelrecht eingequetscht, die ihre Gesichter staunend an die Fensterscheiben pressten. Eine Stadt solchen Ausmaßes bestaunten sie zum ersten Mal. Auf ihrem Weg hielten sie an einem Bankautomaten. Jessi – für gewöhnlich misstrauisch – prüfte die Funktionalität ihrer neusten Errungenschaft.
Die Barabhebung erforderte eine PIN. Auf Chucks Anweisung tippte sie das Jahr ein, in welchem sich König und Königin kennengelernt hatten, 1494.
Rattern verkündete die Auszahlung. Jessi zählte das Bündel mehrfach, immer in der Angst, sie würde aus einem schönen Traum erwachen. Es war real und die Karte ihr neuer bester Freund.
Mit einem ordentlichen Bestand an finanziellen Mitteln im Handtäschchen führte das Gespann die Fahrt fort. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Kleidung bestellte Jessica das Diner vorsichtshalber beim Drive-in.
„Vier BigMac, Filet-O-Fish, große Pommes, Coke Light und einmal 9er Chicken McNuggets, bitte!“, orderte sie.
„Äh, Jessi? Was immer du besorgst, wir Purianer sind Vegetarier“, piepste Yelina von hinten.
Völlig entsetzt riss Shanti die Augen auf, unfähig zu glauben, dass Personen existierten, die kein Fleisch verzehrten. Sie selbst liebte Tiere. Deswegen dankte sie Mutter Natur stets für deren Gaben.
„Im Ernst? Alle Geschöpfe Puras?“, krisch sie daher.
Die Lichtelfe nickte.
Jessi warf einen Blick in den Rückspiegel. „Schätzchen, heute bist du keine Vegetarierin!“, erstickte die Hexe die Diskussion im Keim.
Über ihren jüngsten Befehl lachte Nica herzhaft.
Der Taxifahrer, angeblich hieß er Ramos, stierte böse und mahnte: „Ladys, hier im Auto wird aber kein Essen verzehrt! Ihr holt es ab und nehmt es mit nach Hause!“
Ein deutlich böserer Gesichtsausdruck als sein eigener, stammend von der Blondine neben ihm, ließ ihn zusammenzucken.
„Silenzio!“, zauberte Jessica.
Die restliche Strecke schwieg Ramos, darüberhinaus hatte er keinerlei Probleme mehr mit Essen im Auto.
Sobald sie die Bestellung abgeholt hatten, verteilte Jessi die duftenden Tüten an die Mädchen. Wie kleine Kinder an Weihnachten freuen sich die Priesterinnen, schmachteten die vor ihnen ausgebreiteten Burger und Pommes Frites an. Ramos sah stur geradeaus.
Zauberei – einfach fabelhaft!
Als Nica den ersten Bissen hinunterschluckte, weinte sie fast.
Fast Food der Erde stellte keinen Vergleich zu den ungenießbaren Lebensmitteln auf Ecliso dar. Yelina wechselte genussvoll von Vegetarier zu Fleischesser. Chuck ergötzte sich an den Hähnchen Nuggets. Jessi befürchtete, den Tagesbedarf an Kalorien auf einen Schnaps verdrückt zu haben und sah ihr Hüftgold wachsen. Aber eine Ausnahme in der Woche durfte sein, besagten jedenfalls diverse Diätprogramme.
Während Jessi die Kalorien zählte, schwelgten Shanti, Yelina und Nica in Glückseligkeit. Daheim angekommen, befürchte Jessica, die Größe ihrer Wohnung könnte für Kritik sorgen. Das glatte Gegenteil war der Fall. Völlig aus dem Häuschen erforschten die Mädchen jeden Raum, Nica staunte hauptsächlich über das Badezimmer, zuvörderst die Dusche. Analog zum Verhalten eines Kleinkindes öffnete und schloss sie den Wasserhahn, beobachtete das fließende Wasser und spielte damit mehrere Minuten lang.
Heute Nacht nannte Jessica berechtigterweise drei Kinder ihr Eigen.
Befürchtungen hinsichtlich mangelnder Schlafplätze erwiesen sich als unbegründet. Nica und Shanti schliefen auf dem Boden, absolut zufrieden mit den weichen Decken, welche Jessica ihnen zur Verfügung stellte. Die Wohnungsmieterin pennte auf der Couch, damit ihre Engelhaftigkeit Yelina das Bett beziehen konnte. So verstrich der Priesterinnen erste Nacht auf Erden.
Am nächsten Morgen frühstückte das Quartett samt Haustier auswärts.
Wen interessierten bitte Kalorien?
Einen Tag zuvor hatten sie hart gekämpft, die Mahlzeit damit verdient.
Ähnlich zum gestrigen Abend staunten die Mädchen über lecker aufgetischte Sandwiches, deftige Bacon and Eggs, süße Pancakes angereichert mit Ahornsirup und über süße Erdnussbutter. Die Menge an Nahrung, die Nica in sich hinein schaufelte, stand in keinem Verhältnis zu ihrem schlanken Körper. Sie musste eine Verbrennung sondergleichen besitzen. Entspannt lehnte sich Jessica zurück. Ihr Konto blieb unberührt!
Zu ihrer nächsten Anlaufstelle erklärte sie das Shoppingcenter. In ihren aktuellen Klamotten konnten die Priesterinnen keinesfalls durch die Gegend laufen. Nica diskutierte leidenschaftlich über das Thema „Umziehen“. Sie vertrat die Auffassung, ein Krieger musste einschüchternd aussehen. Ohne, dass ihr eine bessere Idee gekommen wäre, schleppte Jessi die nörgelnde Schattenelfe zum nächsten Erotikshop und präsentierte ihr, was Menschen unter ihrem Aufgebot an Lack und Leder verstanden. Zutiefst entrüstet, hörte Nica mit dem Gezeter auf, ließ sich sogar breitschlagen, für menschliche Verhältnisse normale Kleidungsstücke auszuwählen.
Eine Vielzahl an Einkaufstüten im Schlepptau brachten die Hexe auf eine spontane Idee. Für einige Zeit überließ sie die Mädchen sich selbst, in der Hoffnung, sie würden im Einkaufszentrum schon keinen Unfug anstellen.
Chuck blieb bei ihnen, passte auf (Oh, lieber Himmel!).
Kurze Zeit später erreichte Jessi wenige Blocks entfernt ein Autohaus. Mit drei Priesterinnen an der Backe und jeder Menge benötigtem Material musste sie eine Alternative für Taxifahrten finden. Früher nicht in der Lage ein Auto zu kaufen, packte Jessica die Karte unendlicher Glückseligkeit aus und betrat den Autohändler. Heute erfüllte sie sich einen lang gehegten Traum.
Der Angestellte musterte die junge Frau skeptisch. Das breiteste Lächeln aufgesetzt, zückte Jessi die Platin Kreditkarte. Nun bekam der Verkäufer, ein schmieriger Typ, mit einer noch schmierigeren Schmalztolle, große Augen.
Unverschämt merkte die Hexe an: „Die ausgestellten Modelle beeindrucken mich kaum. Was steht denn bei euch im Lager so herum?“
20 Minuten später rollte ein brandneuer GMC Yukon in schwarzer Metallic-Lackierung und auffälligen Felgen auf den Parkplatz des Shopping-Centers.
Selbstredend wartete keine der Elfen am vereinbarten Platz, einem kleinen Brunnen inmitten der Halle. Was hatte sie erwartet? Leidlich suchte Jessica die Geschäfte ab, ihre fröhliche Stimmung sank allmählich in den Keller.
In einem Laden für Malereizubehör fand sie Yelina. Den glänzenden Augen der Lichtelfe schaffte Jessica letzten Endes nicht zu widerstehen, somit sponserte sie ihr die begehrten Artikel. Gut, dafür hatte sie erst kürzlich einen SUV gekauft.
Nica drückte ihre Nase an einem Fenster des inbegriffenen Fitnesscenters platt. Im Studio belegten Damen einen Zumba Kurs, welchen Passanten durch die Glasscheibe verfolgen konnten. Eine hingerissene Schattenelfe vom Anblick der Tanzenden wegzubekommen, erwies sich als beinahe schwieriger, als einen Kampf gegen Insektenkönigin Schaschett zu bestreiten.
Es ging weiter, Waldelfe Shanti setzte einen obendrauf.
Gemütlich hockte sie im Schneidersitz auf dem Boden eines Tiergeschäftes.
Dieses bot immer wieder verirrte Streuner an. Ihre Umwelt komplett vergessend streichelte Shanti eine schöne schwarze Katze mit gelb-braunen Augen. Chuck versteckte seinen zitternden Prachtkörper hinter ihrem Rücken.
Scheinbar fürchtete er sich vor den Vierbeinern.
Es war schwer gewesen, Nica von Zumba loszureißen. Shanti vom Kater wegzubekommen? Unmöglich!
Flehentlich vertraute sie Jessica an: „Ich höre seine Stimme. Er kommuniziert mit mir.“
Na prima!
Nach Bitten und Betteln, Strampeln, Grunzen, einem Heulkrampf inklusive Krokodilstränen, gefolgt von einer Schimpftirade, gab Jessi nach.
„Meinetwegen!“, stöhnte sie.
Armer Chuck. Der erlitt soeben einen Schlaganfall.
Nachdem sie das Notwendigste eingekauft hatten, verstauten die Mädchen ihre Errungenschaften im großen Kofferraum des neuen Wagens, welchen sie zuvor beeindruckt inspizierten.
Samt Tieren und Gepäck brauste Jessica Downtown, ein breites Grinsen im Gesicht.
Nächster Stopp: das Four Seasons!
Fragte man Jessi, wählte sie das Hotel lediglich, da es für ihr Vorhaben perfekt geeignet schien.
Natürlich hatte ihre Auswahl nichts mit Eigennutz zu tun!
Das Fünf Sterne Hotel bot neben für New York seltene Parkmöglichkeiten ein Fitnessstudio, Wellness Center, Pool, kostenloses WLAN und vor allem ausreichend Platz.
Ja, der Platz. Der entschied die Sache!
Die Mädchen kreischten, aus dem Staunen kamen sie nicht mehr raus.
Vorerst buchte Jessi zwei Doppelzimmer, ließ die Zwillinge in einem davon unterkommen und teilte sich selbst das andere mit Yelina.
Nach dem üppigen Abendessen eines schnell verflogenen Tages kehrten sie zunächst in ein Zimmer zurück, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Wohlwollend öffnete die Hexe eine Flasche Wein, ein Geschenk des Hauses.
Das bedeutete wohl Luxus!
Indessen Jessi den edlen Tropfen genoss, mampften die Mädchen Süßigkeiten aus dem Supermarkt. Damit waren sie hundertprozentig zufrieden.
„Also“, begann die Hexe und setzte sich zu ihren Mitstreiterinnen auf den Boden „Erzählt mir alles, was ihr über die Elementkrieger wisst.“ - „Gar nichts“, erwiderte Nica kauend, schnipste eine Schokoladenverpackung fort.
„Die Königin erweckte sie bisher nie, darum besitzen wir keinerlei brauchbare Erfahrungswerte“, ergänzte Yelina.
„Aber eure Vorfahren bereiteten euch doch auf die Aufgabe als Hohepriester vor?“, staunte Jessi.
„Das ist richtig“, bestätigte Shanti, korrigierte aber Jessicas Wissensstand „Mein Unterricht bestand aus der Beschwörung meiner eigenen Magie, nicht aus dem Rufen der Krieger. Euch erging es wahrscheinlich ähnlich?“
Fragend musterte sie die Runde.
„Ich hatte keine Lehrstunden, sondern brachte mir alles selbst bei“, bekundete Nica.
Jessica seufzte. Sie befürchtete, wohin das führte.
„Könnt ihr mir wenigstens verraten, auf welche Weise die Elementkrieger erwachen?“
Viel Hoffnung hegte sie nicht. Tatsächlich erhielt sie lediglich genussvolles Schmatzen von Shanti und Nica zur Antwort. Warum hatte Jessi nur klein beigegeben und derartig viele Naschereien gekauft? Wenigstens hatte sie auf die Pringles verzichtet.
Nach einer Weile guten Hungers ergriff Yelina schüchtern das Wort: „Scheinbar löst ein gewisses Gefühl die magische Bindung aus.“ - „Moment“, ergänzte Shanti, „zunächst müssen die Krieger erwählt werden. Das erzählten mir zumindest die Alten.“
Sofort lief die Lichtelfe rot an. Jessica trank einen Schluck Alkohol.
„Wer bestimmt die Personen?“, wollte sie wissen.
„Die Quintessenzen der Elemente selbst. Ich dachte, das hätte ich dir bereits gesagt?“, raunte Chuck, gemütlich auf dem Nachttisch ruhend.
„Bekommst du etwa Alzheimer?“
Mittels Zauber fegte Jessi Chuck von seinem Platz. Quiekend purzelte er auf den Boden und – was die Hexe beabsichtigte – der Kater stürzte sich sofort auf das Reptil.
„Hilfe!“, brüllte The No Duck, versuchte verzweifelt die Wand hochzukraxeln.
Shanti drehte plötzlich den Kopf.
„Pan hatte gerade einen interessanten Gedanken gehabt, jedenfalls ehe er mit Chuck spielte.“ - „Das Untier spielt nicht mit mir!“, warf Chuck ein, den das Fellknäuel augenblicklich unter seinem pelzigen Körper begrub, „es foltert mich, bevor es mich frisst! So helft mir doch!“
Jeder, der hier Anwesenden, ignorierte ihn.
Stattdessen interessierte Nica: „Pan?“
Die Waldelfe nickte. „Ja, ich gab ihm diesen Namen. Eine Abkürzung von ‚Pantera‘. Den Begriff las ich in dem Einkaufszentrum. Ich meine, er sieht aus wie eine Miniversion eines schwarzen Panthers. Findet ihr nicht?“ - „Bei aller Liebe zu deinem tierischen Freund, raus mit der Sprache. Was dachte er?“, unterbrach Jessica Shantis Schwelgen, während Chuck um sein Leben kämpfte. Was niemanden kümmerte.
„Oh natürlich! Er dachte, möglicherweise hängen das Gefühl und die Erwählung aneinander“, gab Shanti kryptisch wieder.
Planlos starrten die jungen Frauen ins Leere.
„Das bedeutet dann allerdings, wir müssen abwarten und können aktiv nichts unternehmen, bis ein Stein auf eine Person reagiert, richtig?“, überlegte Jessi.
Sie schenkte sich Wein nach.
„Vermutlich“
Shanti warf einen Blick auf ihren kleinen Panther.
„Pan, ist gut jetzt! Lass die Eidechse in Ruhe!“
Unmittelbar gehorchte der Kater seiner Herrin. Unüblich für Katzen, doch Waldelfe Shanti war eben ein besonderes Frauchen!
„Bartagame!“, röchelte Chuck, plattgewalzt, aber stolz auf seine Herkunft.
„Das ist frustrierend!“, jammerte Nica, übertönte sein weinerliches Husten.
Bei Bezug der Zimmer hatten die Priesterinnen sämtliche Magiesteine der ihnen zugeordneten Elemente auf den einzigen Tisch des Raumes gelegt. Nachdenklich betrachtete Jessica die Kostbarkeiten. Yelina stopfte eine Praline in den Mund. Beinahe verschluckte sie sich an ihr, denn schlagartig erlitt sie einen Hustenanfall.
„Brauchst du ein Glas Wasser? Oder einen Schlag auf den Hinterkopf?“, frotzelte Nica.
Die Lichtelfe hörte ihre Freundin nicht, dagegen spürte sie, dass etwas vor sich ging. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie einen gelben Schein.
Kein Zweifel, der Ametrin glühte!
„Leute!“, fuhr Yelina, halb erstickt, auf, „ich glaube, lange müssen wir nicht ausharren! Seht!“
Aufgeregt deutete sie auf den Edelstein. Alle Augenpaare bestaunten den leuchtenden Edelstein. Plötzlich fuhren alle Damen hoch, reihten sich um den Tisch, gespannt auf das Folgende.
Yelina sollte recht behalten, lange warteten sie nicht.
Durch eine unsichtbare Macht erweckt, oder von den Gefühlen einer Person, wer wusste das zu diesem Zeitpunkt schon, erhob sich der Ametrin in die Luft, schwebte schwerelos im Raum. Erschrocken und fasziniert beobachteten Hexe und Priesterinnen sein eigenmächtiges Handeln.
Dann, gänzlich ohne Vorwarnung, verschwand der Stein im Nirgendwo.
Keiner begriff, was geschehen war oder geschah. Verdutzt blickten sich die Kriegerinnen im Hotelzimmer um, fingen anschließend an Mutmaßungen zu diskutieren. Unfähig einer Regung horchte Yelina in ihr Herz hinein.
Da war das Gefühl. Die Verbundenheit zwischen Luft und Wind.
Sicher in ihrer Annahme klärte sie die Kameradinnen auf: „Ich weiß, wohin der Ametrin entschwand. Die Quintessenz des Elementes Luft sucht seinen Träger auf Pura!“
Wiederholt machte sich Jessica auf, das strahlende Reich immerwährender Reinheit aufzusuchen. Erfolgreich hatte sie ihre Priester rekrutiert. Fehlten die Elementkrieger.
Gespannt darauf, was sie dieses Mal erwarteten würde, ergriff sie den magischen Raumschlüssel, eine Hand lag auf ihrem Mondstein. Innerlich jagte sie ein Stoßgebet gen Himmel, bat um eine gute Reise und ebenso um ein wohlgesonnenes Element Luft.