Shanti – Priesterin des Waldes

„… Komm, renn mit mir im Schattenlicht der Wälder, probier die süßen Beeren dieser Welt, komm, wälze dich in ihrer reichen Vielfalt, und du merkst, dass im Leben dir nichts fehlt …“
Farbenspiel des Winds, Pocahontas

Falver, nahe Corrmas – Pulse Magia

Verdammte Schattenelfen! Als wären die Waldelfen nicht in der Lage, Ausreißer Eclisos zu fangen, dingfest zu machen und an den Wächter des kosmischen Raumes auszuliefern!
Beinahe jedes Mal, wenn Dämonen das Tor passierten, mischten ihre Artverwandten mit!
Hierbei reiste die Kriegergattung in aller Selbstverständlichkeit durch die für Ausnahmefälle vorgesehenen Portale.
In der Kommunikation mit Außenstehenden schoben sie ihr Eingreifen auf die Unfähigkeit der Waldelfen. Was an eine Absurdität grenzende Dreistigkeit grenzte. Shanti vermutete, die Schattenelfen genossen ihre Kurztrips auf dem blühenden Planeten Pulse Magia einfach und nutzten jede sich ihnen bietende Gelegenheit für einen Urlaub.
Doch wer wollte es ihnen verübeln?
Vom Hörensagen wusste sie, Ecliso glich einer toten, verwahrlosten Landschaft ohne Pflanzen, Tiere, Fische oder sonstigen Lebens.
Abgesehen von Tausenden an umherwimmelnden Dämonen.
Auch heute erwartete Shanti auf der Jagd ihren Vettern aus Ecliso zu begegnen. Wenige Stunden zurück hatten sich abstruse Kreaturen in diesen Teil des Weltalls geschlichen. Ein älteres Ehepaar hatte auf seinem Bauernhof erntereife Felder bestellt, da waren die Dämonen an ihnen vorbeigezogen. Glücklicherweise, ohne dem stattlichen Pärchen Leid zugefügt zu haben. Der Ehemann hatte seine Beobachtung sofort gemeldet. Oft versteckten sich die von Ecliso ausbüxenden Bestien im Falver, dem größten Wald Pulse Magias. Dort lauerten sie auf Beute. Spaziergänger, Tiere, ebenso ansässige Waldelfen, fielen ihnen zum Opfer. Dämonenwesen frassen alles. Sie raubten Lebenskraft, Seelen und Magie. Sobald eine Warnung eintraf, handelten die Jäger sofort.
Mussten sie. Die Schäden waren sonst verheerend.
Shanti liebte die Jagd und den Kampf, sie tötete aber nur, wenn ihr die Umstände keine andere Option gewährten.
Alle Waldelfen lebten und arbeiteten in Corrmas, einem Dorf, welches in U-Form von Falver, ihrem Heiligtum, umrankt wurde. Wald und Siedlung erstreckten sich über ein gebirgiges Areal. Die Häuser befanden sich daher nicht ausschließlich auf flacher Ebene, manche lagen direkt an der steil abfallende Felswand. Die zum Wohnen ungünstige Lage bot taktischen Schutz vor Eindringlingen, zudem zahlreiche Rückzugsmöglichkeiten.
Schwierige Lebensbedingungen härteten die Waldelfen von Geburt an ab.
Würde man einen Erdling fragen, entspräche Corrmas mehr einer Vorstadt, weniger einem Dorf. Für Menschenverhältnisse eine wahrhaftige Aussage. Pulse Magia, fünffach gewaltiger als die Erde, glich einem regelrechten Meisterstück der Schöpfung. So bestand Pulse Magia aus verschiedenen Kontinenten, umgeben von riesigen, schneebedeckten Gebirgsketten, saftigen Hainen und tiefen, türkisfarbenen Meeren. Zivilisation und Fortschritt waren je nach Weltteil unterschiedlich ausgereift. Auf manchen Landflächen waren riesige, moderne Städte entstanden. Technische Wunderwerke ergänzten die bunt blickende Lichtervielfalt der Industrie, Wohnblöcke und Handelshäfen. Identisch mit den Metropolen der Erde, lebte eine Vielzahl an unterschiedlichen Charakteren diverser Rassen dort. Auf Magie waren die Bewohner der Großstädte größtenteils nicht angewiesen, verfügten sie doch über allerhand Alltagshelfer, die ihnen ihr Dasein vereinfachten. Auf der Erde noch ein Traum, fuhren Einwohner der Städte Pulse Magias nicht in Autos umher, sondern flogen großteils mit Luftschiffen durch die Gegend. Innerhalb einer Ortschaft stellte es kein Problem dar, von einem Ort zum anderen zu gelangen. Bahn und Züge bildeten eine lebendige Infrastruktur. Außerhalb der Städte erstrecken sich die Wege in solche Längen, dass auf Luftfahrt zurückgegriffen werden musste. Neben den digitalisierten Welten existierten naturbelassene Zonen, die teilweise ganz ohne Technologie auskamen, dafür geprägt waren von Ackerbau, Landwirtschaft und Handel.
Eine ökologisch reine Umwelt ermöglichte vielerlei Tierarten Zuflucht. Jedes der beeindruckenden Geschöpfe kämpfte um einen Rangplatz oberhalb der Nahrungskette.
Mit der Zeit hatten die Räuber härtere Schuppen und Panzer, schärfere Krallen und längere Reißzähne entwickelt, die ihnen das Überleben ermöglichten, aber ansässige Magier zwangen, auf Magie zurückzugreifen.
Um mit den aggressiven Tieren mithalten zu können, war die magische Kreativität gereift. Auf diese Weise waren die ersten magischen Waffen entstanden. Solche, die mit der Kraft ihrer Nutzer gespeist wurden.
Zusammen mit Pulse Magia hatte sich Falver gebildet, der größte Wald und das Herzstück des Planeten. Die Wurzeln jedes einzelnen Baumes waren mit dem Erdkern verbunden, die Bewohner schuldeten Falver ihr Leben sowie ihre Magie. Seine Bäume reinigten die Magie, parallel zur geatmeten Luft. Sie speicherten sämtliche Energie des Planeten plus seiner Bewohner in ihren Baumkronen. Umgekehrt bedeutete dies, verging Falver eines Tages, erlosch nebstdem alle Magie auf Pulse Magia. Das Reich würde aussterben.
In der Nähe des riesigen Falver, unweit des Dorfes Corrmas gelegen, befand sich das einzige interdimensionale Tor. Errichtet an der Stelle zu dem Zweck, Bedrohungen zeitnah zu erkennen. Wie im aktuellsten Fall.
Shanti packte Pfeil und Bogen.
Das Haus ihrer Adoptiveltern lag am Hang. Seit ihrer Kindheit an Bergsteigen gewöhnt, benötigte sie wenig Zeit, um vom Dorf in den Wald zu gelangen. Trotz ihrer jungen 16 Jahre eine der besten Kämpferinnen unter den Waldelfen, hatte Shanti bisher jeden Feind erwischt. Zumindest dann, wenn die Schattenelfen nicht dazwischen gegrätscht hatten.
Nicht alle Männer oder Frauen ihrer Sippe, jagten. Unter ihresgleichen fielen ebenso normale, gewöhnliche Tätigkeiten an.
Analog anderer Gemeinden gab es Geschäfte mit Händlern für allerlei Waren, ebenso Bäcker, Forstarbeiter, Bauern, Fischer, Schneider, Schulen sowie Bauarbeiter. Die Leute unterstützten einander, schirmten sich von allen weiteren Reichen allerdings ab. Was zum Leben benötigt wurde, gab der Wald und die umliegende Landschaft her. Der Stamm der Waldelfen lebte in Ruhe und Frieden. Bis auf zwei Ausnahmen. Die Jäger unter ihnen sammelten Dämonen und Schwarzmagier ein, benachrichtigten daraufhin den Wächter des kosmischen Raumes. Zwecks Abholung der Flüchtigen. Schlimmstenfalls musste ein Elf solch eine Kreatur töten, fügte sie sich nicht.
Selten kam es vor, dass ein Waldelf sein Leben ließ. Eine dieser unglücklichen Seelen war ihre leibliche Mutter gewesen, wie Shanti von ihren Pflegeeltern erfahren hatte, die sie als Baby aufgenommen hatten. Was ihren Vater anbelangte, so hüllten die Eltern seine Identität in einen Kokon des Schweigens.
Der zweite Grund, welcher den Frieden des alltäglichen Lebens in Corrmas belastete, lag in Shantis Erbe begründet. Die Bürde der Priesterin.
Von Kindesbeinen an bereithaltend, hatte Shanti sämtliche notwendige Verfolgungs- und Gefechtsfertigkeiten erlernt. Manchmal belastete sie ihre Verantwortung. In diesen Zeiten wünschte sie sich, schlicht ein normales Mädchen zu sein. Dann rannte sie durch den Wald. Mehr als alles andere auf der Welt liebte sie seine Präsenz. Umgeben von Natur fühlte sie absolute, grenzenlose Freiheit. Training kümmerte sie nicht, klettern und wandern zählten zu ihren liebsten Beschäftigungen. Oftmals blieb sie über Nacht, verweilte tagelang im Falver. Natürlich informierte sie ihre Eltern vorab, doch ihre Ausflüge standen nie zur Debatte. Abgesehen davon wusste sich eine Waldelfe zu versorgen, Nahrung zu beschaffen und zu verteidigen. Niemals hatte Shanti den Falver komplett durchquert, derart gigantisch erschien der Wald. Dafür kannte sie ihr Gebiet in- und auswendig, welches eine Reichweite von mehreren hundert Kilometern umfasste. Als Priesterin verfügte Shanti, neben perfekten Jagdinstinkten, außerordentlicher Kampfkunst, noch über eine besondere Fähigkeit. Seit sie denken konnte, hatte sie mit Tieren gesprochen und diese hatten ihr geantwortet. Shanti verstand die Geschöpfe des Waldes in der Tiefe ihrer Seele. Ausgelaugt vom Laufen, boten Hirsche oder Wölfe ihr Reitmöglichkeiten an, die sie meist dankbar annahm. Wenngleich das Mädchen insgeheim Katzen bevorzugte, genoss sie die Ritte auf den wilden Artgenossen der Hunde.
Ach, eigentlich liebte sie alle Tierarten!
Vermutlich spürten tierische Lebewesen Shantis wilden, ungezähmten Geist.
Damit sie effektiver mit der heutigen Suche nach den Dämonen vorankam, rief Shanti ihren Lieblingshirsch. Ihr Ruf entsprang keinem gesagten Wort, sondern einer speziellen Art des Pfeifens. Für jeden ihrer Lieblinge hatte sie einen eigenen Pfeifton entwickelt.
„Anton!“, lobte sie den Hirsch, als er antrabte.
Wölfe rannten schneller, doch die Wolffamilie hatte kürzlich Nachwuchs bekommen, deswegen wählte sie Hirsch Anton. Auf ihm galoppierte die Waldelfe durch die verzweigten Pfade, ihre Sinne waren zum Zerreißen geschärft, ihre Augen wachsam.
Das schien überhaupt die Idee zu sein!
Pfeifend rief sie einen ihr treuen Adler. Sofort unterstützte der Raubvogel sie aus der Luft.
Licht schimmerte durch die Blätter der dichten Baumkronen. Im Schein der Sonnenstrahlen, glitzerte ihr Ohrring. Am rechten Ohr trug sie eine Kreole aus echtem Bernstein. Dieser Bernsteinohrreif gab den Hinweis auf ihr verantwortungsvolles Priesteramt.
Minuten später erreichte Shanti eine herrliche, sonnendurchflutete Lichtung. Plötzlich zauderte ihr Reittier, der Adler schrie.
Dem angeschlossen, spürte Shanti eine dunkle Energie. Sicher versteckten sich die fremden Kreaturen in diesem Bereich. Bedächtig stieg Shanti von Anton ab, ihre Augen blickten überallhin. Um das Tier nicht in Gefahr zu bringen, schickte sie es fort. Zügigen Ganges und doch leise durchforstete die Elfe eine flache Ebene. Weil sie oft herkam, orientierte sie sich unverzüglich. Von oben herab blickend, sah die Waldlichtung wie eine runde Schneise aus, eingelassen in dichtes Laub.
„Diese bösartigen Viecher entweihen mir nicht meine Oase!“, fluchte das Elfenmädchen.
Kaum ausgesprochen, verstummten schlagartig jegliche natürliche Umgebungsgeräusche. Shanti ging mit ihrem handgeschnitzten Holzbogen und einem Pfeil im Anschlag in die Hocke. Angespannt horchte sie. Kein raschelndes Unterholz, keine singenden Vögel, keine zirpenden Insekten, kein zertrampeltes Gestrüpp. Stattdessen herrschte unnatürliche Stille. Ausnahmslos ihrem eigenen Atem lauschte sie.
Plötzlich spürte sie eine Verschiebung hinter ihrem Rücken. Ein Schatten schnellte über den Boden. Aus ihm heraus sprang ein abartiges Monster. Shanti blieb keine Zeit, abzufeuern.
Bevor der Dämon seine Fesseln in sie schlug, machte das Mädchen eine Rolle vorwärts.
Gerade rechtzeitig ausgewichen, griff schon eine zweite Gestalt von der Seite an. Diese hetzte blitzschnell aus dem Wald, auf Shanti zu. Aus ihrer Position schoss sie den gelagerten Pfeil ab. Großspurig verletzte der Schuss das Ungetüm nicht, dafür hatte die Waldelfe Zeit aufzuspringen und zwischen beiden eine günstige Kampfposition zu sichern.
Das Bogengeschoss hing in der Brust von Nummer Zwei. Vergleichbar mit anderen magischen Geschöpfen, konnten Dämonen nur getötet werden, indem man ihnen den Kopf abschlug oder das Herz durchbohrte.
Maximal ein mächtiger Weißmagiezauber vernichtete sie ansonsten. Shanti verabscheute das Töten. Im Angesichts ihres Feindes, dessen blutdurstige Aura vor Aggression schäumte, hatte sie wohl keine Wahl. Demnach zögerte sie nicht. Aktiv rannte sie auf Nummer Zwei zu. Im Lauf warf sie den Bogen in den Köcher und zückte ein um die Hüfte gebundenes Jagdmesser. Einen vielversprechend gelegenen Felsen nahm sie zur Sprunghilfe, stieß sich ab, landete elfengleich auf der Kreatur.
Die ihrerseits reagierte, indem sie Shanti an der Kehle packte. Mit ihren Beinen auf der Brust des Ungetüms ritzte ihm Shanti in die Hand.
Der Dämon ließ von ihrer Kehle ab. Hinter sich nahm sie die Bewegung von Nummer Eins wahr.
„Hinterlistiger Kerl!“, fauchte sie.
Die Brust von Nummer Zwei nutze sie nun zum Absprung, machte einen eleganten Salto rückwärts und stieß mit ihrer Klinge in das Herz von Nummer Eins. Dank ihrer angeborenen Fähigkeiten verfügte die Priesterin nicht nur über einen scharfen Verstand, sondern auch über Augen, die sie nie ein Ziel verfehlen ließen.
„Das war einfach“, stutzte die Kriegerin verwundert.
Nummer 2 brüllte.
Shanti drehte sich wieder zu ihm und drohte: „Keine Sorge, du wirst deinem Kumpel gleich folgen!“
Mit einem Satz überbrückte sie die Entfernung, ein hoher Tritt traf den Kopf des Monsters. Der Dämon krisch erneut. Unter Zuhilfenahme seiner scharfen Klauen schlitzte er seinen eigenen Brustkorb auf.
„Igitt, was soll das denn werden? Etwa Selbstmord?“, mutmaßte Shanti verstört. Tatsächlich! Unverhohlen riss er sein Herz heraus. Gut, dann war’s das eben. Mission erfüllt. Die Waldelfe machte sich auf den Weg ins Dorf zurück. Die Asche der Toten würde auf die Erde übergehen. Dachte Shanti.
Ein letzter gewaltiger Schrei hallte über die Waldlichtung. Das Herz des Dämons ging in schwarzen Flammen auf. Über die Schulter bespitzele Shanti jene grausame Szene.
Was sollte das? Ungute Gefühle kamen auf.
Sie lief einige Meter. Plötzlich verharrte sie inmitten der Bewegung. Fast zu spät erkannte sie die Antwort. Ein Signal, dämmerte ihr!
Überall um sie herum flogen Schatten, huschten über den Boden, glitten durch die entfernt stehenden Bäume. Das Spektakel dauerte einige Sekunden. Dann griffen alle auf einmal an. Shanti handelte instinktiv.
Bestmöglich wich sie den Attacken der Gestalten aus, hüpfte hin und her.
Bis sie registrierte, dass sie umzingelt war.
„Verdammt!“, entfuhr ihr.
Die Schemen kreisten Shanti ein, manifestierten sich. In der Falle sitzend, überblickte die Priesterin ihre heikle Situation.
Sieben Feinde! Offenbar hatten die zwei vorher nur die Vorhut gebildet.
Shanti schnupperte. Ihrem Geruchsinn vertraute sie blind. Die Luft roch nach Blut, Tod und Asche. Die Aura dieser Dämonen wirkte wesentlich intensiver im Vergleich zu den vorigen. Der Nachtrupp schien deutlich mehr auf dem Kasten zu haben.
Verdammt! Wie sollte sie es mit sieben Ecliso Dämonen gleichzeitig aufnehmen?
„Ich habe ein ungutes Gefühl, Liebling!“, vertraute Shantis Adoptivmutter ihrem Ehemann an.
„Ach, Schatz“, erwiderte er, „Shanti verweilt des Öfteren länger im Wald. Mach dir keine Gedanken“ – „Ja schon, nur. Na ja, wie soll ich sagen? Nenn es Mutterinstinkt oder weibliche Intuition.“ Nervös langte sie an ihren Hals, streichelte ihre Kehle.
Der stattliche Waldelfenmann lachte.
„Ich behaupte, mütterliche Sorgen!“
Jetzt stimmte sie in sein Lachen ein.
Er küsste sie liebevoll auf die Stirn.
„Ach, mein Liebster!“, hauchte sie zärtlich „Möglicherweise hast du recht! Besser ich bereite das Essen vor, das lenkt mich wenigstens ab! Wir haben noch Wildschwein!“ Der Mann klatschte in die Hände.
„Wildschwein, lecker!“
Mit einem Klaps auf den Po verabschiedete er seine Frau, als jemand überraschend an der Tür klopfte. Die beiden tauschten Blicke. Sekunden danach marschierte Shantis Adoptivvater zum Eingang ihrer karg ausgestatteten Holzhütte. Jeder in Corrmas lebte genügsam. Seine Frau schaute ihm panisch hinterher. Sobald er die Eichentür geöffnet hatte, blieb den Hausbewohnern die Spucke weg. Vor ihnen standen eine in hellen, goldenen Glanz gehüllte, purianische Lichtelfe, eine seltsam gekleidete, genervt dreinblickende Frau und ein komisches Tier.
Jessica war angepisst. So richtig angepisst!
Im Prinzip hatte sie gehofft, durch diesen produktiven Raumschlüssel ihre Priesterrekruten zügig zu finden, um abends pünktlich zum Superbowl auf der Couch Ben & Jerrys Cookie Dough reinzustopfen. Nicht einmal diese Kleinigkeit schien ihr vergönnt!
Yelinas Vater Cosmo hatte sie zu Tee und Kuchen eingeladen. Ausgesprochen höflich von ihm. Meinte sie. Dass ungefähr 100 seiner besten Freunde kommen und alles über Erde, Menschen, zuzüglich ihrer Begegnung mit der Königin von Licht und Magie erfahren wollten, hatte er mit keiner Silbe erwähnt! Mittlerweile Nachmittag geworden, noch mindestens zwei Priester vor sich habend, befürchtete die Hexe, Football würde heute ohne sie stattfinden.
Zugegeben, dafür hatte sie ihre erste Erfahrung mit einem interdimensionalen Tor gemacht. Es war eine deutlich befriedigender Erfahrung gewesen, als ihre Jungfräulichkeit damals zu verlieren. Zunächst unsichtbar, war eine Art große, abgerundete Tür mit verschnörkelten Ornamenten erschienen. Gegensätzlich zum goldenen Raumschlüssel des Wächters bestand dieser kleinere Türschlüssel aus Silber.
Jessica erfuhr, dass einzig ausgewählte Leute einen erhielten, insbesondere hohe Tiere beim magischen Rat. Oder eben Cosmo, ehemaliger Hohepriester und Ikone der Stadt Lichthallen. Die herzzerreißende Abschiedsszene zwischen Yelina und ihrem Vater hatte weitere 30 Minuten gekostet. Dann erst hatte er das Portal aktiviert. Zuvor hatte Jessica einen Witz gerissen, mit: „Sesam, öffne dich!“
Natürlich hatte den keiner kapiert.
Staubtrocken sprach Cosmo die Worte aus: „Porta, apri!“
Übersetzt bedeutete die Formel dasselbe, nur ohne „Sesam“. Und das Ding hatte funktioniert. Einfach so. Jessica war fertig mit der Welt gewesen. Innerhalb des Durchgangs war sie wieder aufgeblüht. Um sie herum war eine beeindruckende Sternkarte erschienen. Im Planetarium hatte Jessi eine ähnliche bestaunen dürfen. Eben nicht ganz so pompös.
Yelina hatte auf Pulse Magia getippt und die Sternkarte ein einziges Ziel angezeigt. Neugierig geworden, hatte Jessica mit der Karte herumgespielt, zum Vergleich die Erde ausgewählt. Drei Ausgänge. Offenbar befand einer sich in Amerika, Brooklyn Bridge, einer in London und, wer hätte es gedacht, einer in Italien. Für Pura hatten zwei zur Auswahl gestanden, Lichthallen und Pura Regna. Logisch eigentlich. Fasziniert, ach was, völlig aus dem Häuschen hatten die jungen Frauen das interaktive Gemälde ihrer Galaxie bewundert. Chuck war neutral geblieben. Nach erfolgreicher Auswahl des Tors auf Pulse Magia, hatte die Reise keine fünf Minuten gedauert. Währenddessen hatte Jessica sich wie in einem Vergnügungspark gefühlt. Dunkle Kuppeln schüttelten da einen auch immer durch. Mir nichts, dir nichts war das Rütteln beendet und der Ausgang hatte die Pforten geöffnet.
Ihre Bücher übertrieben nicht, Pulse Magia raubte Jessica den Atem. Yelina kämpfte ihrerseits mit Überforderung. Kein Wunder, immerhin wohnte sie ihr ganzes Leben lang in Lichthallen, hatte nie etwas anderes kennengelernt.
„Dein Vater erklärte, das Dorf der Waldelfen liege von hier aus gesehen ein Stück in südöstlicher Richtung. Den Wald sehe ich bereits. Wenn er in U-Form um das Dorf wächst und die Öffnung auf die Seite des Tors zeigt, können wir es theoretisch nicht verfehlen.“
Hoffte Jessica.
Die Damen marschierten nun fast eine Dreiviertelstunde. Chuck hatte es sich auf Jessis Schultern bequem gemacht.
Endlich im Dorf angekommen, steckten die Bewohner ihre Köpfe zusammen und tuschelten. Sie mieden die Fremden. Kritisch beäugte Jessica die Einheimischen. Einerseits empfand sie deren Vorsicht für verständlich. Lichtelfen verirrten sich normalerweise nicht in den Teil des Universums – überhaupt in einen anderen Teil außerhalb Puras. Der Anblick des lichtumfluteten Mädchens bewegte zumindest ein männliches Exemplar, ihnen den Weg zum Haus der Priesterin zu weisen, indes alle anderen Bewohner panisch die Flucht ergriffen.
Somit standen Yelina, Priesterin des Windes von Pura, Jessica, Hexe von der Erde und Chuck the No Duck von Nirgendwo vor der Tür einer Familie von Waldelfen.
Eisern blockte Shanti den willkürlichen, aber gemeinschaftlichen Ansturm der wild gewordenen Bestien. Pfeile nutzten an dieser Stelle wenig. Auch, wenn es sie Kraft kostete, musste Shanti in der Notsituation auf eine passendere Waffe zurückgreifen.
Kaum zum Atmen imstande, da sieben Dämonen sie pausenlos bedrängten, hoffte Shanti auf einen einzigen Moment zur Konzentration. Dieser Augenblick gewahrt ihr, als zwei abscheuliche Exemplare aus der Luft attackierten. Absichtlich glitt Shanti zu Boden, rutschte unter dem Angriff durch.
Ein drittes Biest gedachte die Kriegerin zu rammen. Pfiffig nutzte sie den Schwung ihrer Rutschpartie, um auf den Rammbock zu springen und sich abzustoßen.
Elfengleich hüpfte sie in die Luft.
Im Augenwinkel erfasste sie ein nahendes Monster, das zum Hieb nach oben ansetzte.
Den minimalen, dazwischenliegenden Augenblick nutzte sie.
„Foresta, mi da Forza! Wald, leih mir Kraft! Ascia Indiana!“
Der Bernstein glühte. In Shantis Händen erschien eine magische Waffe, in Form einer gigantischen Tomahawk Axt. Magische Waffen koppelten an die Kraft des Führenden, raubten ihm konsequent Energie. Daher unterlag ihre Nutzung einem Limit. Noch im Flug rotierte Shanti ihre Axt. Bei ihrer Landung schlug sie dem Kerl den Kopf ab.
„Sechs übrig“, bemerkte sie erfreut.
Abrupt hielt sie inne.
„Nein, wie ist das möglich?“, keuchte sie auf einmal „Jetzt sind es wieder sieben?“
Aus dem Schatten der Bäume ragte erneut ein Schemen heraus.
Drei Dämonen griffen nach ihr.
Zunächst blockte sie die körperbetonten Angriffe mit dem Tomahawk, reagierte dann in der passenden Sekunde und spaltete das Trio auf einen Schlag in der Mitte durch.
Abermals kamen Neue.
„Gibt’s hier ein Nest?“, fluchte das Mädchen verzweifelt „Erinnert mich fast an die Köpfe der Hydra!“
Absolut. Das Spielchen wiederholte sich und Shanti verstand weder Regeln noch fand sie eine geeignete Strategie, um gegenzusteuern.
Ausgelaugt, kurzweilig am Ende ihrer Kraft, überlegte Shanti, ob sie jemals wieder nach Hause kam. Die Kreaturen unterbrachen ihre Angriffsserie. Dankbar hechelte Shanti nach Atemluft, spitzte derweil allerdings die Ohren.
Einfach so gaben Dämonen keinesfalls klein bei! Etwas stimmte ganz und gar nicht!
Und tatsächlich! Aus dem Nichts öffnete sich ein magisches Tor zwischen den Dämonen und der Waldelfe. Ein weiterer Gast schritt heraus.
Im Gegensatz zu seinen Kameraden eine menschliche Gestalt.
Der Fremde lächelte Shanti an.
„Priesterin!“, raunte er, seine Stimme klang tief, „du schlugst dich wacker! Insgesamt acht meiner Dämonen besiegtest du. Leider sind meine Ressourcen begrenzt, also muss ich eingreifen, bevor du zufällig den Rest der hier umstehenden ausradierst!“
Nett!
Der Witzbold besaß eine fahle Haut, die dunkelgraue Zottelhaare, sowie schwarze Augen noch unterstrichen.
Kein schöner Mann, selbst für einen bösen! Egal, das Aussehen spielte keine Rolle!
Ihr Vater hatte Shanti beigebracht, wenn sie den Anführer besiegte, würde sich das Gewürm vom Acker machen. Ungesehen addierte sie die Feinde zusammen. Sieben niedere Dämonen, zusätzlich der Monsterführer. Keine Zeit verlierend, ging Shanti zum Angriff auf den Boss über, schwang die Tomahawk Axt und …
… ihre Waffe verschwand.
„Nein!“, brüllte sie, indessen sie eine Bruchlandung hinlegte.
Das Limit überzog!
Der Schurke bekam einen Lachanfall. Peinlich berührt riss Shanti sich zu spät zusammen.
Mit einem boshaften Blick gebot der Anführer seinen Lakaien zu handeln. Sie überfielen die Elfe, schlugen ihre Zähne in das zarte Fleisch, fügten ihr mittels Klauen tiefe Wunden zu.
Shanti boxte sich aus dem Kuddelmuddel heraus, entgegnete weiteren Offensiven, so gut sie konnte, zückte den Bogen und schoss einige Pfeile ab. Plötzlich mischte sich der Chef ins Geschehen ein. Auch er beschwor eine magische Waffe, einen Hammer, traf sie mit voller Wucht. Ohrenbetäubender Krach von berstenden Knochen hallte über die Ebene.
Shantis Rippen brachen, sie spuckte Blut. Keuchend stürzte sie hernieder, schlug hart auf dem Waldboden auf. Schmerz durchzuckte ihren geschändeten Leib.
Das war’s! Ungeschickt rollte Shanti auf den Rücken, blickte zum blauen Himmel empor.
Abrupt nahm ihr der grauenerregende Mann die Sicht. Er stand über ihr, hob seinen übergroßen Hammer und zielte zum letzten Schlag. In der Ferne heulten Tiere. Shanti riss die Augen auf. Direkt erkannte sie die Stimmen.
Durch Mark und Bein fuhren ihr die Rufe.
Aus dem Wald hetzten monströse, weißbraune Wölfe, stürmten auf die Dämonen.
Überrascht senkte Grauhaar seine Waffe.
Die Ablenkung nutzte Shanti und kroch davon.
Unglücklicherweise verhinderten die gebrochenen Knochen hastige Bewegungen.
Das Rudel, bestehend aus einem weiblichen und vier männlichen Tieren, kämpfte anstelle der Waldelfe gegen die Dämonenschar.
Zwei ihrer Lieblinge entdeckte Shanti nicht.
Womöglich beschützten die Muttertiere ihre Jungen in deren Bau.
„Verdammtes Pack!“, entfuhr dem zornigen, um sich schlagenden Anführer.
„Oscurità“, sang er.
Dunkelheit brach herein. Shanti stockte der Atem. Die Luft schwoll an, dicke schwarze Energie entzog der Atmosphäre sämtlichen Sauerstoff. Grauhaar entließ eine Schockwelle, schleuderte die Parteien, ob Freund oder Feind, davon. Dämonen und Wölfe landeten im Gestrüpp.
„Du bist kein Dämon!“, keuchte Shanti, der die Wahrheit derb aufschlug, „du bist ein Schwarzmagier!“
Eine Regung zog die Aufmerksamkeit der Waldelfe an. Ihre Wolfsfreundin raffte sich auf.
Geistig stellte Shanti eine Verknüpfung zur Wölfin her, wurde alsbald erhört. Die Wolfsdame rannte los, entfernte sich von der Lichtung, mit dem Flehen Shantis um Hilfe im Ohr.
„Also die Gesuchte jagt im Wald Dämonen“, fasste Jessica zusammen.
Wie bestellt und nicht abgeholt standen die beiden Frauen plus Eidechse, Pardon Bartagame, weiterhin vor der Tür der Holzhütte, während die Eltern Shantis vermeintlichen Aufenthaltsort preisgaben.
Gleich zu Beginn hatte die Hexe auf den Auftrag der Königin von Licht und Magie verwiesen, damit keine Diskussion entstand. Auf Jessis Kurzfassung folgte verständnisvolles Nicken, daraufhin der Bericht über der Waldelfe aktuelle Jagd.
„Sensationell“, witzelte Jessi, „wie bitte finden wir die Stecknadel im Heuhaufen?“ - „Samt ein paar zuverlässigen Jägern helfe ich euch bei der Suche“, bot der Vater an.
Kaum versprach er Unterstützung, drang Heulen aus dem Wald und erschütterte das Dorf. Die Mutter rannte aus dem Haus, vorbei an den doof glotzenden Fremden.
Verzweifelt rief sie: „Das ist einer von Shantis Wölfen!“
Wahrlich brach ein weißbraunes Ungetüm aus dem Dickicht heraus. Die Mutter lief ihm entgegen, Ehemann, Jessica und Yelina folgen ihr.
„Wo ist Shanti?“, fragte die besorgte Frau, streichelte den Wolf.
Das Tier winselte.
Jessica und Yelina tauschten Blicke. Etwas passierte gerade. Etwas Schlechtes!
Mutig trat Yelina zum am Hang stehenden, jaulenden Urvieh.
„Bitte, lieber Wolf! Wir sind Kriegerinnen der Königin. Geleitest du uns zu deiner Herrin?“
Vermutlich bestätigend, bellte das Ding.
„Oh nein!“, dementierte Jessica, „ich reite sicherlich auf keinem Anabolika getränkten Wolf durch die Prärie!“
Offenbar doch. Wenige Minuten später schnellten sie im Rekordtempo durch Falver.
Yelina saß vorn und die würgenden Jessi, an die Elfe klammernd, hinten. Chuck blieb bei der Familie. Weitere Unterstützung, nahmen die beiden zum Selbstschutz der Dorfbewohner nicht in Anspruch.
Unbarmherzig, wie nur seine Rasse sein konnte, verprügelte der Schwarzmagier Shanti.
Keinesfalls in der Lage Gegenwehr zu leisten, ertrug sie die Hiebe seines Hammers.
Jegliche Luft pressten die Schläge aus ihren Lungen. Weitere Knochen splitterten.
Entweder erreichte die angeforderte Hilfe sie bald, oder Shanti starb. Rational gesehen.
Der Waldboden triefte vor ihrem Blut.
Gierig saugten Gräser und Pflanzen die Flüssigkeit auf. Spottend schlug der Grauhaarige zu. Die Wucht des letzten Hiebs riss Shanti von den Beinen. Galle speiend, landete sie auf dem Gras. Flüchtig erhaschte sie einen Blick auf die Wölfe. Angeschlagen durch eine einzige Attacke lagen sie zwischen den Bäumen. Wenigstens spürte die Waldelfe ihre Lebenskraft.
Innerlich schrie sie die Tiere an: „Geht! Ihr habt Junge!“
Unentschlossen fiepten sie. Offenbar wollten sie ihre Freundin nicht im Stich lassen.
Ihr Feind bemerkte die inoffizielle Kommunikation. Mit einem gierigen Lächeln auf den Lippen entfernte er seinen Magiehammer und beschwor stattdessen seine Dunkelheit.
Boshaft gestand er: „Ich liebe es, wenn Geschöpfe leiden. Schau, wie deine Fellknäuel verrecken! Erst dann, lasse ich dich sterben! Oscurità!“
Schwarze Energie umgab ihn. Vergebens versuchte Shanti aufzustehen, die Wölfe taten es ihr gleich. Immer wieder flehte sie ihre pelzigen Freunde an, das Weite zu suchen.
Ihr selbst fiel wegen gebrochener Rippen das Atmen schwer, geschweige denn anderweitige Bewegungen. Trotzdem kniff sie die Zähne zusammen, schlurfte auf den Schwarzmagier zu.
„Du wirst ihnen nichts anhaben!“ - „Sagt wer, Püppchen? Etwa, du?“, grölte der Fiesling.
Berechtigter Einwand. Wie sollte Shanti Gegenwehr leisten?
„Nein, sagen WIR!“, sprach eine Stimme, verborgen im Laub.
Verblüfft drehte sich der Schwarzmagier um. Gleichzeitig erschien Shantis Hilfe bringende Wölfin samt zwei Frauen auf dem Rücken.
Die hintere lief im Gesicht grün an. Selbige stieg auch als Erste ab. Mit selbstbewussten Schritten, trotz offenkundiger Übelkeit, näherte sich die Frau dem Schwarzmagier. Eindringlich musterten die verschiedenen Parteien einander. Im währenden herrschte schweigsame Stille, ausschließlich der Wind sowie das Hecheln der Wölfe war zu hören.
Die grüngesichtige Frau brach das Schweigen: „So einem wie dir begegnete ich heute schon! Langsam nervt ihr Götzen mich! Yelina, heil das Mädchen.“
Der Kerl lachte abfällig: „Hier wird niemand geheilt, Weib!“
Abrupt riss er die Augen auf.
„Oh! Aber ich verstehe! Du musst diese Lichtelfe sein! Die Priesterin, welche Sydney laufen ließ!“
Verwirrende Gedanken schwirrten durch Shantis Kopf, als sie der Unterhaltung lauschte.
Über allem stand die Frage, was zur Hölle eine Lichtelfe von Pura auf Pulse Magia verlor!
Normalerweise setzte die Rasse keinen Fuß in andere Welten! Noch dazu eine Priesterin!
Das angesprochene Mädchen errötete, huschte aber zügig querfeldein.
Unvermittelt mischte sich Grauhaar ein.
„Hört ihr, was ich sagte?“
Säuerlich hob er die Hände, unter den Fingernägeln schimmerte Dreck. Er öffnete den Mund, um seine Magie freizulassen.
„Vola!“, rief die Hexe, machte dabei eine ohrfeigennahe Handbewegung.
Wie auch immer sie es fertigbrachte, der Schwarzmagier wirbelte durch die Luft und prallte gegen einen Baum.
„Auf der Erde hören Frauen nicht auf ihre Männer. Merk dir das!“, frotzelte sie spöttisch.
Shanti traute dem Gesehenen kaum.
Die Elfe namens Yelina, welche mittlerweile bei ihr angelangte, begann mit der Heilung. Sanft legte sie eine Hand auf Shantis Stirn, die andere auf ihren Bauch.
Konzentriert schloss sie die Augen, murmelte: „Sana! Heile!“
Eine Woge Energie sprudelte durch Shantis Körper, sie fühlte ihre Knochen zusammenwachsen. Die Frau mit dem hässlich senfgelben Pullover kam angetrabt, derweil lauerten die Wölfe abrufbereit im Hintergrund.
Shanti fühlte Respekt vor beiden Damen.
Abermals ergriff die Blondine das Wort: „Yelina, amtierende Priesterin des Windes, lerntest du bereits kennen. Mein Name ist Jessica. Ich stamme von der Erde und bin eine Hexe.“
Vor Erstaunen stand Shantis Mund weit offen.
„Warum ersucht ihr, Hohepriesterin Puras und Erdenhexe, ausgerechnet mich?“
Jessica erwartete die Frage. Solange sich der Feind noch nicht wieder aufrappelte, klärte sie die Sachlage.
„Vor knapp einer Woche suchte mich die Königin von Licht und Magie persönlich auf. Das Erscheinen einer Nekromantin erfordert die Macht der vier Elementkrieger. Eure Majestät beauftragte mich, euch zu rekrutieren, ihr, welche die Steine der Krieger bewacht.“ - „Ich verstehe“, lautete die knappe Entgegnung der Waldelfe.
Laut klatschend, kam ein erholter Schwarzmagier ins Bild.
„Bravo! Was für ein beeindruckendes Schauspiel!“
Er hielt inne und grinste.
„Leider muss ich euch jetzt ausmerzen! Nichts für ungut, meine Damen! Es ist nichts Persönliches!“
Dunkle Magie umhüllte den Grauhaarigen.
„Ich glaube, Sydneys Macht vorhin war größer“, flüsterte Jessica.
Yelina wandte ein: „Womöglich. Allerdings kann dieser Kerl Dämonen manipulieren! Sieh doch!“
Schattenwesen schlenderten durch die Bäume, auf die Lichtung. Ihre Bewegungen erinnerten an Zombies.
„Oh nein!“, jammerte Shanti, „ihre Anzahl steigt stetig! Vorhin habe ich schon ein paar ins Jenseits befördert!“
Zu allem Überfluss beschwor der Schwarzmagier seinen Hammer.
Zählte Shanti richtig, traten drei Frauen jetzt 16 Dämonen und einem Schwarzmagier gegenüber.
Als Kind bekam Shanti ihren Bernstein in die Wiege gelegt. Die ihr verliehene Macht brachte eine Verantwortung mit sich.
„Yelina? So heisst du doch?“, versicherte sie sich, „vielen Dank für die Blitzgenesung!“
Waldelfe und Lichtelfe nickten einander zu.
Anschließend richtete Shanti das Wort an die Blondine: „Hexe, kannst du kämpfen?“ - „Ich bin eine Frau!“, kommentierte die. Ein verschmitztes Lächeln erschien und verjüngte ihr Gesicht sofort um Jahre.
„Notfalls kratze ich dem Schwein die Augen aus!“
Keinerlei Erfahrung im Umgang mit derartigen Scherzen habend, war Shanti unsicher, ob sie darauf etwas erwidern, oder gar lachen sollte.
Sie entschied, das Thema auf sich beruhen zu lassen.
„Dann wird es wohl Zeit, ihn zu benutzen“, erwiderte sie stattdessen, schritt ihren Gegenspielern entgegen.
Jessi und Yelina sahen ihr nach. Die Lichtelfen wollten folgen, doch die Hexe hielt sie ab.
Voller Vorfreude auf das Zerschmettern seiner Gegnerin schwang der Schwarzmagier seinen Hammer. Zusätzlich preschten die Dämonen vorwärts. Shanti beruhigte Herz und Geist, fasste beinahe feierlich ihren Ohrring.
Ihre Lippen bildeten die Worte: „Foresta, mi da Forza! Mi presta la Magia della natura! Wald, gib mir Kraft! Leihe mir die Magie der Natur!“
Die untergehende Sonne tauchte die Waldlichtung in wunderschöne natürliche Farben. Die Baumkronen glitzerten in ihrem Schein. Falver hörte sie, sein Geist verschmolz mit Shantis. Den Hammer des Schwarzmagiers konterte sie mit ihrer Tomahawk Axt. Die Wucht des Aufpralls erzeugte eine Druckwelle, welche die Dämonen hinfort katapultierten. Jessica und Yelina gingen beide in die Knie, um einen besseren Halt zu finden. Positiv überrascht, fast erstaunt verfolgten sie den Kampf der Kontrahenten. In ihrem engen, braunen, einem Jumpsuit ähnelnden Lederoutfit platzierte Shanti einen Axtstreich nach dem anderen. Schnelle, ununterbrochene Angriffe drängten den Magier zurück. Zum Zopf gebunden peitschten ihre hüftlangen, rabenschwarzen Haare bei jeder Bewegung über ihren Rücken.
Shantis nussbraune Augen strahlten, wie das durch die Bäume brechende Sonnenlicht. Amazonengleich wich Shanti einer seitlichen Attacke aus, um dann selbst einen direkten Treffer zu landen. Der Schärfe ihrer Klinge geschuldet, schlitzte sie Brust und Bauch des Schwarzmagiers auf. Vor Schmerz brüllte er, ihm entglitt die Waffe. Dennoch blieb er selbstbewusst.
„Du besiegst mich nicht!“, brüllte er, Blut sicherte aus seinem Mund mit den blauschwarzen Lippen.
Shanti entließ ihre Axt. Verdutzt, deswegen unfähig einen Kommentar abzugeben, hob der Schwarzmagier eine Augenbraue.
Im Hintergrund flüsterte Jessica Yelina zu: „Bin gespannt, was sie vorhat! Der Kampf ist ja spannender als Football!“
Yelina kannte den Sport nicht, lächelte aber aus Höflichkeit, fügte angrenzend hinzu: „Ich denke, wir sind überflüssig“ – „Nein“, Jessi schüttelte den Kopf, „du keineswegs, Mädchen! Dank dir konnte die Priesterin erst ihre Kraft regenerieren!“
Still im Herzen, pfiff Shanti ein paar Töne. Jeder Klang besaß eine andere Frequenz. Zusammen drang sie durch das Dickicht.
Der Schwarzmagier vermutete die Waldelfe am Ende ihrer Kraft. Schadenfroh über die Abberufung ihrer magischen Waffe und amüsiert über das Pfeifkonzert, kommandierte er seine Untertanen zu einem letzten Angriff.
Ob sie draufgingen oder nicht, Hauptsache, er würde sein Ziel, erreichen. Wehrlos stand die Waldelfe vor ihm. Seine Dämonen rappelten sich auf und setzten zum Gefecht an.
Plötzlich lächelte das schöne, schwarzhaarige Mädchen mit dem Bernsteinohrring.
Tarnung war alles. Der Schwarzmagier wägte sich in Sicherheit. Aber wie jedes Mal, wenn sie pfiff, hörten ihre Tiere sie. Mit donnernden Hufen preschten Hirsche durch das Holz, gefolgt von den verschiedenen anderen Wolfsrudeln. Adler, Bussarde und Falken stürzten vom Himmel herab. Der Schwarzmagier kontrollierte 16 Dämonen, sie dagegen empfing die Hilfe des gesamten Tierreichs!
Die Feinde wussten nicht, wie ihnen geschah, als die Herde auf sie stürzte. Wölfe bissen den Bestien die Köpfe ab, Hirsche trampelten sie nieder. Dickflüssiges Blut bedeckte die Erde, bildeten dunkle Lachen auf dem sauberen Gras. Abwechselnd stürzten die Vögel auf den Schwarzmagier, piksten ihn, lenkten ihn zumindest ab. Einige Vierbeiner unterstützten ihre am Boden liegenden, verletzten Artgenossen.
„Ich mache mich nützlich“, hörte Shanti die Lichtelfe hinter ihrem Rücken sprechen, „ich versorge die verwundeten Tiere mit meiner Magie! Vento, mi da Forza! Mi presta la Magia Bianca!“
Shanti staunte nicht schlecht, als ein goldenes Geschöpf über ihren Kopf hinweg flog, mit echten Flügeln!
„Gut, dann bringe ich mich ebenso produktiv ein!“, raunte die Hexe „Luna, mi senti! Circoli delle Strege!“
Rundherum erschienen seltsame Kreise, verziert mit diversen Zeichen. Wütend stieß Grauhaar eine Schockwelle aus, die Shantis Raubvögel verscheuchte. Trotz diverser Blessuren schien er nicht im mindesten müde. Im Gegenteil, er schleuderte eine Kugel aus dunkler Magie. Die Hexe erschuf einen Wall und blockte den Ball. Der Magier sammelte Kraft für einen erneuten Angriff.
„Meine Fresse! Wie viel beschissene Magie gibt denn das Böse bitte her, huh? Der Typ sollte längst am Ende sein!“, klagte Jessica.
Als hörte er sie, feuerte ihr Feind weitere Munition. Shanti wich den Bomben aus oder blockte sie mithilfe ihrer Axt. Des Magiers Beschäftigung nutzte Jessica für einen Zauber.
„Gelarsi!“, befahl sie.
Die Bombardierung versiegte, Grauhaar gefror inmitten seiner Bewegung. Jessi hastete Richtung Shanti.
„Der Zauber hält nicht lang“, suggerierte sie „Kannst du ihn bezwingen, Waldelfe?“ - „Ja, das kann ich“, antwortete die Priesterin.
Wenigstens einen Moment hielt sie inne, sammelte ihre Kräfte, verknüpfte ihren Geist mit Falver.
Im Vollbesitz ihrer vollkommenen Fokussierung wisperte sie: „Foresta, cresce!“
Der Wald bebte, die Anwesenden taumelten.
Mächtige Wurzeln ragten aus dem Boden, entfesselten einen ohrenbetäubenden Krach.
Shanti sprang von einer Ranke zur nächsten, nahm dankbar die Energie des Waldes auf.
Unter seinem Schutz kombiniert mit einem leidenschaftlich geschwungenen Hieb, entzweite sie den namenlosen Schwarzmagier.
Für den Moment schien das Böse besiegt.
Die Asche der zu Staub gefallen Dämonen, die Shantis Tiere vollständig ausmerzten, bedeckte die blutgetränkte Erde. Regen fiel. Zügig würde er den Unrat wegschwemmen, wozu die Überreste des Schwarzmagiers zählten.
Bei Dämmerung kehrten Shanti, Jessica und Yelina nach Corrmas zurück.
Ihre Eltern sowie sämtliche Dorfbewohner empfingen das Gespann voll Erleichterung.
Auf dem Rückweg durfte Jessica auf Anton reiten. Der Hirsch lag ihr eher, als ein Wolf.
Wissbegierig erkundigten sich die Leute über die vergangenen Geschehnisse.
In Kurzform berichtete Shanti ihnen, während sich Jessica und Yelina im Hintergrund hielten.
Erstmals machten ihre Eltern sich bewusst, dass Shanti nun ihrer Bestimmung verpflichtet war.
Nach tränenreicher Wiedervereinigung und intime Momente, welche sie der Familie gern gewährte, fragte Jessica: „Wo bewahrt ihr den Elementstein der Erde auf?“
Auf Pura hielt Cosmo das entsprechende Exemplar in einem magischen Safe verschlossen. Bei Aufbruch händigte er ihnen den Elementstein der Luft aus.
Yelina führte ihn seither in einer kleinen Schatulle mit, festgebunden an den Gürtel ihres weißen Leinenkleides.
„Ich trage den Edelstein bei mir“, antwortete Shanti auf Jessicas Frage. „Meiner Ansicht nach, kann ich so am besten auf ihn aufpassen.“
Sie zog ein Säckchen aus ihrem Lederstiefel. Darin befand sich ein Ohrring, in Form einer Kreole. Das Pendant zu ihrem eigenen Schmuck.
„Welche Art Edelstein ist das?“, wollte Yelina wissen.
Shanti erklärte: „Ein Smaragd“ – „Bezaubernd!“, quiekte die Lichtelfe aufgeregt „Die Quintessenz der Luft schläft versiegelt in einem Ametrin.“
Kaum, dass sie das Thema geklärt hatten, boten Shantis Eltern höflich an: „Es ist schon spät! Wollt ihr nicht bei uns übernachten, bevor ihr weiterzieht?“
Besorgt blickte Jessica die beiden Priesterinnen an.
„Danke, für das großzügige Angebot“, äußerte sie, verbeugte sich sogar leicht „Aber leider nein! Zwei Priesterinnen wurden heute von jeweils einem Schwarzmagier angegriffen. Meiner Befürchtung nach sehen es die Feinde auf den oder die Nächste ab.“
Sowohl Yelina als auch Shanti nickten zustimmend.
Wie vom Blitz getroffen, fiel Jessi noch etwas ein. An Yelina gewandt, die Arme vor der Brust verschränkt, bekannte sie: „Ach so, Lichtelfen Mädchen? Ganz egal scheinst du deinem Freund Sydney anscheinend nicht gewesen zu sein.“
Kaum sprach sie den Namen aus, färbten sich Yelinas Wangen rot.
Schüchtern, aber hoffnungsvoll hakte sie nach: „Wie kommst du darauf, Jessica?“ - „Dem Schwarzmagier ohne Namen entglitt der Hinweis, Sydney hätte dich laufen lassen.“ Jessi grunzte, fasste selbst nicht, was sie dachte, ferner laberte.
„Nun ja. Im Verlauf unseres Kampfes mit Sydney vermutete ich, dass er beim ersten Angriff auf dich zögerte, als du handlungsunfähig auf dem Boden kauertest.“
Kurz hielt Jessi inne, atmete tief durch.
Angrenzend eröffnet sie ihren Verdacht: „Warum kann ich mir beim besten Willen zwar nicht vorstellen, allerdings glaube ich, Sydney hielt sich absichtlich zurück. Er wollte dir augenscheinlich keine schwerwiegenden Verletzungen zufügen. Oder vielmehr rang er mit sich.“
Yelina strahlte förmlich.
„Äh“, unterbrach Shantis Adoptivmutter unversehens die Kommunikation, „wenn ihr tatsächlich gleich aufbrechen wollt, weiß ich möglicherweise, wohin ihr euren Geist lenken solltet.“
Verheißungsvoll schauten die Kriegerinnen sie an. Der Vater brachte Chuck für die Abreise. Ach, lebte der auch noch, ja?
Zögernd druckste die Frau herum, der Ehemann legte seinen Arm um sie.
„Du musst wissen, Schatz“, stotterte die Elfendame „Deine Mutter, eine Waldelfe, verliebte sich einst in einen Schattenelfen. Im Kampf verstarben beide. Seite an Seite. Die Stämme brachten dich, ihren Säugling, auf Pulse Magia unter.“
Shanti schluckte. Selbst Yelina und Jessica hielten Händchen, dermaßen rieb sie die Geschichte auf. Weil die Stimme der Mutter brach, sie anfing zu weinen, ergänzte Shantis Adoptivvater: „Dein Gegenstück, liebstes Kind, schickten die Stämme zu dem der Schattenelfen. Auf Ecliso. Diejenige, die ihr sucht, ist deine Zwillingsschwester, meine liebe Shanti.“
Die Waldelfe keuchte, schlug die Hände vor den Mund. Yelina legte eine Hand auf ihre Schulter. Die Eltern schauten Jessica in die Augen. Chuck gähnte.
„Nica“, verkündete der Mann, „Priesterin der Flammen!“