Ecliso – Zerstörung
„Du hast zwei Beine und ein schlagendes Herz. Was hält dich auf?“
Inuyasha, Inuyasha
Horst stampfte durch die verwinkelte Festung der Schattenelfen, Richtung Essbereich. Mal sehen, was das Frühstücksbüffet heute so hergab!
Im Anschluss an den feindlichen Übergriff hatten er und seine Kameraden die große Halle sporadisch hergerichtet.
Er platzierte seine stolze Gestalt auf einen wackeligen Stuhl und rührte appetitlos in einem geschmacklos aussehenden Haferbrei herum. Gemäß seiner Auffassung von Essen gehörten die Köche der Kriegerrasse in einen Sack gestopft und zusammengeschlagen.
Andererseits, ohne frische Zutaten, kein schmackhaftes Gericht!
Ein paar Kämpfer stürmten in den Raum.
„Futtern könnt ihr später, macht euch kampfbereit!“, schrie der vorderste.
Horst packte einen der jungen Männer und schenkte ihm einen finsteren Blick.
„Was zur Hölle geht vor?“, brummte er. Zu früher Stunde einen derartigen Lärm veranstalten!
Dem schmächtigen Kerl bereitete Horsts fester Griff offenbar Schwierigkeiten.
„Eine Armee greift Ecliso an!“, röchelte der Knabe.
„Welches Gebiet?“, forschte der alteingesessene Prachtkerl nach.
„Kein Gebiet, den ganzen Planeten!“
Verflucht! Das waren schlechte Neuigkeiten am Morgen!
Kommentarlos sprang Horst auf, ließ den Mann japsend zurück, hastete anschließend in den Waffenraum. Männlein wie Weiblein rüstete zur kommenden Schlacht. Horst wählte einen Körperpanzer, zusätzlich eine lange Dolchwaffe, rannte zügig hinaus, schloss sich dann seinen Kameraden außerhalb Arsurras an.
Der Anblick erschreckte die erfahrenen Kämpfer. Massenweise schwarze Punkte bedeckten den Himmel. Horst erkannte die Umrisse eines in der Luft schwebenden, vermutlich fremd erschaffenen Portals.
„Oh Fuck! Was zur Hölle geht denn hier ab?“
Die männlichen Schattenelfen zögerten beim Anblick der atemberaubend schönen Frau. Auch wenn sie keineswegs gesellig oder familiär aufwuchsen, waren sie immer noch Männer.
Empört stupsten die weiblichen Elfen ihre Kameraden an, nicht zuletzt um sie aus der Erstarrung zu holen.
„Ey, Leute! Was setzt ihr Wurzeln an?“, fragte der zu den vordersten Reihen vorrückende Horst.
„Alter, schau dir die Braut an! Ihrer perfekten Haut dürfen wir kein Härchen krümmen! Laden wir sie stattdessen lieber auf ein Schwarzbier ein!“, antworte ein Schattenelf, aus schiefen Mundwinkeln ragten krumme Zähne.
Erst dachte Horst, er hatte sich verhört!
Kopfschüttelnd fuhr er Schiefzahn an: „Hat man dir ins Gehirn geschissen, huh? Das ist das blöde Miststück, welches uns die letzte Schar Dämonen auf den Hals hetzte! Ihre Anführerin, kapierst du das? Außerdem gedulde dich, bis sich die Kuh verwandelt! Dann rede noch einmal über ihre perfekte Haut!“
Offenbar las die Kuh Horsts Gedanken. Lange mussten sich die Schattenelfen nicht gedulden. Jeajette, schön wie eh und je, stieß einen schrillen Schrei aus.
Dem folgten unappetitlich anzusehende, unmenschliche Verrenkungen. Sämtliche Knochen ihres perfekten Körpers knackten, schienen unmittelbar zu brechen. Gehorsam erschienen auf ihren Ruf unzählige fliegende sowie krabbelnde Schaben. Überall surrten Geräusche der gruseligen Insekten, welche die 15 Meter großen Fangschrecke verteidigend umschwebten.
Die ansonsten furchtlose Elfenrasse stand bangend einer Vielzahl Dämonen, Insektengeschöpfen und ihrer Bienenkönigin gegenüber. Einige Artgenossen liefen kreidebleich an, mitunter der vorlaute Hengst mit dem komischen Gebiss.
Gekünstelt grölte er: „Oh Mann! Gut, dass ich ihre wahre Gestalt erkannte, bevor wir im Bett landeten und es ernst wurde! Ha ha!“
Trocken erwiderte Horst: „Reiß mir ein Bein raus, damit ich lachen kann!“
Jeajette zirpte etwas für Elfenohren unverständliches. Scheinbar einen Angriffsbefehl. Just darauf sausten die Kakerlaken den Schattenelfen entgegen.
Im Vergleich zu ihren Vettern, den Waldelfen, schlugen sich die Schattenelfen besser. Gleichwohl überlagen selbst ihnen die Feinde, zumindest anzahlmässig. Unter den Schwarzmagiern kontrollierte Jeajette das meiste Gefolge. Der Grund hierfür war simpel, schließlich erlangte die zu besiegende Kriegerrasse Bekanntheit, gerade wegen ihrer außerordentlichen Kampfkunst.
Im Gegensatz zu den Reichen Pura und Pulse Magia richteten die Feinde alle Augen auf die Schattenelfen. Kein anderes Gebiet Eclisos wurde von Anhängern Königin Celestias bevölkert. Demnach benötigte alleinig Arsurra Jeajettes Aufmerksamkeit. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Kräfte der Widerstandskämpfer nachlassen würden. Dabei spielte es keine Rolle, wie viele Dämonen plus sonstige Ungetüme fielen. Sie entsprachen einem gern investierten Opfer.
Den Großteil ihrer Untertanen kontrollierten die Schwarzmagier anhand böser Mächte, empfangen von ihrer dunklen Herrscherin. Andere schlossen sich ihnen jedoch völlig freiwillig an, weil sie Rache üben, oder einfach diesem stinkenden Loch entkommen wollten. Egal aus welchen Grund, Hauptsache sie erfüllten ihren vorgesehenen Zweck!
Horst keuchte. Speichel sammelte sich in seinem Mund.
Kam er zum Durchatmen, spuckte er ihn aus, inklusive blutiger Flüssigkeit.
Wie viele Dämonen hatte er gekillt? Reichlich, würde er behaupten.
Allerdings fand ihre Nachhut einfach kein Ende!
Mittlerweile verteilte er seit einer geschlagenen Stunde Todesstöße. Nicht einzig an Dämonen, sondern genauso an diese surrenden Viecher. Allmählich verlor er seinen Mut. Ein baldiges Ende dieser ohnehin schon aussichtslosen Schlacht schien nicht absehbar.
Nachdem er ein krabbelndes Insekt niedergestreckt hatte, blickte er umher.
Deutliche Mengen seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter lagen verletzt vor Bergen gegnerischer Leichen. Glücklicherweise war von ihrer Seite bisher niemand gestorben! Trotzdem sank die Hoffnung. Ringsum.
Als wäre ihre Lage nicht schon aussichtslos genug, hatte die riesige Heuschrecke sich noch keinen Meter vorwärts bewegt. Legte die Alte später los, wären Horst mitsamt Anhang Geschichte!
Auf eine ihm noch unbekannte Weise benötigten die Schattenelfen mehr Kampfkraft. Oder aber ein Wunder!
Ein Schatten huschte zwischen den gegnerischen Reihen hindurch.
Zeitgleich drei Dämonen zuzüglich zweier insektenartiger Monster Horst anpeilten, welcher schweißgebadet eine Verteidigung austüftelte, schnellte der Schemen hervor und brach zwei dämonischen Ungetümen das Genick.
Ähnlich eines Tänzers wirbelte der Krieger seine Klingen, enthauptete Nummer Drei und spießte nebenbei zwei Schaben auf.
Ebenfalls die Insektenkönigin bemerkte das Schauspiel, schnaufte hörbar aus.
Das Schnauben entfachte einen mittelschweren Hurrikan.
Horst dagegen jubelte.
„Bei Merlins Bart!“, krächzte er, „endlich! Dachte schon, du hältst ein Kaffeekränzchen!“ - „Ach, halt dein Maul, du Großkotz! Übrigens, du sahst schon besser aus!“, erfolgte der freche Konter, „hey, alter Knabe, ist das etwa Pipi in deinen Augen?“
Tatsächlich überwältigten Horsts Gefühle den Riesen, dass er Freudentränen weinte. Erleichtert grinste er. Ihm nach, taten es seine Kameradinnen und Kameraden. In Leder bekleidet und versehen mit einer Krone aus Knochen, kehrte ihre Priesterin heim.
Erfreulicherweise fand sie alle Schattenelfen lebendig vor. Ihre Besorgnis fiel wie ein Stein von Nicas Herzen. Nach einer nervenaufreibenden Taxifahrt durch den Großstadtjungle New York, waren sie schlussendlich am interdimensionalen Tor angelangt. Hat einige Zeit gedauert und wäre zu einer anderen Gelegenheit, unter weniger Zeitdruck, höchst amüsant gewesen.
„DU!“, brüllte jemand aus der nahen Ferne.
Nica folgte dem Geblöke.
„Ach was?“, keifte die Priesterin, „echt jetzt? Ich bekomme Schaschette? Na prima!“
Ihr Tonfall gefiel der Mantiskönigin ganz und gar nicht, sogleich schickte sie ihre Schergen los.
„Äh, Nica? Du hast hoffentlich einen Plan?“, mutmaßte Horst skeptisch.
Die fliegenden Biester stoben in ihre Richtung. Nica rührte sich keinen Millimeter.
„Du siehst die Dinger kommen, ja?“, rückversicherte er sich.
Augenrollend erwiderte sie: „Klar doch!“
Sie rückten immer näher.
„Öh, Kampfposition?“, schlug Horst vor.
Keine Regung seitens der Priesterin.
„Deine Dolche? Schießeisen? Feuerkraft? Etwas Ähnliches?“, flehte er, dem Nervenzusammenbruch nahe.
Nahe waren auch die fliegenden Untertassen.
Schelmisch gaffte Nica ihn an.
„Weißte, mit Feuer kann ich dienen!“
Gigantische Feuerbälle trafen die anstürmenden Käfer. Jeajette plärrte aus Leibeskräften.
„Hey, Dreckstück!“, blökte Nica, „kennst du mein Lieblingselement?“
Die Heuschrecke riss beide Facettenaugen entsetzt auf. Eine weitere Schachfigur hatte das Feld betreten. In einer Partie würden Spieler sie mit der Dame vergleichen, bei einem Kartenspiel mit dem Trumpf. Sehr zum Unwohlsein von Schaschett.
Üblicherweise sah Lien einem vielversprechenden Kampf aufgeregt entgegen.
„Wer ist deine Freundin? Ist die Blonde heute nicht dabei?“, interessierte Horst.
„Ne! Die ist bei den Lichtelfen. Jessi steht so mehr auf Intelligente!“, gab Nica zurück.
„Ich habe dich auch vermisst, du Fotze!“, witzelte der stramme Elf liebevoll.
Sekündlich, nachdem sie ihre Standpunkte geklärt hatten, ging es zurück zur Schlacht. Horst, jetzt überaus motiviert, stürzte auf die nächstbesten Kreaturen. An seiner Seite focht Nica. Gemeinsam bezwangen die langjährigen Freunde eine Reihe von Gegnern.
Nacheinander fanden die anderen Schattenelfen ihren Kampfgeist, anhand Nicas und Horsts Vorbild. Inspiriert preschten sie voraus.
Jeajette mischte plötzlich im Geschehen mit. Die kürzlichen Ereignisse zwangen sie zum Handeln. Mittels Vorderarm-Sichel attackierte sie mehrere Elfen, die erschrocken zusammenfuhren. Dabei durchsiebte die Magierin auch eigene Verbündete. Als die Schneide bedrohlich näher kam und drohte, die Kämpfer durchzusieben, packte Lien der Zorn.
Voller Wut über die Dreistigkeit, ihre eigenen Leute auszulöschen, entfachte sie das Feuer ihrer Seele.
„La Potenza dell Fuoco, ascoltami!“
Die Kämpferin fegte zum Fangschreck, hinterließ glühende Asche auf dem harten Grund und kickte mit lodernder Wucht mitten in den Insektenleib. Die enorme Heftigkeit ihres Tritts beförderte Jeajette kilometerweit fort, verhinderte das Halbieren der Schattenelfen. Überaus dankbar, applaudierten die der Kriegerin aus Magma.
Indessen Schwarzmagierin Jeajette gegen aufkommende Übelkeit ankämpfte, öffneten sich die Tore des interdimensionalen Portals.
Nica gab Horst ein Zeichen, er schenkte ihr seine Geistesgegenwart.
Mit einer unbekannt exzellenten Laune fügte sie hinzu: „Du erinnerst dich an die Tochter der Elfin, die dich damals heilte?“
Horst nickte.
„Letzten Endes holte sie sich selbst ihren Stock aus dem Arsch. Sie versprach mir, ihren Leuten ne ordentliche Ansage zu verpassen! Sieh nur!“
Sie zeigte zum Portal und Horst traute seinen Augen kaum.
Lichtelfen – Lichtelfen! – erreichten soeben Eclisos Grund, spurteten den Verletzten entgegen und begannen deren heilende Versorgung.
„Also dann, hurtig, hurtig!“, quäkte Nica, „ich habe eine Wette laufen, dass Li plus meine Wenigkeit dem einfallenden Bösen als erstes Team den Gar ausmachen!“
Lien hörte ihre Worte, wandte sich um. Sie und die Schattenelfe wechselten verheißungsvolle Blicke.
Ihre Zähne gebleckt, wisperte Nica: „Erwecken wir die Flammen Eclisos!“
Nica zog einen Kreis um sich herum, während Horst ihr den Rücken deckte.
Im Geiste, erweckte die Priesterin ihre gegebene Magie. Ihre Aura glühte in den Farben Veilchenblaus und Fliederlilas. Beide Pupillen wurden von einem tiefen Schwarz überzogen. Die Luft vibrierte, angesichts Nicas Machtimpuls, die attackierenden Bestien zögerten erstarrt.
Jeajette stöckelte heran, wenig vergnügt über das Innehalten ihrer Schergen.
„Worauf wartet ihr Gesocks, vernichtet sie!“, kreischte die Schwarzmagierin laut, damit das ganze Land sie hören konnte.
In dem Augenblick reckte Nica schwungvoll ihren rechten Arm und erhob ihren Dolch gen Himmel. Ihrer Gestik folgte eine Entladung magischer Kraft.
Blau-lila Wellen stoben hinfort, erzielten die Aufmerksamkeit des bösen Gefolges, wie ihres eigenen. Selbst Obermotzbirne Jeajette verstummte. Kurzzeitig.
„Wir Schattenelfen sind das stärkste magische Kriegervolk des Universums. Diese Tatsache kennt jedes Kind! Selten dämlich wie ihr seid, wagt ihr Vollidioten, uns herauszufordern!“, knarzte Nica.
Lautstarke Jubelrufe erklangen von allen Seiten. Ihre Kameraden standen ihr bei, hörten ihr zu.
Gut!
„Dies bedeutet, ihr Affen, ihr bekommt es mit uns allen zu tun!“
Bei ihrer Aussage mit „uns allen“ grinste Nica böse.
„Macht euch frisch, für euren Untergang! Mi senti, Guerreri Caduti!“
Der Hämatit strahlte, rabenschwarzer Glanz bedeckte den Boden. Für ein paar Sekunden schien die Zeit einzufrieren. Knisternde Anspannung erfüllte die Sphäre.
Plötzlich bebte die verkohlte Erde.
Nicas Kettenrasseln sowie die Veränderung der Umgebung verpassten ihren Artgenossen ordentlich Aufwind.
Angetrieben durch die Priesterin brüllte Horst den Schlachtruf der Schattenelfen. Einer nach dem anderen stimmte ein. Gemeinschaftlich stürmten sie vorwärts.
Erst als der Ruf des letzten Schattenelfs abgeklungen war, donnerten neue Schreie über das Feld. Aus der tiefsten Unterwelt erhoben sich die Gefallenen, ihr Brüllen ließ Mark und Bein gefrieren.
Schattenhafte Gestalten eilten ihren Nachkommen unterstützend zur Seite.
Jeajette lachte auf: „Größe Töne spucken kannst du, Priesterin. Was sollen Tote ohne festen Körper ausrichten?“
Selbstbewusst schmunzelte Nica.
„Eine ganze Menge!“
Der erste Schemen traf auf einen Feind, parierte flink dessen Angriff mit Unterstützung eines beschworenen Schwertes, stach damit ins vertrocknete Herz des Dämons.
„Meine Macht geleitet die Verstorbenen und schenkt ihnen die Gabe von lebendigen Kämpfern!“, erklärte Nica kryptisch.
Die Armee der gefallenen Krieger unterstand der Magie ihrer Rufenden. Die Knochenkrone zierte das Haupt der Priesterin, ein Beweis ihrer Herrschaft.
„Ihr habt sie gehört! Beschützt Nica, solange sie uns die Hilfe unserer Ahnen gewährt!“, befahl Horst.
„Wir passen auf das Mädchen auf!“, erfolgte eine unerwartete Antwort, entstammend eines Lichtelfen.
Die Heiler Puras positionierten sich in Reichweite Nicas, bereit sie zu verteidigen. Der Verlauf der Schlachten würde die Beziehung der Rassen drastisch verändern!
„Na gut, so sei es!“, drohte die Insektenkönigin, „dann will ich meinen Trumpf ebenso spielen! Oscurità Ultimativa!“
Mehrere Aufwallungen böser Energien katapultierten Jeajettes magische Kraft in ungeahnte Höhen.
Ein Hieb ihrer Sicheln riss klaffende Wunden in die Getroffenen. Sofort eilten Lichtelfen helfend zur Seite. Die Verteidigung Nicas gebot dadurch eine winzige Öffnung. Dementsprechend handelte die Schwarzmagierin, zielte ihren nächsten Schneid auf die Priesterin. Falls Nica auswich und ihren Bannkreis verließe, brach der Zauber. Darum machte sie sich bereit, den Treffer zu kassieren. Ungeahnt sprang Horst plötzlich in die Schusslinie.
Nica riss überrascht ihre Veilchenaugen auf.
„Was tust du?“
Der Hüne blutete stark aus sämtlichen Stellen seines gewaltigen Körpers. Lange Strähnen seiner für die Schattenelfen typischen grauen Haare klebten an seinem schmerzverzerrten und verschwitzten Gesicht.
„Du bist zu wichtig!“, mahnte er.
Tränen liefen über Nicas Wangen. Seit jeher verband eine tiefe Freundschaft die beiden Holzklötze. Ihr einziger Kumpel unter einem Haufen unsozialer Trottel lag auf einmal sterbend vor ihr.
„Hilfe!“, bat sie.
Leider verarzteten die Heiler eine Masse an Verwundeten.
Schleunigst sollte Nica sich wieder auf ihren Bann konzentrieren, manche Geister begannen zu flimmern.
Jäh polterten Hufgeräusche über den Boden, ein Mann auf einem schwarzbraunen, geflügelten Hengst galoppierte vorbei. Der heldenhaft aussendende Kerl, offensichtlich ein Lichtelf, kniete neben Horst, legte seine Hände auf den Verletzten. Jeajette setzte zu einem weiteren Streich an, missbrauchte die missliche Lage. Just stoppten Feuerkugeln ihren Vormarsch.
Um ihre Priesterin zu verteidigen, löste sich Lien aus der Schar Dämonen, die sie eben bekämpfte und widmete sich dem Insekt. Die gewonnene Zeit nutzte der Lichtelf.
Seinem heldenhaften Aussehen geschuldet vermutete Nica: „Du bist Cosmo, Yelinas Vater, richtig?“
Er nickte.
Horsts Herz sank in die Hose.
Cosmo bemerkte den verdutzen Gesichtsausdruck und erklärte: „Yelina berichtete mir, was geschah. Ich bin gekommen, um dir meinen Dank auszusprechen, Schattenelf. Meine Tochter erhielt nicht nur die Hellebarde ihrer Mutter, sie reifte auch zur wahrhaftigen Priesterin. Hab Dank!“ - „Deine Frau … bitte vergib mir!“, brabbelte Horst, fast unverständlich.
Beschwerlich schluckte Nica.
Gefühlsduseleien mochte sie nie, die herzzerreißende Szene ließ aber selbst sie nicht kalt.
„Du trägst keine Schuld an Sofias Tod!“, erklärte Cosmo sanft, „du erfülltest lediglich deine Pflicht und sie ihre!“
Hört, hört! Das aus dem Munde von Lichthallens Superelfen!
„Lange Zeit versteckten wir Lichtelfen uns im sicheren Hafen Lichthallens. Inspiriert von Yelina folgen wir endlich unserer Bestimmung! Jetzt erledige deine Aufgabe, wie ich meine und mach die Unholde platt!“
Der Heldentyp lächelte.
Kaum dass Horst geheilt war, reichten er und Cosmo einander die Hände.
Erfreut widmete sich Nica erneut ihren Gefolgsleuten. Dabei bemerkte sie, dass Jeajette wortwörtlich dampfte! Jemand hielt die Mantiskönigin in Schach. Ha, Nica kannte den Jemanden sehr gut!
Motiviert krakeelte sie: „Yo Schaschette, du Sau!“
Die Mantiskönigin erlitt einen Tobsuchtsanfall.
Gleichwohl brüllte Nica: „Weißte, wir haben unseren Trumpf bisher noch gar nicht ausgespielt!“
Lien meditierte. Damals hatte Shifu Long ihr beigebracht, sich vor jedem Kampf zu sammeln. Die ersten Feuerbälle, welche die fliegenden Käfer abgeschossen hatten, waren Warnschüsse gewesen. Die darauffolgende Attacke hatte Nicas Verteidigung gedient. Zwischendurch hatte Li sich die angreifenden Bestien vom Leib gehalten, derweil ihren Fokus konzentriert.
Jahrelanges Training half ihr, zur gleichen Zeit sowohl abzuwehren als auch ihre Kräfte zu bündeln. Augenblicklich stand Lien vor ihrer Gegnerin.
Normalerweise respektierte sie Niederlagen. Aber nicht heute. Heute zählte alleinig der Sieg!
Geistig klar, legte sie ernsthaft los.
Bislang hatte Lien ausnahmslos physisch gekämpft, selten ihre verliehene Magie gebraucht. Wenn sie ehrlich war, hatte sie Angst davor. Angst vor ihrer eigenen Stärke. Angst, von ihrem Feuer verschlungen zu werden. Doch heute durfte sie keine Furcht zulassen. Heute zählte nur ein Sieg! Unter allen Umständen!
Züngelnde Flammen bedeckten ihren rechten Arm. Schnellen Tempos hastete die Kampfsportlerin zur Insektenkönigin. Indes versuchte Jeajette die Angreiferin aufzuspießen. Anhand ihres Unterarms parierte Li den Hieb. Alsbald der Schlag traf, verhärtete das Magma ihres Körpers, bildete einen eisernen Schutz. Fest stieß Lien die Klaue fort, Jeajette stanzte ihre Sichel in den Boden, damit sie ihr Gleichgewicht nicht verlor. Die Chance nutzte Li, sprang auf das dünne Insektenärmchen und balancierte flink Richtung Kopf.
Auch als Jeajette die Schneide herauszog und baumelte, behielt Lien ihren Körpermittelpunkt. Ohne menschliche Hände gelang der Schwarzmagierin nicht, die Kämpferin abzuschütteln, welche wie eine Ameise an ihr nach oben krabbelte. Deshalb verwandelte Jeajette sich zurück, der Kletteraffe stürzte dabei in die Tiefe. Höhnisch lächelte die wieder zur Frau gewordene Gestalt, jubelte über ihren scharfsinnigen Trick. Unvermittelt blieb ihr das Lachen im Hals stecken. Urplötzlich tauchte die Kampfsportlerin, Gesicht an Gesicht, vor ihr auf. Überrumpelt stand Jeajette der Mund offen.
„Verbrenne!“, hauchte Lien, ihre Flammen umhüllte Faust fand den Weg in der Magierin Rumpf. Flammen verschlangen Jeajettes Innerstes, versengten Arterien und Venen, schmolzen sämtliche Organe, durchbohrten schließlich ihren Leib. Ein Feuerschwall stob ihren Rücken hinaus und hinterließ ein großes, schwarz verschmortes Loch. Jeajette glitt auf den Erdboden.
Trocken gedachte Lien ihrer Kontrahentin einiger letzter Worte.
„Du solltest eine Pause einlegen, Insekt. Bist gerade wohl etwas Burned-Out!“
Unterdessen tobte die Schlacht weiter.
Selbst als die Anführerin am Boden lag, führten Eclisos Ungeheuer den Kampf fort. Allzu verlockend war die Erwartung, ihre Gefängniswärter auszulöschen und anschließend durch das Portal in andere Welten zu entfliehen.
Nica hoffte, dass die Gefechte auf Pura und Pulse Magia erfolgreich für die Guten verliefen, denn sie wusste um die Brutalität der Ecliso Dämonen.
Sie spürte Liens Blick. Die Chinesin las offenbar ihre Gedanken, nickte mit tröstlicher Zuversicht. Natürlich, immerhin vertraute sie ihren Freundinnen!
Dementsprechend glaubte Nica ebenso fest an die Mädchen.
Lien spurtete ihr entgegen, fegte dabei mehrere Raufbolde weg.
„Die Magierin ruht sich aus, sie wirkt etwas ausgebrannt“, erzählte Li breit grinsend.
„Wahnsinn, du Tier!“, lobte Nica ihre wertvolle Verbündete.
Die wurde daraufhin ernst. „Ich empfehle, das Ungeziefer auszurotten, bevor weiteres nachkommt.“ - „Da pflichte ich dir bei!“, unterstütze die Schattenelfe, „Ecliso ist voller Kreaturen wie diesen. Sicherlich warten die meisten Ratten in ihren Löchern. Fällt erst einer unserer Kämpfer, laufen wir Gefahr, dass sie herauskriechen und sich ihresgleichen angestachelt anschließen. Später geht uns vielleicht noch Körperkraft und Magie aus.“ - „Gut, statuieren wir ein Exempel!“, schlug Lien vor.
„Und wie stellen wir das an?“, hakte Nica nach.
Demutsvoll bat Li: „Leih mir deine Macht, Priesterin!
Von Anfang an hatte Lien die Zerstörungswut des Feuers in ihrer Seele gefühlt. Andauernd flüsterte die Quintessenz ihr verlockende Dinge zu, angefangen bei ihrer Feuertaufe in Chengdu. Fortwährend focht sie einen innerlichen Kampf mit dem Feuer aus. Es wies sie an, seine Macht zu gebrauchen und alles niederzubrennen. Darum hatte die Sportlerin lieber auf ihre Kampfkünste zurückgegriffen.
In dem Moment, als sie am Tor Eclisos angekommen waren, hatte der geistige Krieg erneut begonnen. Mächtige dunkle Energien, welche überall in der Luft schwirrten, verführten Lien. Es wäre ein leichtes, den ganzen, heruntergekommen Planeten in Schutt und Asche zu legen, jedoch nur im Austausch eines unbezahlbaren Preises. Gab Lieb dem Zorn des Feuers nach, verschlang es nicht nur den Erdball, mitsamt ihren Feinden, sondern auch sie.
An Selbstvertrauen mangelte es Lien keineswegs, dennoch empfand sie respektvolle Furcht vor ihrer eigenen Macht. Ebendarum hatte sie beschlossen, den Rat ihres Meisters zu beherzigen und im Vorfeld der Kampfhandlung meditative Kontrolle über ihren Geist auszuüben.
Aktuell fühlte sie sich für ihre Kräfte bereit.
„Liebes Feuer“, gebot sie ihrem Element, „du darfst spielen!“
Kaum ausgesprochen, durchflutete machtvolle Energie Liens Körper. Die Macht des Feuers wirkte äußerst berauschend. Wieder tobte ein innerer Kampf.
Das Element sprach zu ihr: „Lass es geschehen!“
Lien antwortete im Stillen: „Das tue ich bereits!“ - „Nein!“, dementierte die Quintessenz, „du unterdrückst mich, lässt mich nicht gewähren!“
Schweiß bedeckte Liens Stirn.
„Du verschlingst zunächst die Welt, dann mich! Deshalb kann ich dich nicht einfach freilassen!“ - „Unsinn!“, konterte die Stimme, „ich brenne und verbrenne. Das sind meine natürlichen Zustände. Aber in meinem Ursprung bin ich neutral. Erwägte ich böses, suchte ich mir einen anderen Träger. Deine Stärke, mental, wie körperlich, faszinieren mich! Da ich dich wählte, entschied ich mich für die gute Seite. Wie könnte ich weiterhin existieren, wenn das Böse das Universum in Schwärze hüllt, das Leben zerstört und es für mich keine Nahrung zum Lodern mehr gibt?“ - „Aber du hast mich schon einmal fast verzehrt!“ - „Nein!“, argumentierte das Element erneut gegen ihre Empfindung, „deine Gefühle überwältigten dich, dein Zorn verschlang dich! Ich verstärkte lediglich deine Kraft!“
Liens Körper zitterte mittlerweile vor Anstrengung.
„Das heißt“, gab sie letztlich nach, „du unterstützt das Gute in mir und den Wunsch, die Feinde der Königin von Licht und Magie zu besiegen?“ - „Ja!“, beglaubigte die Quintessenz.
Sollte Lien ihr Glauben schenken? Aber wenn sie ihrer eigenen Macht nicht traute, wem dann?
„In Ordnung, ich vertraue dir! Rock ’n’ Roll!“
Verglich man die endgültigen Vereinigungen der anderen Elementkrieger, stellten die drei vorigen seichtes Wasser mit einer herrlichen Brise und einem leichten Wellengang dar. Im Gegensatz dazu war Lien der Tsunami.
Feuer stob in alle Himmelsrichtungen, die Erde bebte infolge ihrer Kraftexplosion. Die schwül-warme Luft trocknete vollständig aus, Hitze versengte die Haut der Kämpfenden. Jene unterbrachen ihre Handlungen und suchten die Quelle der veränderten Sphäre. Nicas geistige Verbindung zu ihrer Kriegerin brach, war jedoch nicht mehr vonnöten.
Äußerlich keinen Deut verändert, standen zahlreiche Bösewichte der erwachten Elementkriegerin des Feuers gegenüber. Und die ließ bei Weitem nichts anbrennen!
Sinnbildlich einer Rakete schoss das Wesen, gänzlich flammenumhüllt, auf einen erhöhten Vorsprung. Li breitete ihre Arme aus.
„Ich vertraue dir!“, wisperte sie erneut.
Sie spürte einen Blick – den ihrer Priesterin.
Ein letztes Mal konzentriert flüsterte sie: „Fuoco Infernale, brucia!“
Zunächst schwirrte die Luft heiß. Jäh brannte sie. Das Erdreich glühte karminrot. Aus dem Nichts brach das Fegefeuer der Hölle herein und verschlang den vollständigen Planeten.
Nichtsdestoweniger hielt die Quintessenz ihr Wort. Alle bösartigen Kreaturen, welchen selbst ein letzter Funken Menschlichkeit fehlte, verbrannten qualvoll und zerfielen zu einem Klumpen Asche. Zwar bedeckten die Flammen Schatten- und Lichtelfen, diese spürten sie jedoch als angenehm warmen Hauch. Kein Leid tat Feuer ihnen an.
Die Kampfsportlerin Lien beendete die Schlacht auf Ecliso, es hatte sie ein Quäntchen Mut und eine Prise Vertrauen gekostet.
Einige Minuten fassten die Kämpfenden nicht, was eigentlich geschehen war.
In einem Moment dachten sie, das Feuer verbrannte sie. Im nächsten war der Krieg entschieden.
Erschöpft stürzte Li zu Boden. Dieses Mal hatten ihre Kleider nicht überlebt.
Unfreiwillige Nacktheit scherte sie momentan weniger. Froh stolzierte Nica Lien im normalen Alltagsoutfit entgegen, legte sich neben die Kriegerin in die Asche.
„Gettofaust!“, grüßte die Schattenelfe.
„Wie bitte?“, fragte Lien irritiert.
Doof glotzend erläuterte Nica: „Das machen die Kids in New York doch so!“ - „Schätzchen, ich bin Chinesin!“
Beide grölten laut. Auf Lachen folgte Husten, bedingt durch die Asche geschwängerte Luft, oder ihre körperliche Erschöpfung.
Ein ziemlich ramponierter Horst gesellte sich zu dem Duo.
„Darf ich mich ebenfalls amüsieren?“
Nica erzählte Lien: „Horst steht auf Jessica!“ - „Echt?“
Lien wirkte überrascht und neugierig.
Fast wie abgesprochen, nahm sie ihm den Wind aus den Segeln.
„Hm, sorry Kumpel, ich glaube, die Hexe steht auf, na ja, mehr so Intelligenzbestien.“
Horsts Gesicht fiel zusammen, Nica krümmte sich. Der kommende Lachanfall hielt fünf Minuten.
„Blöde Kuh, gib dem armen Mädchen lieber etwas anzuziehen!“, schmollte Horst beleidigt.
„Selbstverständlich! Aber, Li? Ich besitze nur Lack und Leder!“
Gemäß ihrem neuerlichen Kopfkino mit dem Titel „Chinesin in Leder“ verdrehte Lien die Augen.
Eben wollte sie etwas sarkastischen erwidern, da erreichte ein ungutes Gefühl ihre Magengegend. Ein überwältigend ungutes Gefühl.
„Was ist los?“, fragte Nica, sofort in Kampfmodus.
Hastig sprang Li auf.
„Ich muss zurück zur Erde!“, orderte sie, „Lara schwebt in Gefahr!“