Erster Angriff
„Well, if living means having to bow down to the likes of you, then I‘d rather to die on my feet with my head held high.“
Mugen, Samurai Champloo
Gleichermaßen überrascht, wie auch schockiert, starrten zehn Kriegerinnen der Königin die Eindringlinge an.
„Sydney!“, hauchte Yelina entgeistert.
„Hallo, mein Täubchen!“, erwiderte er zärtlich.
Was für ein Psychopath …
Sonja, zitternd am ganzen Leib, stotterte: „Rick, du …“ – „… Oberarschgeige!“, beendete Maris den Satz. Aufgebracht schnaubte sie, ihre Nasenflügel bebten wie die Nüstern eines Ochsen.
Der Verräter verschwendete kein Wort an sie. Psychopath Nummer Zwei!
Nica und Shanti tauschten vielsagende Blicke, prusteten dann schlagartig los.
„Ist das Schaschette?“, fragte die Schattenelfe.
Ihr Waldelfen-Zwilling antwortete: „Ja, die Insektenfrau, inklusive neuer Arme.“
Wutentbrannt schnaubte die Magierin: „Eure Unverfrorenheit vergesse ich euch nicht! Heute zerquetsche ich euch!“
Die dritte Psychopathin! Hatte die Nekromantin ihre Bediensteten bei einem Sanatorium in Großverpackung bestellt?
Ganz gleich, wie lustig der Scherz erschien, Jessica spürte die unmittelbare Bedrohung in jeder Faser ihres Körpers.
„Wohl bin ich der Eine, dem ihr noch nicht begegnet seid“, stellte der Vierte im Bunde der Schwarzmagier fest und sich dann direkt vor: „Johnny, globaler Superstar, Frauenheld, Idol, Gewinner der Herzen. Oh, und Schwarzmagier der großen Vier!“
Wow, man konnte es kaum fassen, er übertraf seine Kameraden noch! Ein Oberpsychopath vor dem Herrn!
Erwartungsvoll blickten die Mädchen ihre Anführerin an.
Maelle interessierte: „Was meint er mit den ‚großen Vier‘?“ - „Ist das nicht offensichtlich?“, mischte sich Rick ein, seine Augenlider genervt geschlossen.
Sonja zupfte Jessica am Hemdsärmel.
Als sie sich umwandte, mutmaßte die Wächterin: „Vier Hohepriester auf der Seite des Guten, selbige Anzahl stehen für das Böse.“ - „Korrekt! Das ist meine kleine Sonja!“, lobte der Doppelspieler namens Karottenkopf.
„Halts Maul!“, brüllte Maris fuchsteufelswild, ihre Hand zur Faust geballt.
Sie ertrug es nur schwer, dass der Mann, den ihre Schwester liebte, sie auf solch miese Art behandelte.
Jessica unterbrach Maris’ Wutanfall. Prüfend betrachtete sie die Gegner.
„Ihr seid also selbst ernannte Priester? Nun denn, über welches Element wacht ihr, oh, ihr mächtigen Vier?“
Eiskalte Augen bohrten sich in Jessis Fleisch. Mit folgender Antwort hatte die Hexe keineswegs gerechnet. „Wir kontrollieren keine elementare Quintessenz“, berichtigte Sydney, „sondern einen Zustand. Dank der Macht unserer Königin.“
Bevor die Hexe nachhaken konnte, breitete das Quartett seine Arme aus.
Gemeinschaftlich sangen sie: „Oscurità!“
Das schwarze Loch erweiterte seinen Umfang, spuckte Unmengen Schatten aus. Unvermittelt schwankte Yelina – ein Zeichen von überwältigender, dunkler Energie. Nica stützte ihre Freundin.
„Sind diese Dinger wo etwas wie Dämonen?“, keuchte Hanna atemlos
„Solche Viecher habe ich noch nie gesehen!“, äußerte Lien.
„Ach, du heilige Scheiße! Sie dringen in diese Welt ein!“, schrie Jessica panisch.
Dadurch bahnte sich eine Katastrophe an. Falls die Ecliso Dämonen über Menschen herfielen, nicht auszudenken! Jessi handelte sofort.
„Luna, mi senti! Mi presta l‘ Incanto delle Strege!“
Der Mondstein reagierte.
In ihrem fließend hellblauen Kleid schwang die Hexe ihren Zauberstab.
„Circoli delle Strege! Muro gigantesco invisibilie!“
Wie gerufen – im wahrsten Sinne – erschien ein gigantischer Schutzwall, dehnte sich gemäß Jessis allumfassender Gestik über die gesamte Stadt aus.
Alleinig ihre Stärke streckte den Hexenzirkel weiter als jemals zuvor.
„Dormite!“
Die Menschen im unmittelbaren Umkreis sackten schlafend zu Boden.
Weil Schlafende nicht bewusst fühlten, konnte Johnny zunächst keine Lebenskraft von den hiesigen Anwesenden rauben. Außerdem würden die Sterblichen den kommenden Kampf verpassen. Weniger Arbeit für den Rat und letztlich für Jessi.
Nica schenkte ihrer Anführerin ein achtungsvolles Nicken, dann brüllte sie: „Jessica widmet ihre gesamte Geistesgegenwart der Verteidigung der Menschenstadt und benötigt unsere Unterstützung mehr denn je! Also, lasst uns dieses Teufelspack ausrotten!“
Die Schwarzmagier belächelten Nicas Ansprache, eine erste Schar Ecliso Monster erreichte die Straße. Glücklicherweise war diese aktuell geringfügig befahren. Dichten Verkehr an Autos aufzuhalten, überstiege wahrscheinlich Jessicas Zauberkunst. Immerhin lenkte ihr Wall den Verkehr zeitweise um. Die Menschen nahmen ihn unbewusst, genauer gesagt in ihrem Unterbewusstsein als Hindernis wahr. Der Umstand verschaffte den Mädchen Zeit. Auch, wenn es sich um wenige Minuten handelte.
Telekinetisch warf Sydney ein parkendes Auto nach der Hexe. Die riss ihre schönen blauen Augen auf.
„Gelarsi!“, zauberte sie, gerade im richtigen Moment.
Eingefroren stoppte der Wagen mitten in der Luft.
„Verdammt! Wenn das so weitergeht, verbrauche ich in weniger als 60 Sekunden meine vollständige Zauberkraft!“, schalt sie.
Lien erkannte die Notlage ihrer Mitstreiterin.
In freudiger Erwartung, ihre Kräfte mit denen Außerirdischer zu messen, befahl sie: „La Potenza dell Fuoco, ascoltami!“
Ehe jemand registrierte, was geschah, explodierte Liens Aura. Ihr Lotusblüten-Rubin-Anhänger detonierte und gab tiefrotes Feuer frei, welches den muskulösen Torso in Brand setzte. Das entstandene Flammenmädchen schaffte Anlauf, sprang mit geschmeidiger Eleganz und kickte das schwebende Auto fort. Einfach mal so. Als wäre es das Normalste auf der Welt gewesen. Ehe das Gefährt schlafende Menschen zerquetschen konnte, landete Lien auf dem Asphalt, hetzte mit atemberaubender Geschwindigkeit hintendrein und fing den SUV beidhändig auf. Einfach mal so.
Mühelos setzte Lien das tonnenschwere Vierrad ab. Einfach mal so!
Erstaunt verfolgten die Parteien des Guten und die des Bösen Liens Show.
„Die da könnte zum Problem werden!“, diktierte Rick besorgt.
Jessica grinste.
„Gut gemacht!“, lobte sie die Chinesin, froh sie im Team und nicht an das Böse verloren zu haben.
Erstaunt musterte die Hexe ihre übrigen Mädchen, welche von Liens beeindruckender Tatkraft motiviert schienen. Liens gewaltige Stärke interessierten die dummen Dämonen wenig, vehement stürmten sie voran.
Ebenso inspiriert wie ihre Mädchen donnerte Jessica: „Kriegerinnen, Röcke raffen! Macht euch bereit!“
Nacheinander beschworen die Vertreterinnen des Guten ihre gegebene Magie, tauchten das Schlachtfeld für die nächsten Sekunden in ein Lichtermeer, das ein Feuerwerk läppisch erscheinen ließ.
Sydney peilte Yelina an, stürzte mit einem Satz auf sie.
„Vento, mi da Forza! Mi presta la Magia Bianca!“
Weißes Licht blendete den Schwarzmagier. Blind langte er nach seinem begehrten Opfer. Allerdings hatte das Täubchen genug von ihrer Schwächlichkeit. Federnde Schwingen hoben ihren zarten Körper himmelwärts.
„Alabarda!“, befahl sie.
Ihre Hellebarde packend, attackierte sie den Feind. Verblüfft duckte Sydney sich unter dem Angriff weg. Verblüfft, aber noch rechtzeitig.
„Du attackierst mich?“, fragte er frappiert.
„Nein!“, stellte Yelina richtig, „ich kontere!“ Dank mentaler Trainingseinheiten stand sie ihrem Feind selbstsicher gegenüber. Sydney schleuderte Schwarzmagiebälle, Yelina verteidigte, indem sie ihre Waffe kreiste. Als der Ballwurf stoppte, stieß die Lichtelfe zu. Zur eigenen Abwehr beschwor Sydney ein schwarzschneidiges Schwert, mit dessen Hilfe er die Stabwaffe blockte.
Währenddessen waren auch die Übrigen aktiv geworden.
Vergleichbar mit Marionetten kontrollierte Rick einige Dämonen. Schulfreundin Sonja rannte den Puppen entgegen.
„Regina, mi ascolta, per protteggere i sogni!“ Ihr Handspiegel erschien, ein eingefasster, herzförmiger Lapislazuli reagierte.
Im Lauf wandelte Sonja ihre Gestalt. Die Amazone in Lederkluft und Bandagen wirbelte ihren Holzstab, der lockige Iro wehte im Wind. Hintereinanderweg schlug sie das Stockende auf die Schädel der Ungetüme, in deren Bäuche, oder brachte sie zum Stolpern, indem sie ihnen die Beine fortnahm. Angestachelt durch den Rausch der Schlacht fällte die Wächterin eine leere Hülle nach der anderen. Ihr Ehrgeiz forderte Rick heraus. Er diktierte seinen Untertanen, Sonja zu fokussieren. Maris bemerkte die Bedrängnis ihrer Schwester, hastete sogleich an ihre Seite.
„Mare, mi da forza! Mi presta la Magia delle Onde!“
Meerwasser spülte einige Feinde außer Reichweite der jüngeren Schwester.
Ausschließlich einen blauen Bikini tragend, die Aquamarin Brosche an der rechten Seite ihrer Badehose, erreichte die Priesterin den Kampfplatz. Seite an Seite kämpften die Geschwister nun gegen die sich stetig vermehrende Gegnerschar. Noch vertraute Maris auf die Hilfe ihres mächtigen Dreizacks. Was aber, wenn die Waffe nicht genügte?
„Was stehst du hier so auf dem Trockenen?“, rief es hinter ihr.
Natürlich ahnte Maris, wem die Stimme gehörte. Mehre Dämonen hechteten auf die Mädchen, ein abscheuliches Biest packte die ältere und schmiss sie rückwärts. Beim Fallen erhaschte sie einen Blick auf die Britin, deren eindringliche Worte unmittelbar erklangen.
„La Potenza d’Acqua, ascoltami!“
Larimar färbte umliegendes Areal blau, Wasser flutete um eine edel stolzierende Lara. Der Kleidung entledigt, entsprach sie vollständig ihrem Element.
„Pistola Acquosa!“
Offensichtlich halfen die Schießübungen. Jeder abgegebene Schuss traf einen Unhold. Laras Unterstützung verschaffte Maris und Sonja Atemfreiheit.
Derweil vollzog Jeajette ihren Wandel. Sie vergrößerte ihre Macht, indem sie zur Mantiskönigin wurde.
Ähnlich zum damaligen Gefecht stellte sich das Zwillingspärchen Shanti und Nica dem Ungetier entgegen.
„Fiamme, mi da Forza! Mi presta la Magia delle Guerreri caduti!“ - „Foresta, mi da Forza! Mi presta la Magia della Natura!“
Prompt erhörten Hämatit und Bernstein die Rufenden. Die jeweils eine Lederkluft tragenden Zwillinge fegten alle greifbare Feinde mit Colichemarde Dolchen und Tomahawk Axt hinfort, bahnten sich geradewegs einen Tunnel Richtung Riesenheuschrecke. Mittlerweile hatte sie neue Tricks auf Lager.
Sie stieß einen schrillen Schrei aus, der an Sirenengesang erinnerte und in den Ohren schmerzte. Eklig aussehendes Getier kroch aus dem Portal heraus.
Die Insekten krabbelten den marschierenden Dämonen hilfreich zur Seite. Das Miststück johlte vergnügt. Einige Käfer, von der Größe irdischer Pkws, sausten auf die Elfen.
„La Potenza d’Aria, ascoltami!“
Ametrin erzeugte Sturm, Windböen behinderten das fliegende Gewürm.
Ein gelblich durchscheinendes Geschöpf erschien.
„Hey, du Zecke! Der Luftraum ist mein Gebiet! Verzieh dich!“, stellte es klar.
„Maelle!“, riefen Nica und Shanti unisono.
Die Angesprochene rief ihr Wurfgerät, schleuderte den Bumerang, als ob sie nie in ihrem Leben etwas anderes getan hätte.
Er flog eine perfekte Runde, stob mitten durch die Schalen der Flattermänner.
„Meine hübschen Babys!“, krisch die Magierin aus vollem Leib, als die Waffe das Gewürm in Hälften teilte und grünliches Blut den Asphalt tränkte.
„Uh! Nur eine Mutter kann dermaßen hässliche Kinder für hübsch empfinden!“, spottete Maelle.
Ihre Fopperei reizte die sich gequält windende Bienenkönigin. Johnny huschte an ihr vorbei, ein Mikrofon in Händen. Er plärrte hinein, eine Schallwelle entstand, schmetterte Maelle nach unten und riss die Zwillingsschwestern von deren Füßen. Der Schwarzmagier schickte einige Klingen schwarzer Magie hinterher. Bevor sie die angepeilten Ziele trafen, spurtete Hanna auf sie zu.
„La Potenza di Terra, ascoltami!“
Ihr Smaragd entließ allerlei Pflanzen, welche die Mexikanerin umschlangen. Wuchtig klatschte sie eine Handfläche auf den Boden.
„Muro!“
Eine Wand aus Erde erschien, wehrte die Schneiden ab. Daraufhin stahl sie unter Zuhilfenahme ihrer Peitsche Johnnys Mikro.
Indessen bedrängten Dämonen die Kriegerin aus Magma. Lien kämpfte hart, platzierte Schläge und Tritte, eröffnete den Feinden keinerlei Chance.
Konzentriert verfolgte Jessica das Geschehen, ihren Wall mühevoll aufrechterhaltend. Ihre Mädchen hatten die letzten Wochen fleißig trainiert, ihre körperlichen Fähigkeiten sowie ihre geistigen geschult. Im laufenden Gefecht schlugen sie sich hervorragend. Jedoch, das musste sie bemerken, nutzten die Kriegerinnen ihre magischen Kräfte marginal. Das bedeutete, sie benutzten einen Bruchteil, riefen ihr Potenzial nicht vollständig ab.
„Gebraucht eure Magie!“, rief die nahezu erschöpfte Hexe über das Schlachtfeld.
„Das tun wir doch bereits!“, bekundete Maelle.
„Nein, eben nicht“, dachte Jessi.
Entsprechend ihrer Beobachtungen wirkten Hanna, Maelle und Lara geringfügige Elementarzauber, Lien gar keine. In jedem Fall schöpften sie die Elementarmacht lange nicht aus.
„Was denkt ihr, liebe Brüder? Wollen wir ernst machen?“, frotzelte Jeajette unversehens.
Jessica stockte der Atem. Schweiß bedeckte ihre Stirn. Das war hoffentlich ein Scherz!
„Bitte, lieber Gott“, hauchte sie.
Abrupt endeten die Angriffe seitens der feindlichen Kreaturen. Die Schwarzmagier hielten urplötzlich Steine in ihren Händen.
Nein. Etwa …?
… Magiesteine?
„Mädchen, greift an! Worauf wartet ihr?“, schrie Jessi vorahnungsvoll.
Lara zielte und setzte zum Schuss an.
„Hallo“, grüßte eine vertraute Stimme, die Lara dazu bewegte, ihre Pistolen zu senken. Aus heiterem Himmel tauchte Andy vor ihrer Nase auf.
„Ach du Scheisse!“, fluchte Jessi, die den Schönling vom Hafen Nizzas erkannte.
Fassungslos starrte Lara ihn an, ebenso taten es Maris und Sonja. Jessica spürte seine veränderte, dunkle Aura.
„Vorsicht! Er gehört dem Bösen!“, suggerierte sie.
Vermeintlich hatte das Dämonenmädchen einen großen Teil seiner Seele geraubt, welchen die Dunkelheit nun ersetzte. Obgleich ausgelaugt, sammelte die Hexe ihre verbleibenden Kräfte. Sie musste den Kerl unbedingt wegschaffen, damit Lara aus ihrer Erstarrung erwachte.
„Corazon!“, hauchte ein weiterer Vertrauter.
Oh weh, das war nicht möglich!
Sie brauchte nicht nachzusehen, um zu wissen, wer hinter ihr stand.
„Wieso?“, stammelte Jessi.
Alejandro trat neben sie.
„Ich weiß nicht“, säuselte er, wie sie ihn nie hatte säuseln hören, „ich wachte eines Morgens auf und eine angenehme Dunkelheit zog mich an, versprach mir Macht, verlockte mich, sie zu ergreifen.“
Jessicas Schutzmauer bröckelte, ihre Konzentration wankte. Das Verstummen ihrer Anführerin lähmte die Kriegerinnen, Jessis Unsicherheit schwappte unmittelbar auf die Mädchen über. Schandtätlich missbrauchten die Schwarzmagier die Gunst der Stunde, zogen unheilvoll funkelnde Steine aus ihren Taschen und beschworen sie.
„Regina delle Morti, ci da Forza!“, behexten sie die Kraft ihrer Königin.
Schamlos kopierten diese Arschlöcher Celestias Bannsprüche. Das grenzte an Blasphemie.
Kalte, unnatürliche Energieschübe umkreisten das Quartett. Klirrend und gespenstig wog die neblige Atmosphäre, vergleichbar mit einer eingefrorenen, geschmacklosen Suppe. Hunderte Nadelstiche piksten auf der Haut.
Mit einem Mal erkannte Jessica den Zustand. Es war derselbe, den Chuck und die Königin von Licht und Magie erwähnt hatten. Vor ihren Augen beriefen vier Schwarzmagier die verbotene Magie des Totenreichs. Rüstungen aus schwarzem Metall beschützten die Männer, eine Ummantelung aus gleichem Material bedeckte Jeajettes Insektenkörper. Die geballte Macht des Bösen schwoll spürbar an und die Feinde verloren keine Zeit.
Fangschrecke fächerte ihre Sicheln, schnitt Kerben in die Leiber Nicas und Shantis. Beide gingen blutend nieder.
Entgeistert keuchten die anderen Kriegerinnen, welche den Niedergang ihrer Kameradinnen mit ansahen. Zeit, die neue Situation zu verdauen, gewährte ihnen das Böse nicht. Sydney stieß Energiewellen aus, welche Yelina trafen.
Ihre Flügel trugen die Lichtelfe daraufhin nimmermehr, sie stürzte. Sänger Johnny paralysierte Maris, Hanna und Maelle anhand eines plärrenden Gesangs. Derweil tangierte Rick Schulfreundin Sonja mittels Kugeln aus dunkler Magie. Die Wächterin wehrte die Geschosse bestmöglich ab, trotzdem traf er sie eindeutig zu oft. Auch auf der anderen Seite des Schlachtfelds stand es schlecht um das Gute. Brutal packte Andy Lara an der Kehle. Breit grinsend würgte er das Mädchen aus Wasser, bis es vor ihm auf die Knie fiel. Ein Zeichen dafür, dass er unter dem Einfluss des Bösen stand, Lara dagegen ihr Element nicht vollkommen kontrollierte. Denn normalerweise sollte ein Mensch keinesfalls in der Lage sein, ein Elementwesen derart anzupacken. Weiter hinten setzte Alejandro Jessica zu. Verbal.
„Du hast mein Schlafzimmer gesprengt, du dumme Hure, und mich anschließend hochgradig abserviert!“, spie er, „beim Teufel höchstpersönlich schwöre ich, du bekommst die Quittung!“
Gewaltsam schleuderte er die Hexe durch die Luft, was ihm – analog zu Andy – im Prinzip gar nicht erst hätte gelingen dürfen. Jessis Bann brach, die Schutzmauer zerfiel.
Glücklicherweise waren die hier schlafenden Menschen bis auf Weiteres bewusstlos. Aber nicht auszudenken, wenn die Bestien damit begannen, Erdbewohner zu metzeln! Ohne den Schutzwall könnten bald die Polizei und Medien eintreffen. Außerdem erkannte Jessica neugierige Gesichter an den Fenstern der verschiedenen Läden.
„Fuck“, schmerzerfüllt und am Ende ihrer Kräfte angelangt, erhob sie sich.
Die Menschen durften keine Magie erfahren, geschweige denn, ins Geschehen verwickelt werden!
Schweiß lief ihren Rücken runter, benetzte das seidene Kleid. Keuchend entwickelte sie eine letzte Zauberformel.
„Hexen der Erde gebt mir Kraft. Königin, gestehe mir meines Steines Macht, Mondlicht leih mir Energie, helft mir Gutes schützen, die hier Kämpfenden zu unterstützen, Menschen zu bedecken und die Kriegerinnen zu verstecken! Specchio, che comprende tutto!“
Erneut steckte sie das Kampfgebiet ab, verwendete dafür eine Spiegelwand.
Eine alles umfassende Glasfläche breitete sich vor den Geschäften und Häusern aus, den gesamten Block entlang. Außenstehenden vermittelte sie das Bild einer gewöhnlichen Umgebung. Jegliche Bewohner oder Gäste der angrenzenden Gebäude, Passanten, Spaziergänger, Polizei und Schaulustige entdeckten keinerlei Auffälligkeit mehr. Den Zauber über das Verbergen von Magie und magischen Vorkommnissen hatte Jessica in einem Kurs für Fortgeschrittene gelernt. Äußerst praktisch. Heute dankte sie ihrer Mum im Stillen. Sie hatte ihr den nötigen Arschtritt verpasst. Durch ihr Zutun hatte Jessi erst am Seminar teilgenommen. Doch der Bannspruch forderte einen Tribut. Keine Zauberkraft war in ihrem Leib übrig, müde kippte sie um. Am Boden verwandelte sie sich zurück, ihr Kleid verschwand, Jeans und Bluse ersetzten es.
Liens Tipp hatte funktioniert. Erfreulicherweise war Jessica nicht nackt.
Kurzerhand zog sie ihr Handy aus der Hosentasche, tippte eine kurze Nachricht, adressiert an ihren Vorgesetzten, informierte ihn über einen Dämonenkampf und bat um Löschung etlicher Gedächtnisse von Zivilisten.
Die Hexenmeister der chemischen Abteilung des Rats entwickelten Methoden, welche ihnen erlaubten, viele Personen auf einmal zu manipulieren. Froh, ihre Pflicht erfüllt zu haben, atmete Jessi aus. Auch erleichtert darüber, dass der Spiegelzauber nicht an Jessicas Zauberkraft gebunden war, sondern vermutlich einige Minuten hielt. Hoffentlich nutzen ihre Mädchen die Zeit!
Angesichts der am Boden liegenden Anführerin richteten sie sich auf und setzten den Kampf fort.
Jeajette drosch mehrfach auf die stark verwundeten Elfenzwillinge ein, die Geschwindigkeit ihrer Hiebe war unangefochten. Kriegerin Lien eilte zu ihrer Kameradinnen Rettung. In ihrem Flammen umzüngelten Torso sprang sie, hob vom Erdboden ab, boxte der dünnen Fangschrecke in die Körpermitte. Aufgrund der Kraft ihres Schlages wich das Insekt zurück, spuckte grünliches, übel riechendes Blut.
„Oh!“, stieß Jessi am Boden liegend aus, „bitte nicht gegen das Gebäude prallen! Es gibt Dinge, die kann man nicht erklären!“
Wem sagte sie das überhaupt? Keine Sau hörte ihr zu!
Die Chinesin half Nica und Shanti auf die Beine, hastete danach weiter.
Quasi im Alleingang bekämpfte sie die neu angreifende Gegnerschar. Zu Recht betrachteten die Feinde Lien als die größte Gefahr, konzentrierten nachfolgende Attacken auf sie. Mühelos wich sie Klauen, Energiebällen, Magieschneiden und Schwertstreichen aus. Mittels Sprungkick erwischte sie Rick am Kopf. Kaum gelandet, hüpfte sie auf Jeajettes Körper, fällte den Strich in der Landschaft durch einen brachialen Kinnhaken. Lien gönnte sich keine Pause. Zwei Gegner niedergeworfen, zwei übrig. Flott überbrückte sie Distanz, vollführte einen Handstützüberschlag, der jeden Turner vor Neid hätte erblassen lassen, klemmte nebenbei Johnnys Kopf zwischen ihre Beine und wirbelte ihn schwungvoll zu Boden. Als er sich aufrichten wollte, hockte Lien auf ihn und platzierte einen wirkungsvollen Faustschlag. Fluchend beschoss Sydney das Mädchen, nutzte hierfür seine Kugeln aus schwarzer Magie. Unbeeindruckt preschte Lien vorwärts, nietete manchen Dämon auf ihrem Weg um, blockte händisch die fliegenden Geschosse und trat einem verblüfften, leichenblassen Magier in seine Magengrube. Genauso schockiert wie die Feinde waren ihre Verbündete. Eine Show dieser Art hatten sie zuvor nie verfolgt. Lien kämpfte mit dem Herzen eines wahren Kriegers.
Kurz hegte Jessica die Hoffnung, die laufende Schlacht zu gewinnen. Jäh wurde diese im Keim erstickt.
Auf der Innenseite der Spiegel erschien eine unbekannte Gestalt, besser gesagt, deren schwarzer Schatten.
Jeajette nahm menschenähnliche Züge an. Alle vier Schwarzmagier fielen auf ihre Knie, die zur Faust geballte linke Hand jeweils an den Brustkorb gelegt.
Offenbar verneigten sie sich vor dem Schemen. Das bedeutete, dieses Spiegelbild gehörte ihrer Königin!
Zum ersten Mal erblickten die Kriegerinnen das schattenhafte Antlitz der bösen Herrscherin. Viele Details gab sie nicht preis, doch die angedeuteten Umrisse genügten, um Gänsehaut zu erzeugen. Angst gebot ihr donnerndes Gebrüll, welches ungefiltert über das Kampfgebiet dröhnte.
Wenigstens hörten es die Menschen außerhalb des Walls nicht, oder die noch schlummernden.
„Was zur Hölle soll das werden, wenn’s fertig ist?“
Nacheinander zuckten die Schwarzmagier zusammen, ebenso die Mädchen.
Kraftlos sackte Yelina hernieder. Die gewaltige Aura, die durch den Spiegel drang, war zu viel für ihre Lichtelfengene.
Unfassbar! Über solche gewaltige Kräfte verfügte die Widersacherin, genannt Nekromantin. Sie überwand Jessicas Spiegelzauber und verwendete ihn für ihre Zwecke.
„Euch wählte ich, die Schergen Celestias auszulöschen!“, richtete die Böse ihre abscheulichen Worte an ihre Schergen.
Die tiefe Stimme klang sie brennendes Öl.
„Wollt ihr mir weismachen, dass euch kleine Rotzgören in Form dieser Hosenscheißer fertigmachen?“
Weinerlich flehte Jeajette: „Bitte, Eminenz! Vergebt uns! Wir …“ – „Details eures Versagens interessieren mich nicht!“, polterte die Totenbeschwörerin.
Sprachlos, verstärkt und entsetzt beobachteten die Kriegerinnen das Geschehen. Jede einzelne verharrte versteinert an ihrem Platz.
„Bezieht meine dunkle Magie“, offerierte die Böse, „tankt Boshaftigkeit, dann zerstört ihre Existenzen! Gestern!“
Ohne jeden Übergang verschwand das Antlitz der bösen Königin. Spiegel waren wieder bloß Spiegel. Die seltsamen schwarzen Steine erstrahlten in einem matten Glanz. Gefühlt fiel die Temperatur des Gebiets um mehrere 10 Grad, sackte weit in den Minusbereich. Flächenweise ausgestoßener Atem bildete dampfende Wölkchen. Angestachelt von ihrer Königin Worte steigerten die Schwarzmagier ihre Level erneut.
„Mädchen!“, krisch Jessica, die eine schlimme Vorahnung verspürte.
Lien preschte los. Nach und nach reagierten ihre Kameradinnen. Die Schwarzmagier verbanden ihre Magie zu einem vernichtenden Angriff.
Zeitgleich als Lien, Nica, Shanti sowie Maris die Kontrahenten Sydney, Jeajette, Johnny und Rick erreichten, stießen die letztgenannten eine todbringende Flutwelle aus. Der zähflüssige Schwall erfasste jedes Lebewesen, ob Freund oder Feind, vernichtete unzählige schwächere Dämonen, verletzte die zarten Körper der jungen Frauen, peitschte sie wild durch die Gegend. Jessicas Mädchen kamen unsanft hinter ihr auf.
Auch die Hexe kugelte über den Asphalt, schürfte sich sämtliche Stellen ihrer Haut auf. Unbegrenzte Furcht erfüllte sie. Nicht etwa die Angst vor dem Tod, vielmehr davor, dass ihren Mädchen etwas geschah. Ächzend wandte sie den Kopf, schaute nach hinten. Vereinzelt lagen die Kriegerinnen auf dem staubigen Asphalt, keine von ihnen regte sich mehr. Sie waren eindeutig besiegt.
Blutüberströmt und von Schmerzen erfüllt, robbte Jessica vorwärts.
Grinsend trat Alejandro in ihren Weg. Mühevoll stützte sie sich auf die Ellenbogen, blickte ihn direkt an. Ihren Ex-Freund erkannte sie nicht wieder, der vormals gute Mensch verschwand vollständig. Er trat gegen ihr Gesicht.
Blut triefte aus Jessis Nase und Mund, hinterließ rote Flecken auf ihrer weißen Bluse. Weitestgehend ignorierte sie ihre eigene Qual, lugte stattdessen ein weiteres Mal zu ihren Schützlingen. Immer noch lagen sie regungslos im Dreck. Erneut holte Alejandro aus, kickte nun in ihren Bauch.
Frustration machte sich in Jessi breit.
Hoffnungsträger Lien kam zur Besinnung, versuchte aufzustehen, aber ihre Extremitäten versagten. Wütend über ihre Machtlosigkeit, schlug sie mit der Faust auf den steinigen Grund. Verzweifelt schaute sie zu Jessica.
Angrenzend spurteten Alejandro und Andy außer Reichweite, während die Schwarzmagier zum Gnadenstoß ansetzten.
Sydney, Jeajette, Rick und Johnny bündelten ihre magischen Fähigkeiten. Die nächste Welle würde die Kriegerinnen vernichten. Rational gesehen.
Jessica sah ihrem Ende entgegen. Sie begegnete Liens Blick und nickte lächelnd. Es stellte ein „Danke“ dar. Ein Dank für Liens überwältigende Opferbereitschaft.
Und plötzlich wurde Jessica bewusst: Wenn die Feinde schon die unbezwingbare Chinesin besiegten, blieb den anderen keine Chance gewahr.
Sanft hauchte die Hexe: „Yelina, Shanti, Nica, Maelle, Hanna, Lara, Maris, Sonja, Lien. Ihr alle! Es tut mir unendlich Leid!“
Tränen rollten über ihre Wangen. Zeitgleich entfesselten die Schwarzmagier ihren ultimativen Angriff. In Zeitlupe beobachtete Jessi die sich nahende Energiewelle. Demütig neigte sie ihr Haupt. Eigentlich wollte sie nicht aufgeben. Noch nicht. Sie wollte ein bisschen länger durchhalten.
„Hilfe! Bitte! Irgendjemand!“
Ende.
Ein Urknall betäubte ihre Ohren.
Weißes Licht verschluckte die Dunkelheit.
Atmete sie noch?
Ja! Jessica atmete noch!
Klopfendes Herzens hob sie das Gesicht und bestaunte das Geschehen.
Schützend vor ihr und den Mädchen, tauchte eine Gestalt auf.
Ein neuer Spieler.
An ihm / ihr / es prallte die Magie der Bösen ab.
Der / Die / Das Unbekannte schickte den unbändigen Energiestrom gen Himmel. Im Kosmos explodierte er, verlor damit seine Macht.
Nachdem sich Jessicas Augen einigermaßen an die leuchtende Umgebung gewöhnt hatten, verdeutlichten sich die Züge. Sie erkannte eine junge Frau.
Wer zum Kuckuck war sie? Woher kam sie? Wie gelangte sie hierher?
Ein keusches Lächeln auf den rosafarbenen Lippen, wandte sich die Fremde Jessi zu. Weißblonde Haare tanzten um ein makelloses Gesicht, welches von unglaublich blauen Augen eingefasst war, deren Farbe direkt der Galaxie nachempfunden schienen.
Jessica erschrak, ihr Atem stockte.
Der Anblick der Schönheit erinnerte sie …
… an die Königin von Licht und Magie!