„I found out a long time ago, it’s more fun being the Wicked Witch, than the helpless Princess…“
Tammy Faith
In ihrer Kindheit hatte sie „Harry Potter“ geliebt. Gütiger Himmel, sehr sogar!
Jessica stand in der örtlichen Bücherei vor einem Regal, gefüllt mit Büchern aus der Rubrik „Fantasy“. Gern erinnerte sich daran, wie ihre Mum Jessi, als sie noch klein gewesen war, die ersten Teile von Harry Potter am Bett vorgelesen hatte. Damals hatte sie jeden dieser für sie besonderen Abende genossen. Den „Orden des Phönix“ sowie alle Nachfolger hatte sich Jessi im Teenageralter von ihrem Taschengeld finanziert, das wusste sie noch genau. Plötzlich musste sie schmunzeln, denn sie fand die Darstellung der Hexen und Zauberer in der Hogwarts Welt außerordentlich charmant. Nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst eine waschechte Hexe mit echten Zauberkräften darstellte.
Leider bestand ihr Leben nicht aus spannenden Abenteuern, lustigen Freunden und High Definition Special Effekts. Seufzend ließ Jessica den Blick zur anderen Seite des Raumes schweifen. Heutzutage verkauften Buchgeschäfte doch tatsächlich jeden erdenklichen Quatsch. Auf runden Tischen, welche Dekorateure anscheinend wahllos zwischen den nach Themen geordneten Bücherregalen aufreihten, türmte sich allerhand Krimskrams. Darunter Haushaltswaren, lustige Porzellanfiguren, Zubehör für Schule und sogar Stoffe zum Schneidern. Verschiedenste Duftkerzen befanden sich gerade im Super-Sonderangebot. In einer hinteren Ecke des Raumes lockte sogar eine eigene DVD Abteilung.
„Wer kauft denn heute bitte noch DVDs?“, dachte Jessica laut. „Moderne Menschen streamen ihre Filme online!“
Dennoch forderte eine rosafarbene DVD-Box Jessicas volle Aufmerksamkeit, ihre hellblauen Augen blieben just darauf haften.
Sailor Moon?
Hatte sie Harry Potter schon geliebt, dann hatte sie Sailor Moon vergöttert!
Der Grund hierfür lag nahe. Wie einige reale, nicht aus Büchern stammende Hexen, zog Jessi ihre Kraft zum Teil aus der Energie des Mondes. Eine Tatsache. Weit hergeholt schien ihre Lieblingsserie aus Kindertagen also keineswegs. Mondlicht strahlte energetische Wellen aus, die Hexen, manchmal auch Zauberer, bei Gelegenheit für Verwünschungen jedweder Art nutzten. Menschen dagegen erfassten diese in der Regel nicht. Die Schöpferin des Mangas musste hiernach eine gute Intuition gehabt haben, als sie „Sailor Moon“ kreiert hatte.
Menschen, unfähig im Lesen von Auren oder Energiewellen, bemerkten auch die drei magischen Planeten oben am Firmament nicht, die simpel unsichtbar für stumpfsinnige Normalsterbliche waren. Magische Geschöpfe erkannten die fetten Klötze deutlich, selbst ohne Teleskop.
Jessica nahm die DVD Sammlung, wandte sie in ihren Händen, betrachtete sie eindringlich. Ihr Partner Alejandro empfand Sterne anschauen für außerordentlich romantisch. Nun, Jessi bestaunte meist weniger die Sterne, als vielmehr die drei riesigen Gesteinsbrocken. Mit ihrer Größe überdeckten sie das ganze Himmelszelt.
Während sie in Gedanken versunken durch die Gänge schlenderte, die Box unter der Achsel eingeklemmt, fiel draußen inzwischen Regen.
Etwas früher, an diesem gewöhnlich warmen Junitag, hatte noch die Sonne geschienen. Sobald Jessica dann in den Feierabend gegangen war, hatten sich die Wolken auf ihrem Nachhauseweg zusammengebraut. Mir nichts, dir nichts hatte es zu stürmen begonnen. Daher suchte sie Zuflucht in der Bücherei. Ewigkeiten konnte sie hier natürlich nicht verbringen, schließlich hatte sie ihren Eltern versprochen, zum Abendessen vorbeizuschauen.
Kurzentschlossen griff sie den ersten Band von Harry Potter und seinem Stein der Weisen, bezahlte ihn mitsamt der ersten Staffel von Sailor Moon. Quasi zu Zwecken nostalgischen Andenkens. Ihre Mum hatte es nicht so mit dem Aufbewahren ihrer Kindersachen. Erneut schmunzelte Jessi. Scheinbar wurde aus ihr gerade einer dieser Menschen, die noch DVDs anschauten. Gemeinsam mit der 12 Cent teueren Plastiktüte in Händen, wagte sich Jessica wieder hinaus in den Sturm. Schwüle Hitze schlug ihr entgegen.
Zunächst dachte sie daran, ein Taxi zu rufen. Spontan entschied sie jedoch, den Weg zu Fuß durch den Park zu nehmen. Nicht ausschließlich die kürzere Strecke bewegte sie zu dieser Entscheidung, zuvörderst kostete die Rushhour schon allein eine Menge Zeit. Jessica war ohnehin spät dran!
„Verflixt und zugenäht! Was gäbe ich für einen fliegenden Besen?“, raunte Jessi, als sie volle Kanne in eine Pfütze stolperte.
Prima, die neuen Schuhe, dazu Sandalen, ruiniert, ihre Füße durchnässt! So stellte sie sich ihren Feierabend vor!
Schirme halfen bei diesem Wind recht wenig, daher verstaute sie ihren Knirps in der Tasche.
Bestmöglich Jessica mit nassen Füßen in ungeschickten Sandalen rennen konnte, flitzte sie über die Straße zum Park.
Zumindest die Bäume würden ihr einen kleinen Schutz vor dem Regen geben. Hoffte sie.
Darum beneidete sie die Superhelden in Büchern, Comics, Filmen und Serien. Die mussten nach einem anstrengenden Arbeitstag nie durch ein Sauwetter stampfen! Frauen und Männer in den Geschichten sahen immer toll aus, ihre Frisuren lagen optimal und das Make-up saß stets perfekt!
Jessica fühlte sich nicht nur schwer, als ob sie einen nassen Sack trug, ihre Haare zerzausten jede Minute stärker. Definitiv kein schöner Anblick! Gut, dass sie ihrem Freund aktuell nicht begegnete! Die von Natur aus schönen, betagten und Perfektion versprühenden Magier des Reichs Pulse Magia, dem üppigsten Planeten des Tribunals, gäben wahrscheinlich eine bessere Figur ab, im Gegensatz zu ihr. Dabei stammten Hexen und Zauberer der Erde von genau jenen Magiern. Einige Geschichtsbücher besagten, dass die Königin von Licht und Magie ihren König auf der Erde kennengelernt hatte. Man munkelte, das Königspaar war sich erstmals in Italien begegnet. Drum, glaubte einer den Gerüchten, standen moderne Zaubersprüche teilweise in italienischer Sprache geschrieben. Mutter der romanischen Sprachen, Latein, galt als Basis der ersten Formeln und deren Begründung. Später, angeblich kurz nach der Eheschließung, hatte Italienisch das Latein ersetzt. Während die Jahrhunderte vorangeschritten waren, kamen Magier, hauptsächlich Männer, von Pulse Magia zu Besuch auf die Erde. Zufall, Schicksal und die Natur hatten eine kontinuierliche Vermischung der Blutlinien bedingt. Aus romantischen Vereinigungen zwischen Magier und Nichtmagier waren Kinder geringerer magischer Kräfte hervorgegangen. Deren Abkömmlinge vermochten zwar keine Magie aus der Natur zu nutzen, im Laufe der Zeit hatten sie aber gelernt, ihre Gabe anderweitig einzusetzen. Zwar, indem sie durch ihre vererbte magische Kraft wider- und übernatürliche Zauber wirkten.
So hatten die ersten von ihnen die heute bekannte Zauberei erschaffen.
Das angeeignete Wissen hatten die Ältesten in diversen Schriften verewigt.
Die vorherige Generation übergab ihre Zauberbücher an die nachfolgende.
Vor ungefähr 350 Jahren hatten einige mächtige Zauberer den Magischen Rat gegründet, etwa 200 Jahre zurück weitere die ersten Zauberschulen geschaffen. Hexenmeister lehrten, neben verbreiteten Fächern wie Mathematik, Sprachen, Geografie, ein speziell für magische Kinder notwendiges Repertoire, worunter Zaubertränke brauen, Zauber wirken, die Geschichte des magischen Universums entdecken, Flüche abwehren, fielen.
Gewiss fand der Unterricht nicht auf einem beeindruckenden Schloss mit verzauberten Gängen statt. Eher galt das Motto, je schlichter und unauffälliger, desto besser. Jessicas einstige Schule war ein durchschnittlich großes, hässlich braunes Gebäude, samt abfallendem Putz, einem kargen Sportplatz und einem winzigen Kiosk. Völlig schlicht eben.
Jedes Zauberer- und Hexenkind bekam eine Einladung der Zauberschule vor Ort. Ja, wie in der Welt von Harry Potter. Eltern besaßen die Wahl, ob sie ihre Kinder auf diese oder eine gewöhnliche Menschenschule schickten. Zumeist fanden sie erstere in jeder größeren Stadt. Durch ausdrücklich individuelle Einladungen vermieden die Schulleiter, dass sich menschliche Kinder ohne Zauberkräfte in die Klassen verirrten.
Nach ihrem Schulabschluss im Alter von 18 Jahren hatte Jessica eine dreijährige Ausbildung beim Magischen Rat absolviert. In dieser Hinsicht unterschieden sich Zauberwesen von Normalsterblichen nicht. Schulabschluss, Ausbildung, möglicherweise Studium und Arbeit galten für alle Rassen als unverzichtbare Lebensabschnitte. Der Magische Rat umfasste Büros in ziemlich jeder Metropole und Vertreter sämtlicher Nationen. Hauptaufgabe bestand in der Wahrung der Existenz von Hexen und Zauberern, sowie Dämonen und anderen übernatürlichen Wesen. Ergo fungierte der Rat als Kindermädchen, welches verhinderte, dass Nichtmagische keinerlei Kenntnis über die Zauberwelt erlangten.
Das New Yorker Büro in Manhattan befand sich in einem großen Gebäudekomplex. Mehrere menschliche Unternehmen mieteten dort Räume, tarnten den mittig vertretenen Rat wunderbar. Außen völlig verglast, innen mit modernen Geräten ausgestattet und durch einen Wall abgeschirmt, damit Unbefugte nicht eindrangen, geizte die Gemeinschaft der Zauberer in keiner Weise mit notwendigen Mitteln zur Verschleierung ihrer Identität.
Sogenannte „interdimensionale Portale“ verbanden die magischen Planeten des Tribunals, einschließlich der Erde, miteinander. Des Öfteren betraten schreckliche Kreaturen die Heimat der Menschen, kommend von der magischen Version der Hölle. Angeblich blühte und erstrahlte Ecliso nicht wie die anderen Planeten. Im Gegenteil. Über seine Oberfläche erstreckten sich kilometerweit staubtrockene Ebenen, rußschwarze Gebirge, vertrocknete Seen und verdorrte Wälder. Heruntergekommene Städte, ungenießbares Essen und Kriminalität in jeder Ecke, ergänzten das Bild des verfluchten Landes. Kein Wunder ergriffen Bewohner dieses toten Planeten, wenn möglich, die Flucht!
Die erste Abteilung des Magischen Rats prüfte neu angekommenen Geflüchtete auf ihre Absichten. Sobald geklärt war, ob die Geschöpfe auf der Erde Asyl erhalten durften, kam Jessicas Ebene ins Spiel. Jessis Job bestand im Wesentlichen darin, den positiv befundenen Magiern, selten Dämonen, eine Aufenthaltserlaubnis auf Zeit auszustellen und sie über ihre Probezeit hinweg zu begleiten. Integrierten sich die Fremden, blieben sie auf der Erde, erhielten außerdem Hilfe der dritten Abteilung, ihre eigene Identität zu kreieren. Tanzten sie aber aus dem Ruder, hielten sich nicht an die Vorschriften, wurden sie verbannt. Ohne Rückfahrschein.
Ihre langweilige, längst routinierte Arbeit unterforderte die junge Hexe meist.
Oft träumte Jessi von einem alternativen Leben. Wie würde sie sich als Superheldin schlagen? Welche Abenteuer erlebte sie?
Bösewichte besiegen, Unschuldige retten, das alles mit jederzeit auf den Punkt gestylten Haaren? Traumjob! Stattdessen hockte sie acht Stunden in einem staubigen Büro, prüfte flüchtige Kreaturen, um nach Feierabend ihre Zauberkräfte zweckentfremdet für Hausarbeit und Kochen zu nutzen!
Einziger Lichtblick – ihr Freund Alejandro. Unglücklicherweise kümmerte der sich in letzter Zeit immer weniger um sie und machte viel häufiger Überstunden. Jessica bekam ihn kaum zu Gesicht. Aufgrund der geltenden magischen Gesetze und Regeln durfte er bisweilen keine Kenntnis von ihren Hexenmächten erlangen, obwohl sie immer wieder in Versuchung geriet, ihm die Wahrheit zu gestehen. Jessica glaubte, dies könnte wieder Würze in die Beziehung bringen. Tja, Regeln standen eben über weltlicher Fleischeslust.
Arbeit, Beziehung, hin oder her, Jessicas einzige Sorge galt momentan ihrer unbescholtenen Ankunft daheim. Der Regen fiel so dicht, Jessica sah kaum noch etwas. Allmählich bereitete sich in ihrem Bauch ein mieses Gefühl aus.
Solch unnatürlicher Wetterumschwung verkündete normalerweise ein schlechtes Omen.
„Nur ein paar Meter!“, appellierte Jessica an sich selbst.
Gerade legte sie einen Gang zu, da grollte Donner. Blitze barsten durch die Wolken. Lautstarkes Getöse dröhnte Jessica im Ohr. Vermutlich tobte das Gewitter direkt über ihr.
Die nächsten Minuten verliefen wie in einer Trance. Unmittelbar vor Jessica schlugen Lichtblitze in den Boden ein. Erschrocken geriet die junge Hexe ins Straucheln. Wiederholte Einschläge verleiteten sie vollends hinzufallen.
Jessica fluchte.
„Verdammte Scheiße! Erst die neuen Jimmy Choos ruiniert, dann auf den Hintern gefallen und meine Einkäufe sind auch pitschnass! Zum Teufel!“
Hektisch sammelte sie ihr Hab und Gut zusammen, als sie aufhorchte.
Der Regen …!
… sie hörte den Regen nicht mehr!
Jessica schaute vom Boden hoch und traute ihren Augen kaum. Regentropfen schwebten unbewegt in der Luft. Als ob jemand sie eingefroren hatte. Neben den abertausenden Tropfen stand jedoch genauso alles andere um Jessi herum still. Gruselig!
Vor ihrem Gesicht hing eine Fliege mitten im Weg, wie an unsichtbaren Ketten.
Welch surreales Bild!
„Was zur Hölle geht hier vor?“
Schlagartig entgleiste ein gewaltiger Blitz, Jessica sah ihn deutlich auf sich hernieder schnellen.
Auf einmal dämmerte ihr, dieses abstruse Gewitter konnte niemals einer Laune der Natur entspringen. Die Energie dieses reinen Lichts, träfe es sie, würde es Jessica faktisch vernichten. Bevor es das tat, vollführte Jessi eine Rolle vorwärts. Ihre Turnlehrerin von der fünften Klasse wäre stolz auf sie gewesen. Okay, spätesten jetzt war tatsächlich alles an Jessica durchnässt, obendrein schmutzig. Und ihre Laune sank in den Keller.
Wohl eher die Tiefgarage!
Wer immer sich für das Chaos verantwortete, bekäme von ihr eine ordentliche Tracht Prügel!
Blitzeinschlag. Unvermittelt löste sich mit den durch Aufprall entstandenen Funken auch Jessicas Wut in Rauch auf.
Solch eine schöne Frau hatte Jessica noch nie zuvor erblickt. Weder in der realen Welt (hauptsächlich nicht in der realen Welt) noch in Filmen, Comics oder Hochglanzmagazinen. Die elfengleiche Gestalt zeugte von einer Eleganz und Würde, die keinesfalls aus dem irdischen Reich herrührte. Schillernd weiße Haare fielen der Frau wie wallende Seide über die schmalen Schultern, ihre Augen strahlten in einem Türkis, das selbst schönstes Meerwasser erblassen ließ.
„Äh, hi?“ brachte Jessica zögerlich hervor.
Zunächst würdigte die Fremde sie keiner Reaktion, gar einer Antwort oder Begrüßung. Stattdessen musterte sie Jessi. Prüfend, von oben nach unten.
Nach einer Weile peinlichen Schweigens bemerkte die Hexe, mit ihrem Allerwertesten im Nassen zu sitzen. Zeitgleich, wie sie sich bewegen wollte, brach die Stumme ihr Schweigen. Mittels leiser, trotzdem klarer Stimme bekundete sie: „Dich erwählte ich!“
Zunächst verwirrt über diesen kryptischen Satz, fiel Jessica keine geeignetere Antwort ein, als: „Bitte, was?“
Ihre Gesprächspartnerin wiederholte: „Ich sagte, ich erwählte dich!“
Ja, klar! Witz komm raus!
Matschig im Kopf blickte Jessi über die Schulter. Eventuell verharrte noch jemand hinter ihr? Alternativ fand sie sich in einer grotesken Version der „versteckten Kamera“ wieder? Könnte doch möglich sein? Verwechselte die Dame sie vielleicht? Das klang jedenfalls plausibel.
„Du weißt nicht, wer ich bin“, mutmaßte die schöne Frau.
Prinzipiell war das keine Frage, sondern eine folgerichtige Feststellung.
„Äh, nein?“ Jessica kniff die Augen zusammen.
Das wiederum war übrigens eine Frage.
Eine Augenbraue krümmend vermutet die Fremde: „Ihr Erdenkinder lernt in eurer, wie nennt sich das – Schule – offensichtlich nichts über mich?“
Oh, zur Hölle! Oder zum Himmel …
„Das ist nicht möglich!“, wisperte Jessi „Du, du, äh, Ihr, Ihr seid die, die Königin?“
Augenblicklich verschluckte sie sich an ihren eigenen Worten. Die Frau benötigte keine ausführlichen Erklärungen abzugeben, ihre Miene verriet die offensichtliche Antwort. Vor Jessica, gewöhnlicher Hexe, ohne besondere Eigenschaften, mit durchschnittlichem Aussehen und noch durchschnittlicheren Fähigkeiten, stand leibhaftig die Königin von Licht und Magie!
„Nun, nachdem diese Unwesentlichkeit geklärt ist, kann ich zu meinem Anliegen kommen.“
Die Königin bedachte Jessica mittels eines eindringlichen Blicks.
Jessi, nicht in der Lage aufzustehen, starrte sie mit offenem Mund an.
Gedanklich betete sie, dass keine Spucke ihr Kinn hinuntertropfte!
„Ihr meint mich, eure Majestät?“, quetschte Jessica mühevoll heraus.
„Siehst du hier noch jemanden?“, entgegnete die Königin amüsiert.
Scherzte sie gerade?
Reflexartig schüttelte Jessi den Kopf, Strähnen ihres nassen blonden Haars klebten an ihren Wangen.
Weil kein Einwand folgte, fuhr die Königin, die stocksteif analog einer Skulptur vor Jessica ausharrte, Arme an die Seiten gelegt, fort: „Gut, dann hör mir zu, ich wiederhole mich grundsätzlich nicht!“
Die Hexe schluckte. Unruhe breitete sich in ihrem Bauchraum aus.
„Eine dunkle Macht bedroht die magischen Reiche“, erläuterte die Königin, deren Stimme – sicherlich unbeabsichtigt – geheimniskrämerisch klang.
„Genauer gesagt, meine liebe Freundin, vermute ich hinter der Bedrohung eine Nekromantin.“
Nekromant? Ernsthaft? Am liebsten hätte Jessica gebrüllt: „Erzähl keinen Scheiß!“
Fest presste sie die Lippen aufeinander, um ja die Klappe zu halten!
Nekromanten, Magier-Dämonen-Kreuzungen, welche die Toten beschworen und ganze Zombie-Armeen kontrollierten. Verachtet von ziemlich jeder anderen Spezies, empfanden sie wahre Freude daran, absolute Finsternis anzurufen. Probleme hatten damals nicht die Magier bereitet, die sich mit Normalsterblichen paarten, sondern die Dämonen, die aus den hintersten Winkeln Eclisos stammten. Ebenfalls sie waren in die Menschenwelt eingefallen. Den scheußlichen Kreaturen fehlte jedwede Spur Menschlichkeit, sie empfanden weder Gnade noch Mitleid. Zu ihrem Glück war Jessica bisher keinem begegnet. Dank der vorherrschenden magischen Struktur ereigneten sich Überfälle heutzutage kaum noch. Hörensagen zufolge, entsprach das abstrakte Aussehen der Dämonen ihrem schrecklichen Charakter. Lange Arme, dunkelrote Haut durchzogen mit blauen Adern, scharfe Klauen, spitze Zähne gehörten außerordentlich muskelbepackten Körpern an. Bestien, die direkt aus der Hölle zu kommen schienen! Nun ja, gewissermaßen wurde Ecliso, laut den Geschichtsbüchern, die Jessi wälzte, der irdischen Vision einer Hölle mehr als gerecht. Bereits der Gedanke daran, dass unzählige Menschen sich einst mit seinen abscheulichen Kreaturen eingelassen hatten, gefror Jessica das Blut in den Adern. Sprösslinge von Ecliso Dämon und Mensch, die heutigen Erden-Dämonen, wirkten optisch wie Menschenmänner und Menschenfrauen, lebten auf der Erde, verfügten darüberhinaus über dämonische Fähigkeiten. Nekromanten zählten zu einer speziellen Unterkategorie. Leider entzogen sich die prägnanten Details Jessicas Kenntnis. Die Kategorie galt als gefürchtet, geächtet und ausgerottet. Moderne Schulen verweigerten, ihre Schüler über Nekromantie zu unterrichten.
„Ich fürchte“, erklärte die Königin weiter, holte Jessi damit aus ihrem Grübeln „Die Stärke meiner Krieger genügt bei Weitem nicht, um diese Kreatur zu bezwingen.“
„Klar!“, dachte Jessica voll Sarkasmus, „weil deine ultra super mächtigen, muskelbepackten, zum Kampf ausgebildeten Krieger nicht ausreichen, kommst du zu mir! Ich rette das Universum! Vor dem Frühstück! Kein Problem!“
Spätestens jetzt gelangte Jessica zum Entschluss, die schöne Königin machte diverse Witze auf ihre Kosten.
Nur, warum wirkte ihre Majestät gar nicht, als ob sie scherzte? Mittlerweile hatte Jessi Mühe, aufmerksam zuzuhören.
Indessen sprach die Königin: „Derzeit sammelt die Nekromantin ihre Kräfte, vermuten wir zumindest, denn sie geht sehr behutsam vor. Unüberlegt wird sie nicht angreifen. Die Chance auf eine Niederlage scheint ihr aktuell noch zu groß zu sein. Meine Krieger versuchen herauszufinden, wer sie ist, wo sie sich aufhält und aus welcher Quelle sie ihre Macht bezieht. Noch wissen wir zu wenig über sie, außer, dass es sich bei ihrer Aura um die einer Frau handelt. Wie viel und ob wir überhaupt weiteres erfahren, ist fraglich.“
Die Königin seufzte.
Sogar ein Wesen ihrer Erhabenheit blieb nicht von Sorgenfalten verschont.
„Ich entdeckte ihren Schatten, verborgen im Zwielicht der Welten, spürte ihre bösen Absichten. Abwarten kann und darf ich nicht! Die Gefahr durch sie ist einfach zu groß!“ -
„Äh, meine Königin“, unterbrach Jessica den recht einseitigen Redefluss, was ihr wiederum einen strengen Blick der Herrscherin einbrockte „Entschuldigt, falls ich Euch so unverschämt ins Wort falle!“.
Abermals ein Gänsehaut verursachendes Flackern.
Flau im Magen, raffte Jessica ihren Mut zusammen und bekannte: „Aber ich verstehe nicht, was Ihr von mir wollt. Ich …“
Jessica konnte ihren Satz nicht beenden, die Königin brachte sie mit einer ausdrücklichen Geste zum Schweigen.
Der Königin Augen funkelten streng, ihr ganzer Körper verlautbarte die Gefahr, in der die Reiche schwebten.
Förmlich bebte ihre Ausstrahlung!
Nach einer dramatischen Pause blickte die überwältigende Frau Jessica unnachgiebig an.
Ihr Wort war Gesetz.
„Ich benenne dich zu meiner Kriegerin“, bestimmte die Königin „Ferner verlange ich von dir, meine Elementkrieger zu finden und für den Kampf vorzubereiten!“
Kawumm!
Gefühlt stand die Zeit still.
Jessica hörte ausnahmslos ihren eigenen, hektischen Atem. Gleich erlitt sie einen Herzschlag!
„Wieso ich?“, wisperte sie unverständig.
Die Lippen der Königin deuteten ein flüchtiges Lächeln an.
„Du bist eine sehr begabte Hexe, dein Potenzial erreichtest du noch lange nicht. Welche Mächte in dir stecken, erahnst du nicht einmal ansatzweise. Außerdem verfügst du über einen unerschütterlichen Glauben an das Gute. Dein Herz ist rein, genau wie deine Seele.“
Völliger Bullshit!
„Aber meine Königin!“, dementierte Jessica, „Ich bin nichts Besonderes! Ich bin nicht im Bilde darüber, was Elementkrieger sind, noch wo ich sie finde, geschweige denn, wie ich sie vorbereiten soll! Bestimmt habt Ihr die falsche Hexe.“ - „Bezweifelst du etwa meine Entscheidung?“, gebot die Königin.
Tiefes Donnergrollen.
Uh, nicht gut!
Offenbar maß sich die Lautstärke des Gewitters an der Königin Laune!
In der Schule lernte Jessica, im Fach Geschichte der Magie, die Königin verwendete bevorzugt Blitzmagie.
Ja, das stimmte wohl!
Provozierte sie das königliche Geschöpf weiterhin, endete Jessi womöglich als Grillhähnchen!
Nicht mehr freundlich, dafür umso strenger, ging die Königin in die Knie, neigte sich zu Jessica und befahl: „Aus meinen bereits genannten Gründen wählte ich dich. Du findest die Krieger, welche die Elemente beschwören! Ich stelle dir jemanden zur Verfügung, der dich auf deinem Weg begleitet. Von dir, Hexe, hängt eine Menge ab! An meinem Entschluss kann nicht gerüttelt werden!“
Viel zu eingeschüchtert, plus kurz vor einem Infarkt, wagte Jessica keinen Ton herauszupressen, wollte nur noch im Erdboden versinken.
Die Königin bemerkte ihren Rückzug.
Deutlich milder gestimmt, wandte sie sich ein letztes Mal an ihre Erwählte: „In den nächsten Tagen erhältst du weitere Instruktionen. Geh nach Hause, verarbeite mein Anliegen.“
Ein langer, lautstarker, in Silber getauchter Blitz schoss vom Himmel abwärts.
„Erdenhexe“, donnerte Eure Hoheit, „ich pflege größtes Vertrauen in dich! Du wirst mich, da bin ich sicher, in keinem Fall enttäuschen! Lebe wohl, Jessica Adams.“
Mit diesen Worten entschwand die Königin von Licht und Magie, nicht weniger eindrucksvoll als bei ihrer Ankunft, inmitten eines großen Feuerwerks gleißender Blitze. Der Regen fiel, die Fliege machte sich hurtig davon. Immer noch lag Jessica auf der Erde. Sie blinzelte.
„Das ist nicht wirklich passiert?“
Gar kein Druck. Nein. Auf ihr lastete ausnahmslos die Erwartung, das verdammte Universum zu retten. Hey, sie wünschte sich doch, einmal im Leben Superheldin zu sein? Pff, hätte sie bloß ihre kindischen Träume unterdrückt! Naiv kamen sie Jessi plötzlich vor.
Müde, durcheinander und frierend, raffte sich Jessica schliesslich auf. Morgen war ein neuer Tag. Vielleicht verging das Erlebte und der Regen spülte es hinfort?
Ja, morgen würde ein neuer Tag anbrechen. Da sah die Welt anders aus.
Jessica kramte ihr Handy aus der Tasche. Ihren Eltern schrieb sie eine Nachricht, ihr ginge es mies. Hunger hatte die Auserwählte heute sicherlich keinen mehr.
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