Zum Drachen werden wollen


„Schwierigkeiten brechen manche Männer – und machen andere erst zu Männern.“
Nelson Mandela


Jeden Gedanken daran, scheitern zu können, hatte er im Voraus verbannt, jeden Zweifel im Keim erstickt. Selbst dann haderte er nicht, als der stramme Karpfen Magnus von der gesammelten Wucht des Wasserfalls in die Tiefe geschleudert worden war. Es gab keinen Grund, zu hadern, gar einen, zu zögern. Entweder er schaffte, das Drachentor zu passieren, oder er schaffte es eben nicht. Welche Option letztlich zutreffen sollte, spielte eine untergeordnete Rolle. Ohnehin war seine Reise von Erfolg gekrönt.
Vielleicht lag dem Ergebnis diese Erkenntnis zugrunde. Eventuell gründete es auch schlicht in Kais bewiesenem Mut. Alternativ könnte sein reines Herz den Aufschlag gegeben haben. Vorstellbar wäre ebenso eine Kombination der genannten Tugenden.
Worin die Wahrheit gleich bestand, jäh änderte die Strömung ihre Richtung. Schlagartig führte sie hinauf! Kai landete kopfüber im Wasser eines nicht hinunterfliessenden, sondern aufwärtstreibenden Rauschens. Weiterhin reinigte er seinen Geist von Gedankenfluten jedweder Art. Er schwamm. Nimmermehr imstande, den Grund zu sehen, ferner Oscar, nahm er den einzig verbleibenden Pfad. Jenen, der in direkte Richtung zu dem Gold glänzende, unscheinbar oberhalb der Wasseroberfläche schwebende Tor führte. In einem Winkel seines Bewusstseins bemerkte er, horizontal zu schwimmen. Ab einem ihm ungewissen Zeitpunkt hatte er die Vertikale hinter sich gelassen. Ja, so musste es sein. Zug um Zug rückte er in Reichweite. Noch ein allerletzter, ein abschließender Sprung fehlte.
Wieder geschah es. Ein unaufhaltsamer Gedankenblitz zertrümmerte die Leere seines Innersten. „Will ich das?“ Drei einfache Worte. Zu einem ungünstigen Augenblick, dem ungünstigsten überhaupt, raubte ihm die Frage den Atem. „Will ich das?“
Jäh erkannte Kai, warum er sich mit dem Gelernten und Erlebten auf der Reise zufriedengegeben hätte. Das Ende war nie sein Ziel gewesen. Immer hatte sein Bestreben in dem eingegangenen Wagnis, den Erfahrungen daraus, bestanden. Und, die Wahrheit einmal ausgesprochen, hatte er in keinem Moment an das Erreichen des Drachentors geglaubt. Es war nie das Tor gewesen. Die Verwandlung in einen Drachen war für ihn außer Frage gestanden. Wichtig war ihm seine innere Transformation.
„Will ich das?“
Wenn er den goldenen Schrein passiert hatte, falls er dies bewältigte, was dann?
Wie die Frage aus dem Nichts erschienen war, folgte die Antwort ebenfalls einer Spontanität.
Wenig überraschend, setzte sich nicht zusammen aus: „Ich beweise allen meinen Missgönnern, wie großartig ich bin!“
Mit seinem finalen Atemzug vor dem instinktiven Sprung schrie Kais Herz: „Dann werde ich den Schwachen helfen, innere Stärke zu finden und die Bedeutung mutiger Taten zu verstehen!“
Er hüpfte aus dem waagrecht fließenden Wasserfall durch das Tor.
Nein, das stimmte nicht. Er flog darüber hinweg!