Es war einmal ein Dichter, genannt Wilhelm Busch, von dem die weisen Worte stammten: »Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.«
»Ich verlasse dich!«, ertönte die kaltherzige Stimme der Höllenfürstin. Innerhalb der Steingemäuer hallte das Echo basshaltig wider, der mitschwingende Unterton ließ einen ausbrechenden Vulkan versiegen. Erbarmungslos, wie sie war, brachte die Fürstin selbst den wildesten Dämon zum Verstummen. Neben ihr wirkten die wallenden Feuer der Unterwelt kümmerlich.
Die von sengenden Flammen verbrannten Augenbrauen gerümpft, seine Stirn in tiefe Falten gelegt, wandte sich ihr Ehemann, seines Zeichens Herrscher über die verlorenen Seelen, satanischer König der Tiefe, von seinem Edelholzschreibtisch ab. Verwirrt, neugierig, gleichzeitig etwas verärgert, blickte er seine Gemahlin an. »Wie bitte?«, sollten die einzigen Worte sein, die ihm in dieser peinlichen Situation einfielen. Peinlich aus zwei Gründen. Erstens, welcher Vollidiot (abgesehen von dieser speziellen Art von Frau) wäre, um Herrschaftszeiten verrückt genug gewesen, sich vom Teufel höchstpersönlich zu trennen? Zweitens, noch dazu in Gegenwart von Zeugen! Wortlos, die Augen vor Scham gesenkt, brannten sein treuster Heerführer sowie vier in seinem Arbeitszimmer umstehende Soldaten Löcher in den Marmorboden.
Seit Jahrtausenden stand die Hölle unter der Regentschaft von Lucifer Beelzebub I, von den Menschen »Teufel« genannt. Eindeutig hatte er seinen Kosenamen aufgrund seines teuflisch guten Aussehens erhalten. Wie dem auch sei. Weil er sein Treiben als der Monarch der Monarchen in den nächsten Jahrtausenden fortzusetzen plante, sich dieses als ein einsames Unterfangen herausgestellt hätte, hatte er vor sechs oder sieben Jahrhunderten – an das genaue Datum erinnerte er sich nicht mehr – geheiratet. Nicht, wie viele vermuten könnten, eine Dämonin. Keineswegs. Auch nicht »nur« ein engelsgleiches Wesen, nein. Aus der silbernen Stadt hatte er einen Engel entführt. Den schönsten, um genau zu sein. Nach seiner draufgängerischen, wenig durchdachten, unzureichend organisierten Rebellion im Himmel, entpuppte sich die Entscheidung, den egoistischen, rachsüchtigen, dafür mit hübsch anzuschauenden, goldenen Flügeln versehenen Engel zu ehelichen, nun als einer der größten Fehlers seines unsterblichen Lebens.
»Du hast mich verstanden«, keifte die Fehlentscheidung, »ich habe die Schnauze voll von dir!« Mit dem spitzen, feuerrot lackierten Fingernagel an ihrem manikürten Zeigefinger der rechten Hand deutete sie auf ihn. Schnaufend wandte er sich ihr vollständig zu. Deutlich missmutiger als zuvor erwiderte er: »Willst du mich unbedingt in Kenntnis darüber setzen, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist? Oder kann ich deine, wie üblich temporäre Laune ignorieren, bis sie vorübergeht?«
Fragte einer den Höllenfürsten, welchen Vorteil er ihn der Ehe sehen würde, dann hätte Lucifer Beelzebub ihm zur Antwort einen einzigen Punkt genannt. Ab dem Zeitpunkt einer vergangenen Hochzeitsnacht lernten Ehemänner ihre Ehefrauen richtig kennen. Nicht länger stellten die Gattinnen ihre besten Seiten zur Schau, ihre schlimmsten dafür umso öfter. Und, oh Himmel, Fürst Beelzebub konnte ihre Vielfalt weder zählen noch klassifizieren. Umgekehrt war es sich dessen bewusst, dass die Temperamente, Stimmungsschwankungen und unterschiedlichen Charakteristika jeweils kurz andauerten. Im aktuellen Fall belehrte seine einstige Eroberung ihn eines Besseren. Süffisant lächelnd, den ovalen Kopf schief gelegt, sodass die goldbraunen Engelslocken ihren ebenmäßigen Gesichtszügen schmeichelten, diktierte sie: »Oh, Liebling. Du denkst, du bist der größte Hecht im Teich. Glaubst du ernsthaft, ich meinte meine Worte nicht ernst?«
Schüchternes Aufblicken seitens seiner Untertanen. Die Mienen der Soldaten wirkten leichenblass, die Wangen des Heerführers erröteten. Gesamtheitlich erwarteten sie das unvermeidliche Donnerwetter. Es folgte.
»Du!«, erklang der Baritongesang Luzifer Beelzebubs I über den neun Höllenkreisen, »Wage es nicht, dich von mir zu trennen! Eine Scheidung kommt nicht infrage! Viel zu teuer!«
»Äh, Meister«, wagte der General eine Einmischung, »in der Situation halte ich es für angemessen, unsere Besprechung zu vertagen. Wir«, damit meinte er die Untergebenen und seine Wenigkeit, »würden uns dann empfehlen.«
Geschwind schlüpften die Herrschaften zur massiven Türe des Arbeitszimmers heraus, ehe die Decke über ihnen durch das unzweifelhaft entstehende Wortgefecht zusammenbrach. Doch die Herren lagen falsch. Weiterhin schnippisch, allerdings weniger aufgebracht, raunte die Höllenfürstin: »Wer redet hier von Scheidung? Auf den Rosenkrieg verzichte ich getrost!«
Beschwichtigter, trotzdem verwirrt, glotze der Mann seine Frau an. Sie erklärte: »Du erinnerst dich an Lilly, meine beste Freundin? Na ja, beste Freundin, bis du mich in das Höllenloch verschleppt hast.« Zur Untermalung ihres Kummers über ihren Wohnort rollte sie die babyblauen Augen. Als er nichts sagte, lediglich genervt atmete, schnatterte sie weiter: »Wir telefonieren regelmäßig. Nun, sieh mich nicht so eifersüchtig an! Ja, ich stehe in Kontakt mit ihr und wir sprechen regelmäßig.« - »Komm zum Punkt«, unterbrach er sie, »meine Männer erwarten Anweisung von mir! Im fünften Höllenkreis brach eine beschissene Rebellion unter den Zornigen aus! Diese verdammten Choleriker bekämpfen die Aufseher und Wachen. Unverzüglich muss ich handeln, geeignete Truppen bilden und sie eingreifen lassen!« - »Siehst du«, brüllte sie erneut, »genau das ist der Grund für meine Unzufriedenheit, Lucifer!« Sie nannte ihn bei seinem vollen Vornamen, nicht bei ihrem für ihn erdachten Kosenamen »Luc«. Kein gutes Zeichen! Und überhaupt, wie schaffte ein derart zierliches Frauchen, wie sie eines war, über solch herrische Stimmbänder zu verfügen? In ihrer Brust mussten Granaten stecken! In dem Zusammenhang fragte er sich, wie ein Engelsgeschöpf von ihrer Schönheit und Anmut einen Teufelskerl wie ihn begehrenswert empfinden konnte. Klar, er fand sein Äußeres hervorragend. 2,35 Meter Körpergröße, breite Schultern, dunkelrote Haut, wallendes, schwarzes Haar. Ebenmäßige, dicke Hörner traten aus seiner Stirn heraus, deuteten aufrecht gen Himmel. Oder gen Decke der Unterwelt, je nach Sichtweise. Überdies vermochte er mit seinen muskelbepackten Oberschenkeln Wassermelonen zu zerquetschen. In keiner Weise entsprach seine Optik derer des Engels, der er einmal gewesen war. Vor seinem Aufbegehren. Dennoch liebte seine Frau ihn. Vermutete er. Aber etwas störte sie. Offensichtlich.
»Als du mir freiwillig in die Hölle folgtest, wusstest du, worauf du dich einlässt«, rollte er das Feld von hinten auf. Die gepflegten Hände in die Hüften gestemmt, konterte sie: »Nein, mein Lieber, nicht im Mindesten!« Dann begann sie, im Raum auf und ab zu schreiten. In der Gegend herumfuchtelnd, beklagte sie ihr Leid. »Die Ebene des achten und neunten Höllenkreises brechen zusammen, die Gewaltverbrecher fangen an, die Verräter zu ermorden, bla bla bla. Ein Streit unter den Philosophen in der Vorhölle muss geschlichtet werden, bla bla bla. Zerberus hat Magenkrämpfe, weil er zu viele der Gefrässigen verschlungen hat und sein Tierarzt ist im Urlaub auf Kreta, welch Tragödie! Wegen des Klimawandels schmilzt die Eishölle. Katastrophe! Verstehst du, worauf ich hinauswill?« - »Du hast vergessen zu erwähnen, dass die Mitarbeiter aus dem ersten bis zum dritten Höllenkreis sich, im Vergleich zu den Angestellten der unteren Ebenen, unterbezahlt fühlen«, fügte er trocken hinzu. »Du vernachlässigst mich!«, unterstellte sie ihm. Was der Wahrheit entsprach. Achselzuckend tat er kaum etwas zu seiner Verteidigung. »Hier unten bin ich der König. Ich herrsche, das heißt, alle Verantwortung liegt bei mir.« - »Aha, für das Glück deiner Ehefrau fühlst du dich demnach nicht verantwortlich?« Dieses Teufelsweib! Drehte sie ihm doch die Worte im Mund um! Ohne Anwalt würde er nichts hinzufügen! Darum tat sie es, indem sie schnippisch bestimmte: »Lilly hat mich eingeladen. Urlaub in ihrem Wolkenturm. Ein Trip ins Spa. Eine Woche lang. Tja, Schatz. Bye bye.«
Die letzten Sätze benötigten eine Weile, ehe sie in Luzifers Hirnwindungen vorgedrungen waren. Anschließend riss er seine schwarzen Augen auf und fauchte: »Baby, aber … aber … wer kümmert sich derweil um unser Baby?«
Das einzige Wesen unter und über dem Himmel, welches Lucia »Lucy« Beelzebub annähernd gewachsen war, steckte noch in Windeln. Sein Name lautete: Luzifer Beelzebub Junior.
Vielleicht lag es in diesem Umstand begründet, dass er seinen Sohn, der kein Baby im eigentlichen Sinne war, selten bis gar nicht hütete. Er liebte ihn. Selbstredend. Doch das Temperament des Kleinen übertraf selbst jenes seiner Gattin. Und nach einem unsterblich langen Höllentag voll Folter und Qual (für die Insassen seiner Höllenkreise) legte er sich vorzugsweise nicht mit dem Luzifer Juniors Ego an. Seine Frau Lucy hingegen kam prima mit ihm zurecht. Das dachte Lucifer Senior bis dato. Offensichtlich hatte sich innerhalb ihrer Elternzeit von 36 Monaten eine abnorme Menge Frustration angesammelt. Frust, welchen sie nunmehr entließ. »Seit drei Jahren«, beschwor sie, »wasche ich deine von Vulkanstaub versengten Kleider, stopfe die von Magma eingebrannten Löcher in deinen Stinkesocken! Ich putze deine verfluchte Villa, ebenso dein Apartment auf Zeit in der Eishölle, plus deine Ferienwohnung im zweiten Kreis, weil der feine Herr sich beim Anblick der vom Höllensturm fliehenden Wollüstigen entspannen muss!« Der letzte Satz triefte voller Verachtung. Dabei war die aktuell wenig engelhafte Grande Dame der Hölle lange nicht fertig. »Und, oh, glaube mir, die härtesten chemischen Reinigungsmittel frieren bei den Temperaturen im untersten Kreis ein! Hast du mal versucht, in der Eishölle zu putzen? Nein? Natürlich nicht, denn ich bin dein Sklave! Ebenfalls die Sklavin deines Sohnes, des großen Thronfolgers! Den du übrigens haben wolltest!« Fürst Lucifer rollte die Augen. Um sich gegen die verbalen Angriffe seines (B) Engels zu wehren, verschränkte er die Arme vor der breiten, männlich behaarten Brust. Inzwischen schwitzte er stark. Sämtlichen Poren auf seiner Haut gaben aus Ärger entstandenen Dampf ab. Unglücklicherweise verhalf weder der Rauch seines Zorns noch seine breitbeinige Stehposition Lucys Kreischanfall abzuschmettern. Allmählich versiegte ihre Wut und machte etwas anderem Platz. Etwas Schlimmerem. Verdammt, er hasste es, wenn sie ihm auf die Art kam. »Tag für Tag«, plärrte sie, drückte Krokodilstränen aus ihren Augen, die er kaum ertrug, »koche ich dein Essen. Jeden Abend muss ich Fleisch braten. Fast immer verschmähst du die Gemüsebeilage, dabei denke ich nur an deine Gesundheit! Du bist ja nicht mehr der Jüngste! Anschließend verlangst du von mir, die Reste wegzuwerfen. Was für eine Verschwendung! Könnte ich sie nur den armen, der Völlerei verfallenen Seelen geben! Aber nein, die müssen ihre Strafe akzeptieren und bekommen nichts zu beißen, sagst du. Weißt du, wie ich mich fühle? Einmal, für eine geringe Dauer, möchte ich mich wieder spüren. Warum gewährst du mir den Wunsch nicht?«
Vermaledeite Frauen! Was hatte sich sein alter Herr im Himmel bloß bei der Erschaffung des weiblichen Geschlechts gedacht? Kaum sehbar, schüttelte Lucifer den gehörnten Kopf. Wohl stimmte das den Männern nachgesagte. Einerseits galten sie als die Krone der Schöpfung und das starke Geschlecht. Jedoch setzte ein gewisser Körperteil ihren Verstand Schachmatt. Im Umkehrschluss bedeutete das, die Frauen überlagen ihnen immer und in jeder Hinsicht. Seinen feurigen Atem ausstoßend, gab der Herrscher der Unterwelt klein bei, löste seine Arme, wandte sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu und sagte: »Meinetwegen, du hast gewonnen! Gönne dir deinen Erholungsurlaub. Genieße die Terme.« Ein letztes Mal drehte er seinen Kopf, richtete seine karmesinroten Augen auf seine Ehefrau. Auch, wenn er ihr die Auszeit zugestand, es sollte ihr in Erinnerung bleiben, wer der Mann im Haus und der Teufel in der Hölle war. Mit gesenkter Lautstärke, einem Tonfall, der keine Zweifel an seinen Worten ließ, drohte er: »Ich gewähre dir sieben Tage. Bist du nach Ablauf der Woche nicht zurück, komme ich hinauf, reiße die Tore des Himmels nieder und zerre dich hinunter. In dein Zuhause. Wo du hingehörst. Hast du mich verstanden?« Zu seinem Erstaunen wirkte seine Gemahlin in keiner Weise eingeschüchtert. Eher entspannt. Sogar brachte das bösartige Lächeln auf ihren Lippen ihn für einen Wimpernschlag aus der Fassung. »Mein Schatz«, hauchte sie, öffnete derweil die Türe seines Arbeitszimmers. Durch den gewonnenen Spalt lugten die davor wartenden Soldaten sowie der General neugierig ins Innere hinein. »Ich verspreche dir«, wisperte die Grande Dame mit den goldenen Locken, »ich komme nach sieben Tagen pünktlich zu dir zurück. Aber selbst, wenn nicht, wird dir für eine Himmelstürmung die Kraft fehlen. Viel Spaß beim Babysitten, Liebling!«
Seine Frau war eine Teufelin, er der Gelackmeierte!
Hätte er im Vorfeld den Hauch einer Ahnung gehabt, was ihm bevorstehen würde, dann …
Die königliche Attitüde eines Herrschers an den Tag legend, stürmte Lucifer Beelzebub I, seines Zeichens Höllenfürst, in das Kinderzimmer seines Nachkommen. Fürstlich verharrte er am Eingang, blickte auf den am Boden mit Klötzchen spielenden Knaben hinab. Der Bengel würdigte ihn keines Blickes. »Sohn!«, donnerte er, nicht weniger, um die Aufmerksamkeit seines ignoranten Nachwuchses zu erhaschen. Nach wie vor, keinerlei Reaktion. Neuversuch. »Luzifer!« Der Angesprochene bewarf eine aus Lego-Steinen bestehende Burg mit dem abgetrennten Kopf einer Barbiepuppe. Aha, interessant. Wenigstens zu einem Höllenherrscher schien er zu taugen. Unschlüssig, ob die erblickte rohe Gewalt ihn erfreuen oder er sich über die ihm erwiesene Gleichgültigkeit ärgern sollte, entschied er zugunsten Punkt Nummer Drei. »Hauptmann«, rief er seinen treuen Diener. Ohne vorzeigbare Motivation trabte der übergroße, grünhäutige Dämon an. Unterwürfig säuselte er: »Mein Herr?« - »Holen Sie meine Frau. Sofort! Sie soll das da«, er zeigte auf den die Lego-Burg zertrampelnden Dreijährigen, »mitnehmen. Im Spa sind sicherlich Kinder erlaubt!«
35 Sekunden lang druckste der Kommandant herum, drehte in wahrem Sinne Däumchen, trappelte auf der Stelle. »Verzeihung, Sir«, wimmerte er nach dieser halben Minute, »sie ist bereits abgefahren. Und sie lässt ausrichten, ihr Handy für die gesamte Dauer ihres himmlischen Aufenthalts im Flugmodus zu behalten.«
Wutentbrannt fuhr der Teufel auf dem Absatz herum, wies seinen Gefolgsmann an: »Dann hol mir gefälligst eine Nanny! Besorge mir eine Hausdame oder dergleichen!« Sichtbar verängstigt, weil im Klaren darüber, was folgen würde, schluckte der Dämon. »Mein Gebieter«, piepte er, seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern im Wind, »dies hat ihre Frau in den vergangenen drei Jahren schon mehrfach angewiesen. Mittlerweile sind keine Kindermädchen übrig geblieben. Ihr Junge hat jede einzelne, noch so zähe, noch so hoch bezahlte Erzieherin vertrieben.«
Zu keinem Zeitpunkt hatte Lucifer Beelzebub seine Taten bereut. In seinen Augen hatte er niemals einen Fehler begangen. Bis heute. Eben war ihm die Tragweite seines Einlenkens klar geworden. Für 168 Stunden trug er nun die Verantwortung für einen, die Disziplin »Ignoranz« beherrschenden Satansbraten.
»Ba-Boo!«
Man sollte annehmen, dass ein Dreijähriger in der Lage ist, einen einigermaßen klaren Satz hervorzubringen. Sein Dreijähriger war entweder dumm oder schlicht zu faul, sich zu artikulieren. Da es sich bei Knaben um des teuflischen Höllenherrschers Sohn handelte, ging der genannte Meister aller Qualen von letzterem aus. Unabhängig von der zweifelsfrei vorhandenen Intelligenz des Satansbratens, trieb dessen Redefaulheit Lucifer in den Wahnsinn. Und Lucys Abwesenheit erstreckte sich erst über einen Vormittag …
Zu seinem Glück war seine Gattin in den frühen Morgenstunden abgereist, sodass er in der vergangenen Nacht hatte durchschlafen können. Das anschließende Frühstück war bereits zu einer Tortur ausgeartet. Luzifer Junior hatte seinen Brei, den, welchen die Mama kurz vorher netterweise noch zubereitet hatte, über den gesamten Küchenboden verteilt. Maximal eine Gabel war in seinem Schlund gelandet. Womöglich nur deshalb, weil der Mini-Terrorist ein Fünkchen Mitleid mit der neuen Haushälterin auf Zeit verspürt hatte. Unter Bitten und Flehen, was überhaupt nicht seinem Charakter oder seiner Stellung entsprach, hatte Lucifer Senior die rüstige Frührentnerin vor einer Kündigung an ihrem ersten Arbeitstag von sieben abgehalten. Den einzigen Kommentar, welchen sein Spross zum Frühstücks-Massaker erübrigt hatte, war: »Ba-Boo!«
Ja, »Ba-Boo« war zum Lieblings-Ausruf Lucifers gediehen und zum Hasswort seines genervten Vaters. Die Stirn in Falten gelegt – einer seiner natürlichen Gemütszustände – thronte er auf dem Platz am Tischende des großen Versammlungsraums, umgeben von seinen engsten Gefolgsleuten. Frühbesprechung. Neben seiner Hoheit thronte, nicht weniger königlich, der Sohnemann. Aber nicht zu seiner Rechten, das hätte ein Ticken Blasphemie besessen und bei seinem Ärger hätte er diese schöne Blasphemie nicht ausgiebig genießen können. »Ba-Boo!«
Auf der Agenda der heutigen Sitzung standen einige heikle, einer baldigen Klärung bedürftige Themen. Insbesondere umfassten sie eine Modernisierung mancher Einrichtungen im Limbus sowie den Ausbau von Kerberos’ Käfig auf der Ebene des dritten Kreises. Für brisant befanden die Vortragenden ihre Probleme, der Meister hingegen wusste noch nicht, was er von der unterstellten Dringlichkeit hielt. Eine Augenbraue erhoben, warf er einen Blick auf die Kostenvoranschläge für den Käfigumbau, überflog nahezu zeitgleich den Plan zur Restauration der Philosophen-Unterkünfte. »Ungeheuerlich!«, schalt er. Die veranschlagten Preise stachen oder sprangen ihm nicht ins Auge, sie rissen ihm schon die Augäpfel heraus! »Ba-Boo!«, folgte ein Kommentar von linker Hand. Ja, in dem Fall pflichtete Lucifer seinem Junior bei. Gewiss versuchten diese Handelsvertreter ihn – den Teufel! - abzuzocken! Sogleich machte er seinem Unmut Luft: »Himmel, Arsch und Zwirn! Welche Lieferanten habt ihr da nur ausgewählt?« Einmal der Reihe nach umherblickend, ein Grunzen inklusive, adressierte er diese Frage an jeden seiner Tischgenossen. Weiterhin spottete er: »Wissen die feinen Herren denn nicht, wer ich bin?« Das »Wer-Ich-Bin« spie er förmlich aus. Nach anfänglichem Zaudern und Hüsteln meldete sich Eldogrimm, Vorhöllen-Tagschichtarbeiter, dritter Stuhl von rechts, zu Wort: »Herr, die Auftragnehmer beklagen einen monatelang anhaltenden Materialmangel, unterbrochene Lieferketten plus allgemeine Lieferengpässe. Hinzu kommt die Inflationslage. Den meisten blieb keine Wahl, als die Preise zu erhöhen« – »Nicht für mich!«, krisch Lucifer. Links stimmte ein 99 cm großes Energiebündel zu: »Ba-Boo!« - »Ich bin hier der Oberteufel!«, schrie der Oberteufel lauter. »Ba-Boo!« - »Meinetwegen brummt allen Angestellten 1.000 Jahre anhaltende Folterqualen auf, aber nötigt die Bengel dazu, ihre Kalkulationen zu überdenken!«, wies er seine Heerschar an. »Ba-Boo!« Kurz richtete Lucifer seine Aufmerksamkeit nach links. Freudestrahlend, die wulstigen Kinderbäckchen gerötet, begutachtete Luzifer ihn. Er schien Gefallen am Gebrüll seines Vaters zu finden. Aufmerksam lauschte er, die erhobenen Händchen zu kleinen Fäusten geballt. Beim Anblick des Mini-Teufels musste sich der Höllenfürst tatsächlich ein Grinsen verkneifen. Postwendend schritt er zur Tagesordnung, gemeine Miene inklusive. Potpourri, der Dämon, welcher mit Kerberos Gassi ging, räusperte sich und äußerte: »Die Hundehütte des Dreiköpfigen gestaltet sich für seine – nennen wir es Dimension – als beengend. Hat er einen schlechten Tag, und das passiert in der letzten Zeit häufiger, büxt er aus und frisst die Gefrässigen auf.« Genervt verdrehte Lucifer die Augen. »Ka-Ka«, säuselte es in sein Ohr. Gerade als er einen Kommentar zum Kerberos-Drama offerieren wollte, dämmerte ihm, dass Lucifer plötzlich ein anderes Wort verwendet hatte. Perplex blinzelte er, wandte sein Gesicht seinem Sohn zu. »Ka-Ka«, wiederholte der Kleine. Bis auf ein geseufztes »Oh« fiel ihm nichts ein. »Meister, was machen wir jetzt?«, wünschte Potpourri zu erfahren. Schlagartig hüpfte der Höllenherrscher von seinem Stuhl, sodass das Edelholz geräuschvoll auf dem Marmorfußboden aufprallte, befreite seinen Spross aus dessen Hocker, hängte ihn sich unter die Achseln, flitzte aus dem Saal und verkündete im Eilschritt: »Aufs Klo gehen!«
Knapp, wie es gewesen war, wäre die Geschichte beinahe in die Hose gegangen. Im wahrsten Sinn. Bezogen auf den Umstand, dass das Kind sein Frühstück in der Gegend verteilt (statt gegessen) hatte, funktionierte seine Verdauung herausragend. In seinem langen, unsterblichen Leben hätte der Teufel sich nie träumen lassen, einmal Exkremente eines anderen Individuums zu entfernen, sein eigen Fleisch und Blut eingeschlossen. Wenige Minuten zurück war er eines Besseren belehrt worden. Noch nicht vollständig hatte er die Windel entsorgt, schlüpfte sein Bengel von Sohn durch die Tür des Badezimmers, trappelte, nur mit seinem Shirt bekleidet, den Flur zum Wohnzimmer entlang und krabbelte auf die Couch. Die weiße Couch. »Luzifer!«, krisch Luzifer, ließ die schmutzige Windel fallen und rannte hinterher. »Dein Po ist doch noch schmutzig!« Und die Couch war weiß, zudem ein Designerstück, zum Kuckuck! Beides schien seinen Junior nicht zu stören. Glucksend hüpfte er auf und ab, hinterließ eine sichtbare Spur auf dem Stoff. Eine Schimpftirade ausstoßend, hob der Vater seinen Sohn auf, lüpfte ihn auf den Boden. Wütend darüber, ballte der Kleine seine Fäuste, stampfte mit den Füßen, quengelte so lange, bis der alte Herr entnervt davonlief. Von Erfolg gekrönt, war seine Flucht nicht. Hinter sich vernahm er das drängende Quäken seines Lendenschatzes, der ihn heulend, untenherum nach wie vor nackt, verfolgte. »Wo, verflucht, bleibt die Haushälterin?«, grollte Lucifer, spazierte von einem Raum seines Wohnhauses in den nächsten. Im Schlepptau – sein Schatten. Sein weinender Schatten.
15 Minuten am Stück trieben Vater und Sohn das Spiel. Ersterer schritt voran, letzterer trippelte hintendrein. Manchmal drehte der Höllenfürst sich zu seinem Nachwuchs um, mahnte ihn, endlich Ruhe zu geben, doch die Mini-Version des Teufels scherten die Mahnworte keineswegs. Zu einem Zeitpunkt betrat das Kindermädchen/ die Haushälterin die Stube. Als sie das Treiben der Herrschaften bemerkte, wunderte sie sich, wer von ihnen das eigentliche Kind war.
In der Nacht des ersten Tages nach der Abreise seiner Frau schlief Lucifer Beelzebub I wie ein Stein. Kein Wunder, war er doch vollkommen ausgelaugt. Die verbliebene Zeit zwischen Sitzung, Klo-Chaos, Sofabeschmutzung, Zubettgehen und allem, was sein vollgestopfter Tagesplan eigentlich vorgesehen hatte, hatte Luzifer Junior genutzt, ihm das Leben schwer zu machen. Unter anderem mit konsequentem Nörgeln, unsinniger Verweigerung der für Kleinkinder angedachten Nahrungsaufnahme, grundlosem Weinen. Wenn der Papa gewusst hätte, woran es seinem Sohnemann mangelte? Weil der Rabauke allerdings in einem kreativen Moment seines Lebens beschlossen hatte, sich nicht vernünftig artikulieren zu wollen, konnte er seine Bedürfnisse bestenfalls erahnen. Na ja, seine Frau vermochte dies zu tun. Er, als viel beschäftigter Karriereteufel, schaffte aus dem Teilsatz »Ba-Boo!« wenig Konstruktives herzuleiten. Auch seine teuflischen Mitarbeiter waren nach dem missglückten Meeting dermaßen verstört gewesen, dass sie beantragt hatten, die morgige Versammlung auf einen Online-Austausch zu beschränken. »Genervt« hätte die Stimmung detaillierter beschrieben, doch offiziell wagte niemand, seinen Unmut gegenüber dem Höllenfürsten zu äußern (abgesehen von Luzifer Junior). Mit einem Gefühl der Unzufriedenheit und in Ausblick auf ein ihm verhasstes Online-Meeting, dennoch voller Hoffnung auf einen erfolgreicheren Tagesverlauf am bevorstehenden Dienstag, war Lucifer Senior ins Bett gestiegen.
Der folgende Tag versprach kaum Besserung. Bereits die Nacht hielt ein schlechtes Omen bereit. Für drei Stunden hatte Lucifer fürwahr wie ein Stein geschlafen. Bis Luzifer beschloss, Daddy hat hinreichend gepennt! Keine Haushälterin, keine Ehefrau, grundsätzlich keine Frau, war anwesend. Also musste Papi ran, als das Kind schrie. Aus keinem bestimmten Grund brüllte er. Er genoss schlicht seine heisere Brüllstimme. »Ba-Boo!«
Am zweiten Tag, um 10:00 Uhr vormittags, nach viereinhalb Tassen zu je 200 Millilitern Kaffee aus Espresso-Bohnen, erblickte der Oberteufel sein Spiegelbild auf dem Bildschirm des Computers, ehe die Online-Sitzung begann. Junge, Junge, hatte er über Nacht Augenringe bekommen! Von einer Nacht nicht schlafen, war er um zehn Jahrhunderte gealtert. Zum ersten Mal erschien im hintersten Winkel seines Hirns der Gedanke, seine Frau würde ihren Job als Erzieherin ihres gemeinsamen Kindes »doch ganz ordentlich« bewerkstelligen. Natürlich verwarf er den Einfall sogleich. Stattdessen nahm er sich vor, sein Augenmerk auf das beginnende Treffen zu richten. Die Webcams liefen, ihm stand das erste Wort zu. Nach einer knappen Begrüßung ohne unnützes Drumherum ging er zur Tagesordnung über. Die Entlastung der Wärter durch zusätzliches Personal stand unter Punkt 1. Bemessen an den steigenden Betriebskosten, würde er seinen Höllenkreisleitern eine saftige Abfuhr erteilen müssen. In der Vergangenheit hatte seine Bilanz, betriebswirtschaftlich gesehen, deutlich bessere Zahlen hergegeben. Konstant war sein Gewinn in den vergangenen Jahren geschrumpft. Es wanderte eine geringere Anzahl an Sündern in die Höllenkreise, dafür eine höhere Zahl Ungläubiger in die Vorhölle, wo sie, auf seine Kosten, die Unendlichkeit ihres Ablebens in Luxus genossen. Diese Schmarotzer! Ein weiterer Punkt, welchen Lucifer gedachte, am nächsten Regionalversammlungstag anzusprechen. Sollte der Himmel doch einen Vorhimmel errichten! Warum landeten die Ungläubigen ausgerechnet bei ihm?
Die Besprechung lief 13 Minuten und 58 Sekunden. Dann stürmte seine Haushaltshilfe in sein Büro.
Verdammt, warum hatte er vergessen, abzuschließen?
»Ich kündige«, krisch sie, drapierte den ihr überlassenen Luzifer Junior auf seinem Schreibtisch und rauschte ohne ein weiteres Wort davon.
Na prima!
Der Rest des für 2,5 Stunden angesetzten Meetings fiel buchstäblich ins Wasser.
Warum auch immer, Luzifer schrie, quengelte, weinte oder lief Lucifer davon. Papa Höllenfürst setzte ihn auf eine Decke auf den Boden des Arbeitszimmers, umgeben von seinem Lieblingsspielzeug und kaum, dass er sich dem Schreibkram zuwandte, büxte der Satansbraten aus. Etliche vergeudete Minuten der Suche folgten. Als er ihn endlich gefunden hatte, musste er sich einer anschließenden Verfolgungsjagd quer durch die Büroräumlichkeiten des Arbeiterdistrikts ergeben. Luzifer schlüpfte zwischen den unförmigen Beinen seiner Dämonenkaufleute für Büromanagement hindurch, im Sprint rannte Lucifer Senior sie um. Tonnenweise Papier flatterte umher. Beim Anblick der durcheinander geratenen Verträge verlorener Seelen dachte der Herrscher daran, künftig den Ratschlag seiner Urlaubsvertretung zu befolgen und in Digitalisierung zu investieren.
War der Bengel endlich gefasst, ging der Schlagabtausch in die nächste Runde. Zuerst verkündete Klein-Luzifer, Hunger zu haben. Keine 20 Minuten später lieferte Lieferando, Lieferservice des Vertrauens, bequem über eine App steuerbar, Pizza und Co. Vorbildlich beglich der Vater die Rechnung, sparte das Trinkgeld aber selbstverständlich aus. Für die Expresslieferung hatte der Studierende mit Akne im Gesicht zwei Minuten zu lang gebraucht. Inzwischen durchweichten Tomatensoße und Fett den Pizzakarton. Zudem war der Teig lauwarm.
Trotz zahlreicher Mühen, die App zu bedienen und eine vernünftig belegte Pizza auszuwählen, verweigerte der Rotzbengel die Mahlzeit! Vier weitere Anläufe, einschließlich unterschiedlicher Anbieter sowie Boten, und Stunden später brachte Lucifer Luzifer ins Bett. Mit vollem Bäuchlein (der Goldjunge hatte alles außer Sushi verschmäht) begaffte er die karminrote Zimmerdecke. Produktiv an der Herrschaft über die Hölle hatte Beelzebub Senior heute weiß Gott nicht gearbeitet.
Obgleich kulinarisch zufrieden, lehnte Beelzebub Junior das Einschlafen – oder überhaupt im Bett zu bleiben – kategorisch ab. Zugegeben, die Zimmerdecke anzustarren, war in der Tat langweilig. Zwischen Vater und Sohn entbrannte ein Kampf um die Vorherrschaft über Schlaf- und Wohnzimmer. Letztlich entschied der Dreijährige die Schlacht zu seinen Gunsten, gewann den Krieg und damit die Kontrolle über Einschlafzeit sowie Fernsehprogramm. Insofern »bingte« (wie es im modernen Sprachgebrauch hieß) das kleine Monster Netflix-Serien bis zum frühen Morgengrauen, Papa Lucifer ratzte auf der Couch.
Am anschließenden Morgen, weil unausgeschlafen, deshalb hundemüde, entwickelte der Junge sich zu einem Terrorkleinkind. Gleich, was er in die Hand bekam, er warf es. Mit einer Mischung aus vergnügtem Glucksen, kindlichem Schimpfen und wütendem Heulen schleuderte er alle vorstellbaren Utensilien, unter anderem seine Trinkflasche, gegen die Wand, auf den Boden, gegen die Köpfe der ihm entgegenkommenden Angestellten, an die Hausmauer oder, der Einfachheit halber, in die Luft.
Gemessen am Umfang seiner frühkindlichen Rage, prophezeiten die Höllenpriester eines: Gelangte der Knabe in die Pubertät, würde in dieser ohnehin heiklen Phase einen Wutanfall erleiden, wäre er als Jugendlicher imstande, eine Apokalypse einzuleiten. Prinzipiell zur Freude seines Erzeugers. Jedoch versiegte der Lobgesang über die herrschaftliche Tobsucht seines Sprosses im Dunst des Alltags. Dem Wahnsinn nahe, erreichte Lucifer Senior nach Feierabend sein Zuhause. Erneut war der Arbeitstag unproduktiv gewesen. Zitternden Händen setzte er das Ungetüm namens Sohn in dessen Zimmer auf die Decke in der Spielecke. In einem Anfall von Verzweiflung fragte er mit bereits heißer geschriener Stimme: »Warum?«
Fraglos schaute der kleine Luzifer auf, legte nachdenklich sein Köpfchen schief. Sämtliche Haare standen ihm zu Berge. Kämmen wäre förderlich gewesen, doch das Bürsten des Kindskopfes zählte unter Frauenarbeiten. Selbstredend gab der Junge keine Antwort von sich. Wenigstens ebenfalls kein »Ba-Boo«.
»Wieso machst du es mir so schwer?«, wollte Senior wissen. Schweigend starrte Junior ihn an. Er begann, im Zimmer herumzustreunen. Jedes Wort entfachte eine Glut der Verzweiflung wie auch der Wut. »Du vermisst Mama, kannst deine Kindermädchen nicht leiden und vertreibst sie, indem du sie ärgerst, du mich ärgerst!« Über die Nasenlöcher stieß er dunklen Rauch aus, entfacht durch Zorn. Aus den Poren seiner erhitzten Haut stieg Dampf. »Das Erste verstehe ich sogar. Ich vermisse sie auch«, gab er zu, wurde um ein Grad ruhiger. Im Augenblick danach verharrte er. Zynisch jammerte er: »Am Umstand Ihrer Abwesenheit kann ich nichts ändern, verflucht! Was soll ich deiner Meinung nach tun, hä? In den Himmel stürmen?«
Der Erregung geschuldet, stand seine Aura in Flammen. Haut, Haar, Hörner, alles ließ auf den Teufel schließen, den er für die Menschen darstellte.
Ein falsches Wort würde genügen, ihn vollständig zum Ausrasten zu bringen.
Was dann geschehen mochte …?
»Spiel mit mir!«, kam plötzlich. Verdutzt blinzelte Lucifer. »Äh? Wie bitte?«
Luzifer Junior stand auf, trappelte auf Lucifer Senior zu, guckte ihn mit großen Kinderaugen an, der Daumen seiner kleinen Hand an die Lippe gelegt. »Du hast nie Zeit. Ich mag mit dir spielen, Papa!«
Und einfach so, vergaß der Teufel seinen Groll auf den angeblichen Satansbraten, der sich schlicht nach seines Vaters Aufmerksamkeit gesehnt hatte!
»Schatz, ich bin zu Hause!«, rief es von Richtung Haustür. Gut gelaunt schneite Lucia Beelzebub ins Haus hinein. Erholt schaute sie aus, ihre rosigen Wangen glühten, ihr Haar glänzte. »Liebling, wo steckst du?«, rief sie den Flur entlang, während sie ihren Mantel auf den Kleiderbügel an der Garderobe aufhängte und ihre Reisetasche davor fallen ließ. Man mochte sich kaum ausmalen, wie kalt es im Himmel war! Vielleicht deshalb, weil das Himmelreich weit oben lag? Kein Wunder jedenfalls, dass alle Engel wunderschön aussahen, die Kälte konservierte ihre Haut!
»Schatz?«, wiederholte Lucy, als sie keine Antwort erhielt. Beunruhigt stolzierte sie ins Wohnzimmer. Niemand zu sehen. Oje. Ihr schwante Böses. Hätte sie ihren Göttergatten mit dem Kleinen lieber nicht allein lassen sollen? Von vornherein war ihr klar gewesen, er würde es nicht leicht haben. Wenn er wollte – und er wollte oft – konnte ihr Sohn ein Tyrann sein. Nun ja, eben wie sein Vater. Nur eben in komprimierter Form.
Nachdem sie Salon, die Küche, beide Badezimmer sowie das Elternschlafzimmer durchsucht und keine Seele vorgefunden hatte (auch kein Kindermädchen, Haushälterin oder dergleichen), blieb das Kinderzimmer. Lucy schluckte einen Kloß. Lucifer würde Luzifer nicht in einem Höllenkreis ausgesetzt haben? Bestimmt nicht. Hoffentlich nicht! Klopfenden Herzens marschierte des Teufels Frau zum letzten verblieben Raum. Durch einen minimalen Spalt drang etwas Licht. Plötzlich durchbrach ein Schrei die Stille. Der Schrei eines Kindes. »Nein!«, brüllte Lucia ihrerseits und riss die Zimmertür auf. »Bring ihn nicht um!«
Konsterniert erstarrte sie. Das dargebotene Bild war …
… ungewohnt.
Lachend warf Lucifer seinen Sohn in die Luft. Sichtlich genoss der Kleine seinen kurzen Ritt als lebendes Flugzeug, ehe er wieder in den Armen seines Vaters landete. Der wiederum simulierte die Geräusche von Propellern. Jubelnd und grölend wiederholten die beiden ihr Spiel, nahmen andererseits die verdutzt glotzende Mutter nicht zur Kenntnis.
Nach fünf Minuten, in welchen sie das Spektakel beobachtet hatte und ihre Anwesenheit ignoriert worden war, hauchte sie: »Was zur Hölle geht hier vor?«
Endlich entdeckten die Herren den Eindringling.
»Mama!« - »Mein Engel!«
Gleichzeitig rannten die Männer auf die erstaunte Frau zu und sie fast um. Ferner sprachlos, ließ Lucy die Umarmungen über sich ergehen. Auf der Hut suchte sie Anzeichen für eine Falle. Annähernde Portionen Zuneigung war sie nicht gewohnt. »Was ist hier los?«, wollte sie erneut wissen, zog eine gleichmäßig gezupfte Augenbraue in die Höhe. Zur Antwort erhielt sie: »Wir spielen Flugzeug!« - »Ja, das sehe ich«, gab sie zurück, »aber, warum?« Ihr Ehemann blickte sie an, als hätte sie den Verstand verloren, erwiderte dann: »Lu malte ein Flugzeug, erzählte davon, gerne fliegen zu wollen. Ich dachte mir, das Flugzeugspiel macht ihm sicherlich Spaß!« Lu? Innerhalb ihrer Urlaubswoche hatte ihr Sohn von seinem Vater einen Kosenamen erhalten? Was zum …?
»Aha«, raunte sie, »du dachtest dir das Spiel aus? Das, welches du zusammen mit deinem Kind spielst?« - »Natürlich«, verkündete der Teufel freudestrahlend, »und jetzt, komm! Ich habe Abendessen vorbereitet. Hast du den Blumenstrauß schon erblickt? Die Rosen sollten eine Überraschung sein. Du hast mir gefehlt. Uns.« Bestätigend krisch Luzifer: »Mama ist wieder da.«
Lucia Beelzebub glaubte grundsätzlich nicht an Wunder. Demnach war es offiziell: Ihr Ehemann war von Aliens entführt und durch den Alien-Anführer ersetzt worden!
Lucifer zog seine Frau in die Küche. Tatsächlich erwartete ein gigantischer Rosenstrauch die misstrauische Höllenfürstin. Mit weit offenem Mund wisperte sie: »Was ist in der Woche bloß geschehen?« Liebevoll und glucksend nahm der Fürst seine Fürstin in den Arm, hauchte ihr einen Kuss auf den goldblonden Schopf und versprach: »Mir ist ins Bewusstsein gerückt, meiner zu wenig Zeit zuzugestehen. Deshalb trete ich ein wenig kürzer.« - »Und die Herrschaft?«, fragte Lucia. Ein breites Grinsen auf den Lippen, erklärte er: »Homeoffice!« - »Aha« Überzeugt wirkte sie nicht. Deshalb fügte er hinzu: »Mit Dorayaki, Onigiri und Takoyaki konnte ich drei fähige Stellvertreter gewinnen, die einen Teil meiner Aufgaben im Drei-Schicht-Betrieb abdecken, außerdem gewann ich Yakitori für jedes zweite Wochenende.« - »Ich bin beeindruckt!«, gab sie zu. Er nickte. Indes zog Luzifer an ihrem Hosenbein. »Hunger!«, quiekte er. Immerhin schien er von seinem Lieblings-Wort »Ba-Boo« losgekommen zu sein. Ein Erfolg, den sie ihrem Ehemann zugestand. Er sah von seinem Junior auf zu ihr und flüsterte: »Ich habe erkannt, mein Sohn braucht mich. Hey, eines Tages, wenn ich in Rente bin, muss er den Laden übernehmen und die Hölle verwalten!«
Lucia lachte auf. Daraufhin beugte sie sich verschwörerisch zu ihrem teuflischen Ehemann, verharrte mit ihren Lippen an seinem Ohr und gebot Lucifer Beelzebub I: »Fein, du Super-Dad! Jetzt, da du den Bogen raushast, wirst du dich über meine Nachricht freuen. Glückwunsch, ich bin schwanger und du bekommst eine Tochter hinzu!«