Im Himmel ist der Affe los - Eine Leseprobe

 

Entgegen der Geschichtsschreibung war der erste Krieg zwischen China und Japan bereits vor dem Jahre 1894 ausgetragen worden. Doch hatten die seinerzeit auf Erden lebenden Menschen keine Kenntnis über dessen Begebenheit erlangt. Folglich fanden weder Zeitpunkt noch Einzelheiten jemals Einzug in Geschichtsbücher oder endeten als fade Erinnerungen in den Köpfen. Warum, fragt sich einer?

Simpel ausgedrückt, waren Ursprung, der Verlauf sowie seine Folgen nicht im Diesseits angesiedelt. Sondern im Himmel.
Wie es immer gewesen war, vermischten sich im Laufe der Jahre verschiedene Versionen über den Grund seines Ausbruchs. Je nachdem, wer die Geschichte berichtete, vor allem, von welcher Partei sie erzählt wurde, erhielten die Darstellungen unterschiedliche Noten und Töne. Der berühmte Stille-Post-Effekt. Um Verfälschungen vorzubeugen, sollte sich der Erzählende bei Weitergabe einzig auf die Fakten konzentrieren.
Die tatsächlich stattgefunden Tatsachen lauten wie folgt:
Einst besuchte die Kaiserin des japanischen Himmels, Tennō Amaru, den Enkel des Jadekaisers in seinem chinesischen Himmelreich. Zuvor war das Verhältnis zwischen den zwei Himmeln angespannt, trotzdem friedlich gewesen. Während japanische Götterwesen und Geister sich stets in Zurückhaltung übten, zudem gern (immerzu) schwiegen, kommunizierten ihre chinesischen Pendants offener und lauter. Um nur eines von vielen Beispielen zu nennen.
Egal, welche anderen noch aufgeführt werden könnten, die Kulturen brachten marginales Verständnis füreinander auf, noch deutlich weniger Interesse.
Alle 100 Jahre erfolgten ein, maximal zwei Staatsbesuche. Aus Höflichkeit. Im vorangegangenen Jahrhundert hatte Amaru den Jadekaiser höchstselbst empfangen, anschließend war sie sein Gast gewesen. Inzwischen befand sich der seit Äonen herrschende Monarch auf einem Auszeit-Kur-Wellness-Retreat. Müde von stets neu hinzukommenden Verwaltungsaufgaben, einer schier endlosen Bürokratie, zog sich der in seinen besten Jahrtausenden befindliche Kaiser vom Alltag zurück. Kurz gesagt, er genoss seinen wohl verdienten Urlaub. Auf unbestimmte Zeit.
Seinen Herrschaftstitel mitsamt seiner Macht, allem voran die inbegriffene Verantwortung, hatte er seinem einzigen Enkelsohn übertragen.
Zur Feier seines Daseins, ebenfalls um Lady Tennō zu imponieren, lud der Enkel des Jadekaisers die japanische Himmelskaiserin wiederholt zum Tee in das chinesische Himmelreich ein. Damit endeten die einheitlichen Schilderungen. Was im Rahmen der Teezeremonie auch immer vorgefallen war, es hatte zum Krieg geführt.
Per Definition handelt es sich bei einem Krieg um einen längeren, mit Waffengewalt ausgetragenen Konflikt oder um eine die Tragweite betreffend größere Auseinandersetzung zwischen Völkern mit militärischen Mitteln.
Vereinfacht dargestellt, befinden sich zwei, unter Umständen sogar mehrere Staaten miteinander im Streit sind. Noch einfacher ausgedrückt, möchte ein Staat dem anderen mit Gewalt seinen Willen aufzwingen.
Den Blick wieder auf die verfeindeten Himmel gerichtet, ließen sich die Ziele, welche beide Reiche verfolgten, nicht eindeutig betiteln. Weil das Motiv nie aufgedeckt worden war, blieb die genaue Absicht hinter den Kampfhandlungen unbekannt.
Auf der Seite des Enkels des Jadekaisers führte der geehrte General Shiyan die chinesischen Truppen an. Zu seinen Lebzeiten hatte er seine Heimat und das Volk auf etlichen Schlachtfeldern siegreich verteidigt, sich im Kaiserreich China entsprechend einen Namen gemacht. Nach seinem Ableben war er als Semi-Götterwesen erwacht und direkt von seiner Herrlichkeit, dem Jadekaiser, zu dessen Schutz rekrutiert worden.
Semi-Götter … Sterbliche, die ihre Lebenszeit nutzen, um herausragende Leistungen zu vollbringen, durften nicht nur ins Jenseits aufsteigen, sondern im Jenseits aufsteigen. Während die Seelen der Normalsterblichen entweder im Himmelreich oder in der Unterwelt ruhten, klassisch selektiert nach Gut und Böse, wurde außergewöhnlichen Persönlichkeiten mit außerordentlichen Verdiensten, Fähigkeiten sowie aus dem Rahmen fallenden Charakteren eine speziellere Ehre zuteil. Einerseits behielten sie einen meist jungen, fitten Körper. Es sei denn, sie wählten Erfahrung, kombiniert mit Weisheit, statt Körperkraft. Einige glorreiche Mönche bevorzugten die Hülle rüstiger Männer, anstelle brachialer Muskelkraft. Indes erhielten alle dieser sogenannten Aufgestiegenen besondere, übermenschliche Mächte. Selbstverständlich reichten sie nicht an jene der echten Götter, Götterwesen, Geister und Dämonen heran. Dennoch genügten sie, um im Krieg für den entscheidenden Unterschied sorgen zu können. „Gewöhnliche“ Aufgestiegene. Oder die mächtigere Variante: Semi-Götter.
Die Krieger der japanischen Fraktion standen unter dem Befehl des Shōgun. Wie der chinesische General Shiyan, hatte der Samurai namens Kenshin sein sterbliches Leben dem Kampf gewidmet. Für seinen Daimyō hatte er die stärksten Gegner niedergestreckt, zugunsten des Fürsten hatte er etliche Gefechte entschieden. Kenshin war der geborene Diener gewesen. Der geborene Kämpfer. Der geborene Held. Mit stolzen 66 Jahren war er auf dem Schlachtfeld den Heldentod gestorben. Keine zwei Minuten, nachdem sein Herz aufgehört hatte zu schlagen, war er in einem weiß-goldenen Palast erwacht, im Körper seines dreißigjährigen Selbst. Die amtierende Kaiserin, Tennō Amaru, eine entfernte Verwandte der Göttin Amaterasu-ō-mi-kami, hatte ihn sogleich rekrutiert. Und ihn zum Shōgun erklärt.
Die Himmelstruppen schätzten sich glücklich. Jede Seite befand sich unter der Führung eines charismatischen, phänomenalen Charakters.
General Shiyan und der Shōgun.

Im Laufe verstreichender Jahre trafen die Semi-Götter mit ihren Armeen aus Aufgestiegenen unzählige Male aufeinander. Vielleicht lag es am Kräfteverhältnis, eventuell am Größenunterschied der Reiche, zuzüglich der ungleichen Anzahl an Kriegern, möglicherweise an einer besseren Taktik? Stück für Stück eroberte die chinesische Himmelsarmee das Himmelsareal über dem Meer zwischen dem chinesischen Festland und der japanischen Inselgruppe. Es hatte lange gedauert, doch ein weiser Spruch besagte richtig: Was lange währt, wird endlich gut. Aus dem Blickwinkel des Enkels des Jadekaisers. Sukzessive drängten die chinesischen Truppen die Japaner in deren Himmelreich über dem Landesinneren, dem Festland Japan, zurück. Innerhalb der japanischen Riege schwand der Mut. Die näherrückende Bedrohung besorgte die zivile Einwohnerschaft, Amaru sah sich enormen Druck ausgesetzt. Um seine zweite Heimat, ebenso sämtliche Himmelsbewohner, wie auch seine Kaiserin zu verteidigen, musste Kenshin zusehends alternative Möglichkeiten überlegen. Die eine, schließlich einzig verbleibende, gefiel ihm so gar nicht.

Bis zu diesem Zeitpunkt ahnte keiner, bald würde im Himmel der Affe los sein!

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