Die Legende von Tiger und Drache / Teil 3 / Phönixhimmel - Eine Leseprobe
Ermano erwachte aus einem unruhigen, traumlosen Schlaf.
Zuerst bemerkte er das dumpfe Pochen seiner Schläfen. Er fasste an seine Stirn, rieb die schmerzenden Stellen. Unglücklicherweise brummte der ganze Schädel!
Sein Körper fühlte sich steif an, zudem erfasste eine unangenehme Taubheit den rechten Arm. Scheinbar hatte er in Nacht unruhig und in suboptimaler Position geschlafen. Nach anfänglichem Blinzeln schlug Ermano die Augen auf. Ihm war kalt.
Stöhnend neigte er seinen Kopf leicht Richtung Fenster. Sofort quälte ihn ein neuer Schub Kopfschmerzen.
Schummriges Licht fiel durch die Jalousien. Gemessen am Dunkelzustand des Zimmers, schätzte er die Zeit auf frühen Morgen, kurz vor Dämmerung.
Ein Blick auf den Uhrzeiger seines digitalen Weckers, belehrte Ermano jedoch eines besseren, er zeigte 07:45 Uhr.
Ungewöhnliche Duftnoten stiegen ihm just in die Nase, welche ihn verleiteten, neben sich zu schauen. Plötzlich stockte ihm den Atem!
Natascha kuschelte sich an ihn, ihr Haupt lag schwer auf Ermanos Arm. Deshalb die Steifheit!
Warte, Moment! Wieso zur Hölle schlummerte ausgerechnet sie seelenruhig in seinem Bett?
Intuitiv schaute Ermano an sich herab. Während der Großteil der Bettdecke ein jede Stelle von Natascha umhüllte, bedeckte der Rest davon seinen Leib eher spärlich.
Zumindest erklärte das, warum er fror.
Allem Überfluss zum Trotz, schien Ermano nackt zu sein.
Mittels seiner freien Hand hob er sachte die Decke. Das Herz rutschte ihm unmittelbar in die Hose! Na ja, trüge er eine. Seine Nacktheit sprang ihm ins Auge.
Scheiße, was war gestern passiert, verflucht?
Möglichst sanft und geräuschlos versuchte Ermano Natascha beiseitezuschieben, den gefangenen Arm dabei zu befreien. Grunzend drehte sich seine Bettgenossin auf die andere Seite, erlöste ihn von seiner Pein.
Durch ihre Bewegung verrutschte die Federbettdecke und gewährte ihm einen Blick auf ihren entblößten Hintern.
Bockmist, jetzt konnte er seine geschändeten Augen wirklich nicht mehr vor den Tatsachen verschließen!
Man musste lediglich eins und eins zusammenzählen, um zu einem eindeutigen Ergebnis zu gelangen. Letzte Nacht erfüllte sich ganz offenbar Nataschas sehnlichster Wunsch.
Und Ermano steckte gehörig in der Scheiße!
Die Zähne zusammengebissen, damit er ja keinen Mucks machte, stieg Ermano vom Bett. Indes fing seine Gespielin an zu schnarchen. Gewisse Männer empfanden diese Laute möglicherweise niedlich, Ermano stießen sie dagegen ab.
Freya hatte nie geschnarcht.
Kaum kam der Gedanke auf, schob ihn Ermano gleich wieder weg. An sie wollte er nicht denken!
Einfacher gesagt, wie getan. Ständig ertappte er sich dabei, sämtliche Frauen, denen er im Alltag begegnete, mit Ihr zu vergleichen.
Freya Kasai Draconis, seine größte Konkurrentin, stärkste Rivalin, mächtigste Verbündete, darüberhinaus die einzige Frau, die er je liebte.
Vor wenigen Monaten war sie spurlos verschwunden. Und mit ihr ein Teil seiner Selbst. Ohne sie, fühlte er sich wie ein halber Mensch. Wie der Tiger ohne seinen Drachen.
Barfuß trat Ermano ans Fenster, spähte durch die Schlitze der Jalousie. Vorsichtig zog er sie hoch, bis etwa zur Hälfte, öffnete dann die Fensterscheibe. Die Arme auf den Sims abgelegt, reckte er seinen glühenden Schädel nach draußen, sog die frische Morgenluft ein. Er roch den Regen.
Dichte Wolken bedeckten den Himmel. Grau in Grau, nicht mehr versprach der Tag. Keinerlei Sonnenstrahlen fielen durch das dunkle Regenband.
Eigentlich spiegelte das Wetter Ermanos trübselige Stimmung perfekt wider.
Seit Freya abhaute, verschloss er sein Herz.
Trotz ihrer natürlichen Feindschaft, der Fehde zwischen Tigris und Draconis, hielten Ermano und Freya einander stets den Rücken frei, kämpften gemeinsam erfolgreich gegen die Anderwesen. Sicherlich trugen die beiden Streithähne heftige Zankereien aus, doch insgeheim wussten sie, dass sie sich immer auf den Anderen verlassen konnten.
Allerdings war nicht ausschließlich das der Grund für Ermanos Missstimmung.
Im letzten Frühling standen er und Freya sich unglaublich nah. Wahrlich hatte Ermano das Gefühl, endlich am richtigen Ort angekommen zu sein, bei dem richtigen Menschen!
Sein eigener Vater vermasselte ihm doch tatsächlich die Tour! Nämlich indem er seine Hochzeit mit der Dame erwähnte, die gerade in seinem Bett vor sich hin schnarchte.
Von da an begegnete ihm Freya vollkommen distanziert.
Als sie kürzlich die Schlacht gegen Verräter Ethan, samt seinen Verbündeten, den Galatern schlugen, dachte Ermano für einen kurzen Moment, ihre Gunst zurückzugewonnen zu haben.
Pustekuchen!
Nachdem Ermano, sein bester Freund Lisias, Mitkämpfer Santino, sowie Freya, angeschlossen an das Gefecht, aus dem Krankenhaus entlassen wurden, entfremdete sie sich weit mehr.
Anstatt über ihren seelischen Zustand zu sprechen, machte sie sich lieber aus dem Staub!
In den darauffolgenden Monaten unternahm Ermano alles Mögliche, Freya aufzuspüren. Erfolglos.
Lisias sollte recht behalten. Am Anfang ihrer Suche sagte er, wenn Freya nicht gefunden werden wollte, fänden sie die Erbin der Draconis nicht, zumindest nicht so schnell. Wochen später, bewahrheiteten sich seine Befürchtung.
Fehlte nur von Freya jede Spur, besäße Ermano noch einen Joker.
Dem Menschen, welcher sie am besten kannte, würde sie ihren Aufenthaltsort bestimmt anvertrauen!
Wie sich zeigte, verfolgte ihn das Pech! Denn ebenso Patenonkel Luigi Pulcino verschwand urplötzlich im Nirwana. Er hatte seine Firma aufgegeben, das Gebäude mit Sack und Pack verlassen, sein Haus verkauft, die Frau mitgenommen, an einem unbekannten Ort untergetaucht. Ermano hatte gehofft, mit der Hilfe seines feinen Geruchssinns eine Fährte aufzunehmen, fuhr deshalb quer durch ganz Osaka, stets mit offenem Fenster. Das tagelang! Manchmal hatte er sich in den Tiger verwandelt – sobald er unbeobachtet gewesen war – und unbewohnte Gegenden abgestreift.
Diese tierische Form erlaubte ihm, sein Gegenstück selbst auf eine ausgedehnte Entfernung zu erspüren.
Tat er das nicht, befand sich Draconis entweder am anderen Arsch der Welt, oder inmitten einer großen Schar Menschen.
Ausschließlich eine geballte Ladung verschiedenster Düfte und unterschiedlicher Auren überdeckten die ihre.
Nach sieben Tagen Roadtrip gab er schließlich auf.
Sprich, sie zog vermutlich nach Alaska, alternativ in das Zentrum einer riesigen Metropolregion!
Frustriert kehrten Lisias, der Ermano begleitete und seine ständig wechselnden Launen ertrug, sowie seine griesgrämige Wenigkeit zurück.
Vater Ragna empfing sie zwiegespalten, einerseits froh darüber, Freya loszuhaben, andererseits angesäuert, weil Empress Draconis die Mission nicht zu Ende brachte.
Obendrein beschloss ihr ehemaliger Weggefährte, Erbe der Schildkröten, Unterstützer der Tigris, Ethan Testudo Graeca, seine Familie zu verraten und gemeinsame Sache mit den Anderwesen zu machen. Bloß um alle Tatsachen zu erwähnen, die Ermano aktuell belasteten.
Die Aufgabe der Erben des Phönix, jede Bedrohung für die Menschheit abzuwenden, blieb somit ab sofort an Lisias Anguis und ihm, Ermano Vittorio Tigris, hängen. Halleluja! Mehr Arbeit, weniger Freizeit! Druck ausgesetzt zu sein, spornte ihn für gewöhnlich an. Ermano liebte Herausforderungen. Aber nicht heute.
Heute fühlte er sich schlichtweg ausgelaugt. Erschöpft. Einfach müde. Von den Anderwesen fehlte jede Spur, genauso wie von Freya. Dabei hatte Ermano hart trainiert, seinen animalischen Urinstinkt geschärft, fest daran geglaubt, den Feinden dadurch einen Schritt voraus zu sein.
Leider hatten ihm die gegebenen Umstände die verträumten Augen geöffnet.
Fast vermutete er, dass seine Vorteile simpel aus einer Zusammenarbeit mit Freya resultierten.
Ermano fasste den Anhänger in Form eines gekrümmten Tigerzahns, welchen er um den Hals trug. Freyas Schwanenhals zierte das Gegenstück davon, eine gebogene Drachenschuppe.
Zusammengesteckt ergaben die Hälften das Yin Yang Symbol.
Anfänglich gewährten ihnen ihre Reliquien Visionen über die Aufenthaltsorte der Anderwesen.
Später schmückten die Ketten lediglich ihr Outfit.
Wobei sie Tigerzahn und Drachenschuppe auch nicht mehr benötigten. Die Anderwesen kamen zu ihnen, griffen letztes Jahr die Villa der Tigris an, besser gesagt, die seines Vaters.
Drei Monate später traf ein starker Sonnenwind auf die Erdatmosphäre, ein Polarlicht entstand. Zur gleichen Zeit öffnete sich ein Wurmloch, welches den Heimatplaneten der Galater mit der Erde verband. Der helle Schein der Nordlichter wies den Bewohnern einen Weg in unsere Welt, wie schon viele Male zuvor. Allerdings wurden sie das letzte Mal gebührend empfangen, durch ihn, Lisias, Freya und etliche Soldaten der tigrischen Armee! Enzo sei Dank.
Seiner präzisen Recherchen geschuldet, hatten die Kämpfer den Ort des Angriffs punktgenau ermitteln können. Viele junge Knaben mussten an diesem Tag ihr Leben lassen, der Rest um im Krankenhaus darum bangen. Einige waren gestorben, wenige hatten überlebt.
In jedem Fall hatte die Welt eine bittere Niederlage erfahren. Insbesondere Ragna. Ständig predigte er, seine Streitkraft würde es mit den Anderwesen im Alleingang aufnehmen. Hilfe von einer Draconis? Zum Teufel damit!
Abgesehen von zahlreichen Opfern, lebten augenblicklich, ohne genauen Kenntnisstand, etwa 30 Außerirdische unter der menschlichen Bevölkerung. Schlimmer noch, Ethan würde alles in seiner Macht Stehende tun, die passenden Erdbewohner auszuwählen, um sie durch seine Galater-Freunde auszutauschen.
Ebenfalls der Tigris Clan vermeldete herbe Verluste. Der Anderwesen jüngste Offensive auf Villa und sämtliches Terrain drumherum verursachte, um es mit den abgestumpften Worten seines Vaters zu beschreiben, großen Sach-, plus Personenschaden.
Ragna betrachtete jede Situation nüchtern. Ganz der Anführer eben.
Zumal Ermano mittlerweile eine mögliche Beteiligung seinerseits nicht weiter leugnete.
Nachdenklich sog er frischen Sauerstoff ein, stieß die angesammelte Luft wieder aus. Warmer Atem traf auf kalte Atmosphäre. Dampfende Wolken stiegen nach oben.
Verflucht, Ragna war doch sein Vater! Obwohl er Ermano streng aufzog, ihm wenig Freiraum gewährte, seinen Hass auf Freya nie verbarg, außerdem einige Eigenarten sein Eigen nannte, liebte Ermano ihn, sah in ihm sogar ein Vorbild. Zugegeben, letzteres lag eine längere Zeitspanne zurück, trotzdem wollte Ermano sich anfangs keineswegs eingestehen, dass sein alter Herr in einer Weise in verräterische Aktivitäten verwickelt war.
Mittlerweile musste er sein Denken korrigieren.
Etliche, sogenannte Zufälle konnten einfach keine Zufälle sein. Ausführliches Hintergrundwissen der Anderwesen über Aufenthaltsorte und Pläne der Erben ließen auf Informationen von außen schließen. Dagegen ließ sich die Anzahl der Mitwissenden auf eine Handvoll eingrenzen. Bezogen auf die letzten Ereignisse, auf genau zwei Personen.
Unglücklicherweise musste Ermano Freya recht geben, Luigi Pulcino schied aus dem Kreis der Verdächtigen eindeutig aus. Somit blieb Ragna.
Weder Ermano noch Mitwisser Lisias äußerten einen Verdacht ihm gegenüber. Stattdessen schwiegen sie still, beobachteten ihn heimlich.
Nun, ihre Beweisfindung hielt sich bisher in Grenzen.
Ragna bewegte sich schon immer extrem vorsichtig.
Doch auch die Anderwesen, samt Anführer Ethan, handelten vorerst im Verborgenen.
Im Prinzip begann Ermano wieder bei 0.
So wie es war, bevor er Freya rekrutierte und sie gewissermaßen zwang, ihm zu helfen.
Zu dem Zeitpunkt rüttelte niemand an seiner Überzeugung. Hundertpro meinte er, die notwendige Zusammenarbeit der Erben, gemessen an der Legende des Phönix, verschaffe ihnen einst den Frieden.
Beharrlich unternahm er alles Notwendige, Freya in seine Familie und sein Leben zu integrieren.
Wozu führte sein Engagement schließlich? Er verliebte sich, sie aber gab ihm einen Tritt in den Arsch! Darüberhinaus durfte er die Mission der Genträger allein zu Ende bringen!
Nicht ganz allein. Zumindest Lisias blieb an seiner Seite! Auf ihn konnte sich Ermano immerhin verlassen!
Was Freya anging, so warnte ihn sein Vater vor! Nur wollte Ermano nicht hören!
Deshalb fühlte er jetzt!
Weil er nicht länger fühlen wollte, gelobte er, sie zu vergessen.
Ermano änderte ohnehin nichts daran. Anscheinend wollte sie unter keinen Umständen gefunden werden, ferner über ihre Probleme sprechen.
Pff, sollte sie dahin gehen, wo der Pfeffer wächst und sich eingraben!
Frustriert blies Ermano Atemluft aus.
Sein scharfer Verstand sagte ihm zwar, er solle sie schnellstmöglich vergessen, sein Herz schlug dagegen für sie. Ständig!
Gerade fuhr er mit seiner Hand durch das vom Morgendunst feuchte Haar, als er aus Versehen an den Rollo stieß. Sofort erklang ein Poltern.
Beunruhigt drehte sich Ermano zur schlafenden Natascha.
Kurz grunzte sie, was ihm einen halben Herzinfarkt bescherte. Dann wandte sie ihren weiblichen Körper, bis sie auf dem Bauch lag.
Gut, sie schlummerte friedlich weiter!
Aktuell mochte er ihr keinesfalls im Wachzustand gegenübertreten, gar sich mit ihr auseinandersetzen.
Trotz des spärlichen Lichts erkannte er ihre üppigen Kurven unter der verknüllten Decke. Unvermittelt dachte er daran, dass ihre Figur ihm kaum gefiel. Für gewöhnlich bevorzugte er sportliche Frauen. Okay, erst seitdem er Freya begegnet war. Anschließend hatte er ohnehin keine andere Frau mehr begehrt. Ts, als habe er je eine andere begehrt! Wie stark betrunken war Ermano gestern eigentlich gewesen?
Direkt nachdem er beschlossen hatte, Freya abzuhaken, ihm das so gesehen minder erfolgreich gelang, suchte er die Erlösung in Alkohol.
Drei Wochen am Stück wanderte er seitdem nun dauerbesoffen durch die Weltgeschichte.
Am gestrigen Samstag übertrieb er wohl.
Ob Glück oder Unglück konnte er nicht sagen, jedenfalls setzte sein Erinnerungsvermögen ab circa 18 Uhr komplett aus.
Glück vielleicht dahin gehend, weil er den nächtlichen Geschlechtsakt vergaß.
Himmel, Natascha würde Ermano ihr Techtelmechtel bestimmt nie vergessen lassen!
Geschwind huschte er durch das schummrige Zimmer, suchte seine Sachen. Wo ließ er die denn? Jesus!
In Windeseile zog er neue Klamotten aus dem Schrank, versuchte dabei laute Geräusche zu vermeiden. Dem geschuldet, griff er das Erstbeste, was er ertastete, schlüpfte (wenn er es richtig erkannte) in dunkle Jeans, einen engen schwarzen Pullover, ohne weitere Unterwäsche.
Beim Anziehen warf Ermano einen Blick auf den Bildschirm seines Smartphones, das sich im Stummmodus befand. Mist, er verpasste gleich vier Anrufe von Lisias!
Barfuß tapste er zur Schlafzimmertür, das Handy vorher geschnappt.
Hoffentlich verweilten seine Eltern diesen Sonntag länger im Bett! Neugierige Fragerein brauchte er gerade wirklich nicht!
Leise drückte er die Türklinke herunter, öffnete einen Spalt und erstarrte!
Unvorhergesehen stand Lisias vor ihm, die Hand auf Höhe des Türöffners.
„Was machst du denn hier?“, raunte Ermano überrascht?
„Wie siehst du denn aus?“, gab Lisias zurück, der übrigens einen Ersatzschlüssel zur Villa besaß, ihn aber nur im Notfall nutzen sollte.
Leicht überfordert, zuckte Ermano bloß die Achseln.
Lisias‘ Blick wanderte Richtung Schlafzimmerinneren, blieb selbstredend am Doppelbett Bett hängen.
„Sollte ich fragen …?“ - „Nein!“, zischte Ermano, schlüpfte aus dem Zimmer, schloss die Pforte zur Hölle.
„Also, was willst du? Wieso stehst du so früh am Sonntagmorgen auf der Matte?“
Seinen ruppigen Tonfall verdiente Lisias keineswegs, allerdings erfassten Ermano Schamgefühle, die ihn patzig reagieren ließen.
Wie eh und je verstand Lisias seinen Wink, beließ die Sache vorerst dabei, kam gleich zum Punkt: „Du kennst doch auch den einen Mafiaboss aus Palermo. Der, der Geldwäsche durch den Handel von Auberginen betreibt und letztes Jahr mehrere Friseursalons in die Luft gesprengt hat, weil ihm die Haare ausfielen? Er bestach die ermittelnden Bullen, damit sie über die Beweise hinweg sahen.“ - „Du meist Toro De Riri? Den Psychopathen mit dem Vollknall? Ja, sicher!“
Gedankenverloren driftete Ermanos Aufmerksamkeit ab. Nie begegnete er De Riri persönlich, hörte ausschließlich Schauermärchen. Als er die Läden sprengte, mehrere Existenzen und Leben vernichtete, trat die Presse das Thema breit. Dennoch unternahm niemand etwas. Analog zu vielen anderen Gangsterbossen blieb Toro unantastbar. Außer sich vor Wut war Freya, die Ungerechtigkeiten verabscheute, fast nicht zu bremsen. Am liebsten hätte sie De Riri samt seiner Gesellschaft gesprengt. Wortwörtlich! Mittels ihres Drachenfeuers.
Scheiße, so früh morgens dachte Ermano schon an sie!
Kurzerhand unterbrach Lisias seine Träumerei.
„Angeblich ist der gute Toro nicht mehr er selbst!“
Ermano grunzte.
„Na und? Du hast meinen Vater damals gehört! Wir mischen uns in keine Angelegenheiten der Normalsterblichen ein! Es ist schlimm genug für die Menschen zu wissen, dass weltweit verschiedene organisierte Verbrechergesellschaften existieren. Vom Zusammenschluss der Tigris dürfen sie nichts erfahren!“
Oder wie Freya zu sagen pflegte, Tigris-Mafia-Sekte!
Verdammt, warum schlich sie sich immerzu in sein Hirn?
„Richtig, ja. Aber Zeugen berichten, Toro ist die Visage geschmolzen.“
Lisias bekam nun Ermanos ungeteilte Aufmerksamkeit. Endlich machten sie einen Fehler.
„Gott sein Dank suchte sich das Anderwesen ausgerechnet einen Paten zum Wirt. Sizilianer lieben Diskussionen. Innerhalb der Mafia war Aufregung vorprogrammiert. Hätte das Vieh wissen müssen.“
Freudig erregt klopfte Ermano Lisias auf die Schulter.
„Komm, mein Bester, sehen wir uns die Schmelzvisage mal an.“
„Jetzt erklär mir, was das eben war“, sagte Lisias nach einer verschwiegenen halben Stunde Fahrtweg.
Ermano krallte seine Hände in das Sportlenkrad seines Alfa Romeo Giulia. Ehe sie Palermo erreichten, wo angeblich der Mafiaboss residierte, benötigten sie vorneweg noch 60 Minuten. Eine Zeitspanne, die der Psychotherapeut vom Geschlecht Anguis wohl sinnvoll für Therapiemaßnahmen nutzen wollte.
„Was meinst du?“, hinterfragte Ermano, obgleich er wusste, worauf sein Hobbypsychologe anspielte.
„Äh, Klette Natascha schläft nackt in deinem Bett.“
Übertrieben schockiert starrte ihn Lisias von der Beifahrerseite an.
Tatsache, es war viel zu früh für ein solches Gespräch. Außerdem brachen die Männer Hals über Kopf auf, sodass Ermano bisher keinen Kaffee trinken konnte. Des Weiteren wurden die Kopfschmerzen mit aufgehender Sonne zunehmend stärker.
„Ja und?“, mokierte er.
Pfiffigere Konter suchte er momentan vergebens. Eingeschnappt und das völlig grundlos, presste Ermano die Lippen zusammen.
Augenrollend lehnte sich Lisias zurück, starrte geradeaus. Auf Kindergarten hatte der einzige Erwachsene unter ihnen keine Lust.
Das italienische Radio spielte einen Oldie. Während Al Bano munter vor sich her trällerte, schwiegen die Freunde.
Kurz vor Ende von „Sempre sempre“ brach Lisias das Schweigen: „Ja und? Was heißt das? Du stehst in keiner Weise auf sie. Klar. Ein Aufreißer, der Frauen reihenweise abschleppt, bist du auch nicht.“ - „Sie wird meine Ehefrau“, grätschte Ermano dazwischen.
„Ach komm, hör auf“, fuhr ihn sein bester Freund seit Kindertagen ungewöhnlich aufbrausend an.
Dabei wandte er ihm wieder das Gesicht zu, seine für gewöhnlich entspannten Gesichtszüge wirkten zornig.
„Wieso schert dich das ausgerechnet jetzt? Freya ist weg. Dein Vater kann ihr nichts mehr antun. Es existiert kein vernünftiger Grund, warum du dich an den Deal halten musst. Oder empfindest du es als eine Art Pflicht, euren Schwur einseitig zu erfüllen?“
Scheinbar blieben Ermano zwei Optionen. Erstens, er tischte Lisias eine glatte Lüge auf, nur damit er Ermano in Ruhe ließ. Zweitens, er sagte die Wahrheit. Kurz überdachte Ermano seine Möglichkeiten. Die lange Freundschaft begünstige letztere.
„Ich werde Natascha heiraten, weil ich meinen Teil der Abmachung einhalten will.“
Kritisch beäugte Lisias ihn, las Ermanos Mimik indes er sprach. Das Verhalten erinnerte Ermano an seinen Vater. Wahrscheinlich hinterfragte sein Kumpel den Wahrheitsgehalt der Aussage. Aufgrund Lisias‘ Taxierung, fühlte er sich eingeengt.
Räuspernd fuhr er fort: „Ich entschied mich dafür, weil ich beschloss, Freya zu vergessen.“
Jetzt schnellte eine Augenbraue hoch, Lisias war ganz Ohr, musterte Ermano neugierig.
Zögerlich ergänzte er: „Ich habe Gefühle für Draconis. Solche, die nicht da sein dürften. Du hast recht, Natascha interessiert mich nicht im Geringsten. Aber wenn sie meine Gattin wird, kann ich vielleicht mit meiner Erzfeindin abschließen.“ - „Besäufst du dich grad deswegen ständig?“
Grundgütiger, Lisias’ Verstand arbeitete entsprechend einem laufenden Uhrwerk. Leugnen brachte nichts.
„Ja“, bestätigte Ermano knapp.
Wieder entstanden wenige Minuten Funkstille. Unbedacht stellte Ermano das Radio aus. Musik ertrug er gerade nicht. Hingegen wirkte das konstante Dröhnen des Motors wie Balsam für seine bohrende Migräne.
„Wer schreibt dir das eigentlich vor?“, fragte Lisias ins Blaue.
Er spähte durch die Windschutzscheibe, beobachtete eine am Himmel klebende Wolke.
Ermano warf ihm einen Blick zu, richtete seine Sicht dann wieder nach vorn auf die Fahrbahn.
„Was meinst du?“ - „Dass du keine Gefühle für Freya haben darfst.“
Plötzlich grinste Lisias.
„Ehrlich, ihr beide seid wie füreinander geschaffen.“
Jetzt lachte Ermano.
„Wir streiten andauernd“, korrigierte er.
„Eben.“ Lisias reckte den Finger, analog eines strengen Schullehrers.
„Was sich liebt, das neckt sich. Demnach war es bei euch Liebe auf den ersten Blick.“
Ermanos Lachen erstarb.
Schlagartig musste er an ihre erste Begegnung denken. Ebenso Lisias verstummte. Nun, sein ausschließlich Lächeln, die Belehrungen blieben.
„Oh, Kumpel. Dich hat’s ganz schön erwischt.“
Ja, das stimmte, Ermano sprach es bloß nicht aus.
Also tat Lisias es an seiner Stelle: „Du bist verknallt, denkst jedoch, die Frau, die du liebst, darfst du nicht lieben, weil eine, mehrere Jahrtausende alte Blutfehde dir das verbietet. Deshalb kasteist du dich selbst, indem du eine willkürliche Frau erst vögelst, später heiratest.“ - „Lass das Willkürlich weg und du triffst den Nagel auf den Kopf.“
Sarkastische Untertöne schwangen in Ermanos ernsten Worten.
Lautstark pfiff Lisias durch die Zähne.
„Gut, wie wär’s, wenn wir beim Autogrill anhalten, uns einen Kaffee schnappen und danach erzählst du mir von Anfang an, was genau zwischen euch lief?“ - „Mit wem? Natascha oder Freya?“
Verschmitzt grinste Ermano Lisias an. Der verzog die Mundwinkel.
„Bäh. Die Details über Natascha behalte bitte für dich.“
Nach etwa zwei Sekunden des Sacken-lassen’s, grölten sie beide.
Das Eis schmolz, die Stimmung war heiter bis sonnig.
Auf der rechten Straßenseite tauchte einer der zahlreichen Autogrills auf, die in Sizilien etwa so häufig vorkamen, wie McDonalds in der restlichen Welt.
„Weißt du was, Amico mio? Kaffee klingt gut. Du zahlst.“
Innerhalb der nächsten Stunde schüttete Ermano sein Herz aus und befreite sich endlich von den Seelenqualen, die ihn monatelang belasteten. Lisias hörte zu, stärkte seinem Kumpel den Rücken. Auf einen gemeinsamen Nenner, gar die Lösung, kamen sie nicht, denn sobald sie Palermo erreichten und Ermano das Fenster des Alfa öffnete, witterte er den unverkennbaren Duft des extraterrestrischen.
„Scheisse, Mann“, fluchte er „Warum habe ich die Stinkmorchel nicht schon früher gerochen? Der sondert vielleicht derbe Gerüche aus.“ - „Tja, mein Lieber“, schimpfte Lisias gespielt „Bei täglich 2 Promille wundert mich das keineswegs.“
Vor sich hin grummelnd, folgte Ermano der Spur des eigentümlichen Odeurs.
Bald erreichten sie das Stadtzentrum.
Er parkte seine Giulia auf dem Parkplatz einer nationalen Supermarktkette.
Die Männer stiegen aus, Ermano hielt einen Moment inne und schnupperte. Seine Nase führte die beiden um die Ecke. Wenige Meter entfernt tauchte ein familiäres Hotel auf, verborgen hinter reichlich Grünzeug.
Im Gegensatz zu den Deutschen, wessen Garten- und Grünanlagen sie letztes Jahr bewunderten, pflegten die hiesigen Hoteleigentümer ihren Wildwuchs sehr dürftig.
„Versteckt er sich da drin?“, fragte Lisias, zeigte auf die Residenz.
Tiefes Brummen genügte als Antwort.
Die Herren betraten das quadratische Gebäude, begaben sich unmittelbar zum Empfang. Ihre Strategie sah vor, ein Zimmer für einen Tag, respektive eine Nacht zu mieten, um möglichst unauffällig die überschaubaren Etagen abzusuchen.
Da Ermano konzentriert jede Ecke der Lobby ausspähte, seinen Blick aufmerksam schweifen ließ, bemerkte er seine kommende Wortwahl nicht wirklich: „Ein Zimmer für Zwei, bitte.“
Direkt schämte sich Lisias in Grund und Boden.
Die Tante vom Empfang, eine füllige Frau Anfang 30, schnurrte: „Das ist ja nett.“
Bis ihn Lisias nicht aufklärte, kapierte Ermano die Aussage nicht.
Kichernd korrigierte sein Kumpel: „Nein, wir sind nicht schwul, wir wollen uns nur ein Zimmer wegen der Kostenersparnis teilen.“
Oh, jetzt verstand er.
Sobald sie die Sachlage klargestellt, Geld bezahlt, den Schlüssel (keine Chipkarte) eingesteckt hatten, marschierten sie über den Fliesenboden der kleinen Lobby zum Aufzug.
Währenddessen flüsterte Lisias: „Aber falls ich homosexuelle Neigungen verspürte, wärst du zu Hundertprozent mein Typ, Schnuckelhase.“ - „Na da bin ich beruhigt. Dachte schon, du gehst mir fremd.“
Ermano grunzte (sein Lieblingslaut), tippte auf den Knopf für den Lift.
„Übrigens, Herzblatt, rede nicht von Kostenersparnis, wenn du einen Mantel von Armani trägst und eine ganze Flasche Dior auf deinem zierlichen Schlangenkörper versprüht hast.“
Schelmisch zwinkerte Lisias der Empfangsdame zu, welche den Herren nachstellte.
Der Aufzug schloss seine Pforten.
Glück beim ersten Versuch. Lisias vermutete, das Anderwesen verstecke sich auf dem obersten Stockwerk, sprich in diesem Fall Etage Fünf. Deshalb fuhren sie zunächst dorthin.
Kaum glitten die Aufzugtüren auf, stieß Ermano der typisch aufdringliche Geruch der Anderwesen in die Nase. Ansonsten war kein Mensch auf dem Flur zu sehen.
„Yin“, wisperte Ermano.
Die schwarze Hälfte des Yin Yang Symbols erschien, Ermano sprang durch die magische Pforte, glitt als der weiße Tiger, der seiner animalischen Seele entsprach, auf der anderen Seite heraus.
In Tiergestalt hörte er besser, spitzte sogleich die Ohren. Dann jagte er voraus, Lisias hinterher.
Weder zögerten sie, noch bewahrten sie fehlplatzierte Manieren. Stattdessen durchbrach Ermano die alte Holztür von Zimmer 54, stand daraufhin eingekesselt in einem 12 Quadratmeter kleinen Raum.
Wäre die Lage nicht ernst, müsste er fast lachen, so grotesk erschien ihm der gebotene Anblick.
Der Mafiapate saß ausnahmslos mit Unterhosen bekleidet auf dem Bett, das wiederum aussah, ob es unter seinem Gewicht gleich zusammenkrachte. Seinen riesigen Wanst übersäten tonnenweise schwarze lange Haare. Dagegen präsentierte sich sein Hinterkopf vollständig kahl, lediglich die fülligen Koteletten oberhalb der Ohren verwiesen auf eine einstige Haarpracht.
Der Fernseher lief, ein italienischer Sender zeigte aktuellste Nachrichten.
Auf dem Boden sammelten sich leere Pizzakartons, Chipstüten, Süßigkeitenverpackungen und leere Bierdosen.
Unabhängig davon, dass die haarige Fettmasse eigentlich einen Boss repräsentierte, wirkte das dicke Männlein eben wie ein Mensch in seinen Fünfzigern. Bis auf die linke Gesichtshälfte. Die hing ihm auf ekelerregende Weise runter. Schlapp, beinahe gummiartig.
Ermano knurrte.
In Rekordzeit verarbeite der Kerl das Schauspiel, das eines Tigers, der sein Hotelzimmer stürmte. Im Folgenden sprang er blitzschnell hinter das Bett, solch fluchtartige Bewegungen traute man dem Klops gar nicht zu. Indes er die Pistole auf seinem Nachttisch ergriff, bei Landung zielte, seinen Rücken momentan den Fenstern zugewandt, rief Ermano geistig das Wasser aus naher Umgebung herbei, eine Fähigkeit, die er von seinen Vorfahren erbte.
Pech für den Klops, das einzig verfügbare Wasser befand sich im Abfluss seiner Toilette! Es schoss aus dem Miniaturbadezimmer, folgte der Weisung seines bittenden Herrn und klatschte in die verdutzte Fresse des Feindes. Dermaßen flugs geschah Ermanos Ablenkungsmanöver, der Pate verpasste tatsächlich die Gelegenheit abzudrücken.
Für einen Moment störte die Aktion seinen geplanten Handlungsstrang, wahrscheinlich aufkommendem Ekel geschuldet, derweil sprang Ermano auf ihn, biss ihm in die Hand, damit er die Waffe losließ.
Lisias tauchte auf.
„Ermano, töte ihn nicht. Vielleicht bekommen wir aus ihm Informationen raus!“
Leicht enttäuscht, verwandelte sich Ermano zurück, fixierte den Feind unter Zuhilfenahme seines Körpers. Die Speckschwarte winselte kläglich. Rote Zahnabdrücke zierten den Unterarm.
„Also gut“, zischte Ermano, seinen Blick starr auf den Gegner gerichtet, „Lisias treib etwas auf, womit wir den Kerl fesseln können. Auch wenn wir zu zweit sind, will ich nicht, dass er sich in meinem Auto während der Rückfahrt frei bewegt! Los, schleifen wir ihn ins Labor!“
Auf einmal wütete der Kloß, brüllte, packte Ermano unvorhergesehen an den Armen, riss ihn brutal von sich runter. Hauptartikel lösten sich von Gesicht und Körper.
„Er transformiert sich in seine ursprüngliche Gestalt!“, rief Lisias.
Keuchend, weil sein Kopf gegen das Bettgestell prallte, erwiderte Ermano: „Blitzmerker!“
Womöglich registrierten benachbarte Gäste das weibische Gezeter des Aliens. Bevor jemand auftauchte und das Theater bemerkte, mussten ihm die Genträger unbedingt Einhalt gebieten!
Zum allgemeinen Übel erstarkte der Außerirdische, angestachelt durch die bedrohliche Macht seiner Gegner. Wütig schnaufend packte er Ermano am Kragen seines eng anliegenden Kaschmirpullovers, zog ihn in die Höhe und warf ihn auf den Fernseher.
Hart krachte Ermano gegen das Gerät, riss es vom Regal, samt sämtlichen Schnüren und Kabeln. Ebenfalls das Brett spaltete er beim Fall. Bäuchlings landete er auf dem grauen Teppich.
„Autsch!“
Der Fettsack, dessen Haut sich unaufhörlich löste, stürzte abermals auf ihn, wurde allerdings rechtzeitig von Lisias gestoppt. Gezielt warf Anguis ein Messer, welches verborgen im Inneren seines Mantels steckte. Die Klinge grub sich in den Oberschenkel des Sumo Ringers, der gleich darauf einknickte. Neben seinen ohrenbetäubenden Schmerzensschreien polterten laute Schritte über den Flur.
„Scheiße, Menschen!“, fluchte Lisias „Sie dürfen keinesfalls ein Alien sehen!“
Sumo Pate zog das Messer aus seinem Bein, ein Blutschwall ergoss sich, benetzte den Boden. Gierig saugte der Teppichboden die rote Flüssigkeit auf.
Augenblicklich nahm Toro De Riri Lisias ins Visier.
„Klar, Kumpel“, erwiderte Ermano.
Ächzend kam er hoch. Heute fühlte er sich steinalt! Fehlten knackende Knochen und er wäre ein Opa! Beschissener Alkohol! Wirkte stundenlang nach!
„Aber sie dürfen einen Mafiaboss beobachten, der von Konkurrenten abgemurkst wird!“
Kaum sprach er die Worte, versperrte eine Schar an sensationsgeilen Hotelgästen den Eingang. Darunter erkannte Ermano vorwiegend ängstliche Gesichter. Sicherlich identifizierten sie den Paten als solchen.
Noch mehr Furcht kroch in ihre Knochen, als der Fettwanst Lisias attackierte. Geschickt wich Anguis dem rammenden Ansturm aus, was einer regelrechten Kunst hier drinnen glich.
Durch seinen Ausweichschritt verfehlte Fettsack sein Ziel, taumelte und landete auf den Knien.
Eine Frau mit Dutt krisch, ein Junge in Shorts filmte die Szene offenbar und ein Herr, dessen Hemd unzählige Flecken aufwies, schrie: „Bitte, so ruft doch jemand den Sicherheitsdienst!“
Sicherheitsdienst? So etwas gab es an diesem Ort? Auch das noch!
„De Riri, jetzt bist du fällig! Du kommst uns nicht mehr in die Quere!“
Etwas in die Richtung musste Ermano sagen. Um Authentizität zu beweisen, sprang er auf Toros Rücken, zwang ihn in einen Klammergriff.
Der Anderwesenparasit brachte seinen Wirtskörper zum Rotieren. Er drehte und wand sich, versuchte Ermano abzuschütteln. Weil er seinen Gegner unnachgiebig würgte, schmetterte Toro De Riri seinen fetten Wanst gegen die Wand, Ermano voraus.
„Uff!“, stöhnte er, behielt die Umklammerung allerdings bei.
Inzwischen befasste sich Lisias mit den Zuschauern, verscheuchte die Masse alleinig durch Schwingen seines Degens, den er eben aus der Manteltasche zauberte. Lauthals stoben die Hotelgäste davon. Nebenbei stahl Lisias das Handy des Jungen, warf es zu Boden und zertrümmerte es, zusammen mit dem Videobeweis.
Ermano glitt von De Riris Rücken. Sofort ging Toro in den Faustkampf über.
Beide Seiten platzierten einige Treffer.
Jäh erfasste Ermano eine Übelkeit. Kam sie vom vorigen Karrussellfahren, dem mehrfachen Aufprallen, oder war sie eine Nachwirkung seines Alkoholexzesses?
Fettwanst missbrauchte seine Konstitution, trat ihm in die Magengrube. Ermano landete auf dem Nachtisch, den er ebenfalls zerschmetterte.
Glücklicherweise bezahlten sie bar, hinterlegten keine Kreditkarte! Hoffentlich belastete das Hotel die des Paten zum Ausgleich der Schäden!
Benebelt bemerkte Ermano das Öffnen eines magischen Tors. Lisias!
Die Schwarze Mamba kroch über den Teppich, Toro trat nach der Schlange, stampfte wild herum. Lisias Kampferfahrung half ihm stetig auszuweichen und den Tritten zu entkommen. Im richtigen Moment bäumte er seinen Körper auf, schlug seine Zähne in den Oberschenkel auf Höhe der Messerwunde. Sofort gelangte Anguis‘ Gift in Toro De Riris Blutkreislauf.
Nach Stirb langsam Art sackte der Fettsack zusammen.
Ermano raffte sich auf.
„Ein Giftanschlag kommt nicht so gut“, murmelte er.
Dann griff er dem Feind unter die Arme, schleifte ihn wenige Schritte zum Fenster. Schaum stand vor Toros Mund. Lisias begriff Ermanos Vorhaben, transformierte sich zurück, zog die Vorhänge zur Seite.
Wieder hörten sie Schritte.
Unter Aufbringung sämtlicher (angeschlagener) Körperkräfte stülpte Ermano den Sack auf die Fensterbank und warf ihn fünf Stockwerke in die Tiefe.
Unmittelbar als der Sicherheitsdienst Zimmer 54 erreichte, sprangen die Killer des Paten Toro De Riri aus dem Doppelfenster in die Freiheit. Während Toros Kopf beim Aufprall auf dem Asphalt platzte und unschöne Flecken produzierte, schien die Schwerkraft seine Mörder überhaupt nicht zu belasten. Weich landeten sie auf ihren Füßen und marschierten einfach von dannen.
„Deshalb hinterlasse ich nirgendwo meine Kontaktdaten“, raunte Lisias „Wir wissen nie, welche Situation uns ereilt und wer uns begegnet.“ - „Ts, die Unternehmung war ein Schuss in den Ofen! Völlig für’n Arsch! Aus dem Kerl brachten wir nichts Nützliches raus!“, schimpfte Ermano.
Im Marschtempo steuerten die Männer den Giulia Quadrifoglio an. Ermano entriegelte das Schloss, gemeinsam stiegen sie ein. Erleichterung erfasste beide, als er den Wagen startete.
„Sieh es mal so“, griff Lisias das Gespräch auf, „wir hatten keine Wahl, wir mussten dementsprechend handeln! Abgesehen davon, die Welt hat nun einen Kriminellen weniger! Gute Tat vollbracht!“ - „Ha ha! Also können uns verschiedene Organisationen ja feiern!“, frotzelte Ermano „Aber jetzt, schnell nach Hause!“ - „Absolut, Alter! Aber tu mir einen Gefallen!“, bat Lisias, schaute seinen besten Freund eindringlich an, der den Blick stirnrunzelnd erwiderte.
„Denk noch einmal über diese Hochzeit nach!“