Cerezas Reise: Eine Geschichte über den Samuraikater und seinen Aufpasserhund - Eine Leseprobe


Sie saß am Fenster ihres Lieblingscafés vor einer Tasse Rauchschwaden absondernden Latte macchiato.
Korrektur – sie bezog den Platz am Fenster ihres ehemaligen Lieblingscafés.
Das schicke Bistro und die hier angebotenen Köstlichkeiten besaßen keinerlei Bedeutung für sie. Nicht länger. Gar nichts war noch in einer Form von Bedeutung.
Lustlos rührte sie in ihrer Tasse, einen Ellbogen auf den Tisch und den Kopf mit der Hand gestützt.
Selbst der anregende Duft der Komposition aus Kaffee und aufgeschäumter Milch ließ sie kalt.
Trübe Gedanken plagten ihren aufgewühlten Geist. Durcheinander wirbelnde Empfindungen manipulierten ihren Gemütszustand, zogen ihre Laune ins Bodenlose.
Draußen herrschte herrliches Herbstwetter. In diesem Jahr verdiente der goldene Oktober seinen Titel zu Recht. Warmes Sonnenlicht brach durch die sauberen Fensterscheiben des schnuckeligen Ladens, erhellte dessen Inneres und untermalte die antiken, pastellrosafarbenen Möbel im Vintage Stil.
Örtliche Temperaturen erreichten an die 22 Grad Celsius. Etliche Gäste nutzten die verbleibenden Sonnenstunden des Spätjahres, um unter dem blauen Himmel im Freien zu sitzen. Manche trugen herbstliche Jacken aufgrund des recht frischen Winds, andere genossen die angenehme Wärme kurzärmelig.
Lediglich wenige verweilten innerhalb ihrer Häuser, oder den öffentlichen Gebäuden. Der Minderheit gehörte eine junge Frau an, deren dichter Haarschopf im hellen Licht rot-golden schimmerte.
Wie lange sie stocksteif an ihrem Tisch hockte, den Milchschaum zu Butter schlug, vermochte sich im Nachhinein schwer beurteilen zu lassen. Gemessen an der Stellung der Sonne verging sicherlich eine volle Stunde.
Ja, sie stellte anhand der Sonne die Zeit fest. Ganz formidabel gelang ihr das.
Und es erschreckte sie. Mitunter war das ein Indiz dafür, dass sie sich die letzten Monate nicht einbildete, worauf sämtliche andere Fakten hinzielten, was übrigens den Grund ihres Grübelns ausmachte.
Gewiss, wenn Menschen träumten, fühlten sich ihre Träume oft real an. Trotzdem, ab einem gewissen Punkt wussten sie dann, bloß Gefangene ihrer eigenen Fantasie zu sein. Aber spätestens, sobald die Schlafenden erwachten, traf sie die Gewissheit wie ein Hammerschlag.
Sie konnte das nicht behaupten. Keineswegs.
Im Gegenteil, ihre sämtlichen vorhandenen Instinkte beschrien den Wahrheitsgehalt des Vergangenen, obgleich jegliche Rationalität dagegen sprach.
Ihre Seele unterstützte das Unterbewusstsein.
Wer würde ihr schon glauben? Eigens fasste sie doch ihre Erinnerungen kaum!
Waren es reale Erinnerungen? Möglicherweise Traumbilder? Episoden, ausgelöst durch ihre größtmöglich ersehnten Wünsche.
Gänsehaut überzog ihre Arme. Der Pulli, in dem sie steckte, schaffte keine Abhilfe gegen das Frieren von innen heraus. Weniger die sinkenden Temperaturen trugen Schuld an ihrem Frösteln, vielmehr lag es an der Kälte in ihrem Herzen.
Scheiße, war sie verwirrt! Komplett durcheinander!
Eine Stimme holte sie aus ihrer grüblerischen Trance. Die freundliche Kellnerin Anfang 20 fragte, ob sie etwas zum Kaffee wünschte. Ihr dürfte es wohl nicht entgangen sein, wie lustlos und gebeugt sie vor dem Getränk hockte.
Höflich schüttelte sie den Kopf.
Das Café bot unglaublich leckere Naschereien. Kuchen und Gebäck vom Feinsten.
Weder Hunger noch Appetit verspürte sie. Leider. Bereits eine ganze Weile nicht. Etwas zu bestellen, wäre demnach Verschwendung gewesen.
Mit einem mitleidigen Ausdruck im Gesicht watschelte die Bedienung davon.
Direkt im Anschluss an die kurze Unterbrechung versank ihr Geist wieder im Trüben.
Weshalb sie?
Warum beorderte das verfluchte Universum, das gemeine Schicksal ausgerechnet sie zu seinem beschissenen Versuchskaninchen? Milliarden Menschen bevölkerten diese Welt! Jede Seele trug ihre persönliche Last, jede Seele verspürte Furcht vor etwas, verdammt! Genauso träumte fast jeder von ihnen, wenn auch Kinder die schönsten Träume hatten. Jene, die im Erwachsenenalter nachließen, teilweise sogar ganz verschwanden.
Träume niemals von den Träumen der Erwachsenen. Denn die wirklich wahren Träume haben ganz allein die Kinder.
Falls die Hälfte der Erwachsenen an nichts glauben mochte, wen kümmerte es? Blieben genug Individuen übrig, welche Fatum hätte erwählen können! Nein, sie musste herhalten!
Dabei war sie nichts Besonderes, ein kleiner Fisch in einem großen Becken voller Haie.
Das schlimmste war jedoch nicht, dass der Zufall sie traf.
Nachdem das Vergangene vorübergezogen und geendet war, stürzte sie in völlige Ungewissheit. Momentan schaffte sie es nicht auseinanderzuhalten, was davon passierte, ob überhaupt etwas real geschah.
Lag ihre Intuition richtig und erlebte sie das Geschehen wirklich, dann wurde ihr alles wieder genommen. Das war das schlimmste!
Nie würde sie ihre unglaubliche Reise vergessen! Unter keinen Umständen wollte sie einen Tag davon missen!
Was gäbe Cereza darum, wenigstens noch ein einziges Mal mit ihnen zusammen sein zu dürfen!

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