Das Lied über Geld und Macht - Eine Leseprobe
Es existiert keine Welt außerhalb der eigenen. Die Realität ist grausam.
Sie saß auf dem blitzblank polierten Rand ihrer Badewanne im Badezimmer ihres eindrucksvollen Strandhauses. Beide Hände verweilten auf ihren nackten Oberschenkeln, die Finger krallten sich in ihr zartes, gebräuntes Fleisch. Oberflächlich bildeten sich unschöne rote Flecken, dermaßen fest presste sie die Hautfalten zusammen.
Unnachgiebig hielt sie ihre Beine geschlossen. Täte sie das nicht, würde sie klebrige Nässe dazwischen spüren. Unter allen Umständen wollte sie das vermeiden.
Unglaublich! Nach allem, was passierte, war sie immer noch feucht, immer noch geil!
Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, schämte sie sich.
Wofür eigentlich? Dass sie einem Menschen ihr Vertrauen schenkte, oder einen Mann ihr Herz erobern ließ?
Nein. Nichts davon.
Es beschämte sie, naiv gewesen zu sein, obgleich sie es hätte besser wissen müssen.
Und nun? Jetzt fühlte sie sich elendig.
Besiegt.
Gebeugt verharrte sie in ihrer Position mehrere Minuten lang. Vielleicht verging auch eine halbe Stunde.
Ausnahmsweise spielte Zeit keine Rolle. Jedenfalls nicht heute. Jedenfalls nicht jetzt.
Sie weinte. Tränen ihrer Verzweiflung rollten die puterroten Wangen hinunter und benetzten den Fußboden aus Terrakotta.
Wann heulte sie das letzte Mal?
Sie erinnerte sich nicht, jemals geweint zu haben, seit sie ihren Fuß in diesen Teil Floridas setzte.
Wie viele Jahre war das her?
Das Leben bescherte ihr ausreichend Gelegenheiten zum Weinen. Bislang überwand sie jede Schwierigkeit.
Ohne Drama.
Ausgerechnet ein beschissener Eierschaukler zerschmetterte ihre jahrelang beharrlich aufgebaute Selbstdisziplin!
Plötzlich begannen ihre Beine zu zittern.
Sie besaß alles, was sie sich je erträumte.
Man konnte sogar mit Fug und Recht behaupten, sie besaß alles, was sich jeder Mensch vom Leben wünschte.
Trotz ihres Reichtums, ihrer Macht, ihrem hart erarbeiteten Stellenwert empfand sie eine tiefe Leere.
Seinetwegen.
Langsam bewegte sie ihre Beine über den Wannenrand, schlüpfte in deren kühle Mitte.
Hierbei rutschte ihr übergroßes T-Shirt hinauf. Eine Hose trug sie nich, lediglich einen Slip.
Verdammte Scheiße, auch ihre Arschritze war feucht!
Seine Schuld! Allein der Gedanke an ihn ließ sie auslaufen! Wie erbärmlich war sie eigentlich?
Nachdem sie sich in der Schale ausgestreckt hatte, legte sie den Kopf zurück und starrte zur weiß verputzten Decke.
Sie hatte alles, was andere begehrten. Und noch viel mehr. Doch er war im Begriff, ihr das Einzige zu nehmen, was ihr im Leben etwas bedeutete.
Einem Impuls nachgehend, langte sie nach ihrem Nassrasierer. Mit ihren empfindlichen Fingerkuppen fuhr sie über die scharfe Klinge. Ein winziges Blutrinnsal bildete sich auf dem Daumen ihrer linken Hand. Wie hypnotisiert beobachtete sie den herausquellenden Blutstropfen.
Seine Schuld!
Egal. Sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte. Sie konnte ihm den schwarzen Peter zustecken.
Letzten Endes erlitt sie die vernichtende Niederlage.
Schluchzen entkam ihrer ausgetrockneten Kehle. Gänsehaut bedeckte ihren schlotternden Leib, der weniger aufgrund der Temperatur bibberte. Ihre Unterlippe bebte.
Derart hundsmiserabel fühlte sie sich zu keinem anderen Zeitpunkt. Niemals.
In Trance bewegte sie ihren Rasierer auf Höhe ihres rechten Handgelenks.
Ein Schnitt, etwas körperlicher Schmerz und ihr Elend fand sein Ende.
Ehe sie ihr Schicksal endgültig besiegelte, überlegte sie, wie zur Hölle es nur so weit kommen konnte.
Wenn sie eines lernte, dann eine Entscheidung keinesfalls unbedacht zu fällen.